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Zurück ins 19. Jahrhundert? | ABC-Z

Der berühmt-berüchtigte „Davos Man“, der regelmäßige Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums, hat es ab und zu gerne historisch. Der Vorstandsvorsitzende des Weltwirtschaftsforums, Borge Brende, sieht die Welt in einem Bruch wie zuletzt 1989. Auf Podien werden Vergleiche zwischen den Brüchen durch die Industrielle Revolution im 19. Jahrhundert und dem aktuellen Veränderungsdruck, der in beiden Fällen von umwälzendem technischem Fortschritt begleitet war, gezogen.

Die Parallelen lassen sich ein Stück weit entwickeln. Heute wie früher umarmen sich die politische und die wirtschaftliche Elite: Der aktuellen Nähe von Donald Trump und Tech-Milliardären ging im 19. Jahrhundert eine Nähe mancher Herrscher mit damaligen Kapitänen der Industrie voraus. Guido Graf Henckel von Donnersmarck, einer der reichsten Industriellen des Kaiserreichs, war mit Reichskanzler Otto von Bismarck befreundet; Kaiser Wilhelm II. stand er zumindest nahe. Versuche der Politik, die Öffentlichkeit über Medien zu beeinflussen, waren auch damals sehr verbreitet: Alleine Bismarck zeichnete für rund 1000 Strafverfahren gegen Zeitungen oder einzelne Journalisten wegen Beleidigung verantwortlich. Die langfristige Wirkung blieb sehr übersichtlich.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zog ein durch soziale und nationalistische Spannungen beförderter Populismus ein. Innenpolitische Auseinandersetzungen ergänzten eine geopolitische Rivalität der großen Mächte, die sich zunächst in einer Abkehr vom Freihandel und einen durch steigende Zölle gekennzeichneten Protektionismus zeigte. Zu weit sollte man die historischen Parallelen allerdings nicht ziehen wollen: Die geopolitischen Spannungen in der Industriellen Revolution explodierten im Ersten Weltkrieg. Eine Interpretation sieht die damaligen großen Mächte wie „Schlafwandler“ (Christopher Clark) in die Katastrophe stolpern.

Trump als „Dealmaker“

In der Jetztzeit verbinden sich in Davos mit Donald Trump, der von der Wirtschaftselite überwiegend als ein egozentrischer, aber für konstruktive Verhandlungen offener „Dealmaker“ betrachtet wird, eher (übertriebene?) Hoffnungen auf eine Lösung mancher Konflikte. So ist die Ansicht zu vernehmen, dass Trump in Zusammenarbeit mit dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping in der Lage sein könnte, in den kommenden Monaten den Ukraine-Krieg zu beenden. Mit der Vorstellung eines amerikanisch-chinesischen Einverständnisses verbindet sich die Überzeugung, dass die alten Mächte Europas keine wichtige Rolle in diesem Prozess spielen werden. Das gilt sogar für den Aggressor Russland, der als wirtschaftlich marode wahrgenommen wird.

Hoffnungen, Trump könne auch eine dauerhafte Friedenslösung für den Nahen und Mittleren Osten herbeiführen, sind hingegen nur sehr gering. Wie auch immer: Sollte der neue amerikanische Präsident dazu beitragen, geopolitische Spannungen aus der Welt zu nehmen, trüge er zu jener Globalisierung bei, gegen die er verbal erbittert zu Felde zieht, von der aber auch die Wirtschaft der Vereinigten Staaten erheblich profitiert.

In der aktuellen Fokussierung auf Trump liegt die Gefahr einer Überschätzung seiner Möglichkeiten. Der neue amerikanische Präsident mag die Vereinigten Staaten dank der politischen Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses und einer ihm nicht feindlich gewogenen Mehrheit im höchsten Gericht politisch stärker dominieren als viele Präsidenten vor ihm. Spitzenvertreter der Wirtschaft mögen sich ehrerbietig vor ihm verneigen und durch demonstrative Akte wie den Austritt aus privaten Klimaallianzen politische Gefälligkeit demonstrieren. Aber weder Trump noch die ihm gewogene Wirtschaftselite werden ökonomische Zusammenhänge außer Kraft setzen können.

In Zeiten technischen Fortschritts mögen höhere Zölle den Welthandel weniger belasten als oft vermutet. Diese Lektion geht auf das späte 19. Jahrhundert zurück. Doch werden sich die Kosten der Erhebung von Zöllen in den USA nicht vom amerikanischen Konsumenten fernhalten lassen. Die Senkung von Unternehmenssteuern bleibt ein probates Mittel in einer marktwirtschaftlichen Ordnung, aber ein damit einhergehendes Wachstum der ohnehin sehr hohen Staatsverschuldung dürfte die Anleiherenditen nicht unbeeindruckt lassen. Möglicherweise wird sich schnell herausstellen, dass nicht nur Donald Trump nicht auf Wasser gehen kann, sondern dass generell auch für Populisten Politik ein schwieriges Geschäft ist. Auch das bleibt eine Lektion aus dem 19. Jahrhundert.

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