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Winterdienst in Starnberg: „Wir haben die Folgen falsch eingeschätzt“ – Starnberg | ABC-Z

Das Echo auf Absperrungen und „Für Fußgänger verboten“-Schilder, die seit Anfang November in der ganzen Stadt zu finden sind, war eindeutig. Im Starnberger Rathaus steht das Telefon seither nicht mehr still, in E-Mails und Briefen machen die Bürger ihrem Unmut Luft. Es herrscht Unverständnis, manch einer fühlt sich an einen Streich aus „Versteckte Kamera“ erinnert. Dabei geht es jedoch nicht allein ums Sparen und Sperren, sondern um Haftungsfragen.

Zehn der insgesamt 30 Stadträte möchten den Status quo zum Winterdienst jetzt jedenfalls nicht länger mittragen. Vertreter von BMS, BLS, WPS, FDP und Grünen sind der Meinung, Bürgermeister Patrick Janik (CSU, UWG, SPD, BLS) habe das „Chaos selbst verursacht“ und den Beschluss „recht eigenwillig“ interpretiert. Sie monieren, dass es bei den Beratungen ausschließlich um den externen Winterdienst durch Dienstleister an beschränkt-öffentlichen Wegen gegangen sei, nicht aber um Verbindungen, um die sich in den Vorjahren stets der städtische Betriebshof kümmerte. Auch sei nicht bekannt gewesen, dass es um „privatrechtliche Vereinbarungen“ ging und die Anschaffung von Absperrelementen und Schildern. Immerhin: Die zehn Stadträte haben ihrem Antrag einen Plan mit Bitte um eine Differenzierung der Wege und Treppen beigelegt. Vertreter von CSU, UWG und SPD äußerten sich bislang nicht.

Der Bürgermeister, der sich selbst bescheiden als „williges Vollzugsorgan des Stadtrats“ bezeichnet, hat das Thema bereits wieder auf die Tagesordnung für den kommenden Haupt- und Finanzausschuss am Montag gesetzt. Im Gespräch mit der SZ erläutert er die Hintergründe.

Presse, Funk und Fernsehen berichten seit Tagen über die winterliche Sperrung von 52 Fußwegen und Treppenanlagen in Starnberg, auch das Satire-Magazin „Quer“ ist auf das Thema eingestiegen. Tenor: reiche Bürger, arme Stadt. Es geht um 60 000 Euro. Läuft die Stadt Starnberg jetzt Gefahr, zur bundesweiten Lachnummer zu werden?

Es ist wohl nicht das erste Mal, dass wir überregional Schlagzeilen machen. Aber das ist eine Starnberger Tradition, die man nicht übermäßig pflegen und auch nicht überbewerten sollte. Unter dem jüngsten Aspekt ist es vielleicht sogar ganz günstig, dass wir von diesem Image „reiches Starnberg“ wegkommen – also dass die Einkommensqualität unserer Bürger ohne Weiteres Rückschlüsse auf die Verhältnisse der Stadt zuließe. Aber jein, es ist vielmehr das Finale einer Lachnummer – das Ende eines Vorgangs, der so nicht hätte enden müssen und völlig ohne Not losgetreten wurde. Das ärgert mich am meisten.

In der Bevölkerung kam die Idee mit den Wegabsperrungen jedenfalls nicht besonders gut an. Die Gemüter sind erregt, es hagelt Proteste und Beschwerden. Fußgänger, vorrangig ältere Menschen und Schüler, aber auch Spaziergänger und Sportler sind gezwungen, unsinnige und teils gefährliche Umwege zu nehmen. Was ist da falsch gelaufen?

Letztlich haben wir die Folgen falsch eingeschätzt. Ich sage bewusst „wir“, weil das eine Entscheidung des Stadtrats war nach durchaus reiflicher Diskussion. Das Thema der Räumung der Wege war auch bereits Gegenstand mehrerer Sitzungen. Im Moment ist es so: Erst wenn es schneit, müssen die Bürger diese Umwege gehen, die Absperrungen sind zunächst mal beiseite geräumt – und wir überdenken es noch einmal.

Auch die Treppenanlage, die am Starnberger Kirchplatz zur Hauptstraße führt, war Anfang November gesperrt. In der Bürgerschaft gibt es für diese Aktion der Stadt kein Verständnis. (Foto: Arlet Ulfers)

Wer ist für diese Posse denn nun verantwortlich: Stadtrat, Bürgermeister oder Verwaltung? Derzeit herrscht der Eindruck, man versucht sich gegenseitig den Schwarzen Peter in die Schuhe zu schieben.

Die Entscheidung wurde im Februar vom Stadtrat mit 27:2 Stimmen getroffen und dann umgesetzt. Das ist schlicht der gesetzliche Auftrag des Bürgermeisters. Das ist aber eine schlechte Gelegenheit für ein politisches Schwarzer-Peter-Spiel. Ich will mich da gar nicht hinter dem Stadtrat verstecken – als Bürgermeister bin ich Teil des Gremiums – und gebe zu: Auch ich habe dafür gestimmt, weil es offenbar für mich wie für die meisten Stadträte im Moment der Abstimmung unter dem Eindruck der schwierigen Haushaltsberatungen die vermeintlich richtige Entscheidung war. Möglicherweise war es etwas zu radikal, verdeutlicht aber durchaus die Stimmung in den Beratungen.

War dem Stadtrat die Konsequenz seiner Entscheidung denn nicht klar? Oder war sie ihm womöglich nicht deutlich genug gemacht worden?

Also ganz grundsätzlich versuchen wir nach bestem Gewissen zu informieren. Und dann gibt es ein Stückweit auch eine Holschuld, falls man noch Fragen hat, und schließlich auch eine Verantwortung, um womöglich zu sagen: Ich fühle mich da noch nicht ausreichend informiert, über diesen Punkt will ich noch nicht abstimmen – und stelle einen Antrag auf Vertagung. Zudem war der Beschlusstext in seinem Wortlaut ja sehr deutlich und kaum misszuverstehen – auch als Auftrag an die Stadtverwaltung. Aber hier muss ich den Stadtrat in Schutz nehmen und erneut auf die Ausnahmesituation der Sitzung im Februar hinweisen: Wenn Sie sich die Gesamtheit der Beschlüsse ansehen, waren diese allesamt schmerzhaft, folgenreich und politisch kontrovers diskutiert – wohl zu viel und zu dicht gepackt für eine Sitzung.

War den Stadträten wirklich bewusst, dass 52 Wege und Treppenanlagen fünf Monate lang gesperrt werden sollen?

Ich hoffe jedenfalls, dass es allen klar hätte sein können. Wir haben das Thema ja in mehr als einer Sitzung diskutiert, wenn es um Räum- und Streupflicht ging, gerade auch über die Art und Weise, wie wir sperren müssen. Aber, da spreche ich jetzt nur für mich persönlich, es ist eben auch etwas anderes, diese Absperrungen in dieser Vielzahl in der Stadt zu sehen. Manche Lösungen sehen auf dem Papier einfach besser aus, als sie in der Praxis sind, und dann sollte man sie auch schnellstmöglich überdenken und nicht daran festhalten.

Absperrungen und Schilder gibt es auch nicht zum Nulltarif. Wie hoch sind die Gesamtkosten inklusive Einsatz der Betriebshofmitarbeiter?

Es geht um circa 25 000 Euro für das Material. Lampen halte ich nicht für notwendig, die Wege sind ja weiterhin beleuchtet. Aber diese einmalige Anschaffung kann auch nicht entscheidend sein in der Gegenüberstellung zu den jährlich eingesparten wiederkehrenden Kosten. Durch die kurzfristige Anweisung, die Sperren bis zur kommenden Sitzung wieder beiseite zu räumen, kann ich den Personaleinsatz noch nicht abschließend beziffern.

Warum gab dazu es in Ausschüssen und Stadtrat keine Informationen?

Dass die Informationen zur Beschlussfassung hier – wie letztlich bei allen Punkten in dieser Sitzung – nicht die sonst gewohnte Tiefe und Qualität hatten, war eben auch der besonderen Situation und des Zeitdrucks durch unsere Haushaltsklemme geschuldet. Die Verwaltung hatte nach Abzug der Weihnachtsfeiertage nur etwa vier Wochen Zeit zur Vorbereitung und Darstellung der einzelnen Punkte, was angesichts der Vielzahl und Bedeutung der Entscheidungen sicher keine angemessene Vorlaufzeit war.

Sind die Absperrungen angesichts der vielen Bauvorhaben in der Stadt womöglich eine Investition in die Zukunft?

Eine schön formulierte Frage, aber ich will’s nicht hoffen. Jeder Euro wiederkehrende jährliche Kosten, den wir sparen können, ist eine Investition in die Zukunft. Und zum angeschafften Material: Wir brauchen die Dinger doch irgendwo ständig, die gehen ab und zu auch kaputt. Letztlich ist es eine Frage der Lagerung auf dem Betriebshof, aber kein verlorenes Geld.

Wer räumt den Gehweg im Ortsteil Söcking zwischen dem Sonnenbichlweg und der Riedeselstraße, wenn es schneit? Geht es nach dem Bürgermeister, sind die Anlieger dafür zuständig. (Foto: Arlet Ulfers)

Warum reicht es nicht, Beschilderungen mit der Aufschrift „Weg wird nicht geräumt und gestreut. Betreten auf eigene Gefahr“ aufzustellen? Das hat bislang gereicht, die Leute sind doch nicht doof.

Die Meinung vertrete ich auch, allerdings nicht unsere Haftpflichtversicherung. Die hat sehr deutlich mitgeteilt: Wenn ich der Öffentlichkeit einen Weg zur Verfügung stelle und das dann ändere, kann ich nicht einfach nur ein Schild aufhängen mit der Aufschrift „Auf eigene Gefahr“. Es ist die berechtigte Erwartung der Allgemeinheit, dass ein Weg dann auch in einem gebrauchstauglichen Zustand ist. Und wenn er das nicht ist, muss ich das auch für jedermann sicher wahrnehmbar kennzeichnen. Das ist eine ärgerliche Entwicklung, aber auch jedem Privateigentümer kann ich nur raten: Allein mit Beschilderung kommt man im Haftungsfall in der Regel nicht weiter, das reicht nicht. Ich muss den Weg also deutlich sichtbar verrammeln, um klarzumachen, dass der Weg dem öffentlichen Verkehr nicht mehr zur Verfügung steht. Und dann habe ich auch keine Verkehrssicherungspflicht.

Wäre eine Sperrung mit Augenmaß und Differenzierung nach Bedeutung der Verbindungen trotzdem nicht sinnvoller gewesen als diese Hauruckaktion, die pauschal alle Wege betrifft?

Nun, wir haben es im Februar als pauschale Lösung beschlossen und haben es jetzt so vollzogen. Über diesen Beschluss ist in der Presse zwar ausführlich berichtet worden. Ich gebe aber zu: Das hätte natürlich neun Monate später noch mal viel deutlicher kommuniziert werden müssen. Hier gilt ja für die Öffentlichkeit dasselbe wie für den Stadtrat: Es war viel los in der einen Sitzung im Februar. Kein Wunder, dass das untergegangen ist. Die schlechte Kommunikation geht allein auf meine Kappe, das war keine Glanzleistung. Der Vorgang ist insgesamt leider kein Lehrstück gelungener Kommunalpolitik.

Inwiefern?

Ursprung dieses verheerenden Zustands ist für mich die Tatsache, dass wir es nicht einfach so gelassen haben, wie es die letzten 50 Jahre war und leidlich funktioniert hat. Triebfeder war der Wunsch, einigen betroffenen Anliegern etwas Gutes zu tun, und politisch klingt es wie eine sichere Nummer: Ich mach’ mich bei 200 Anwohnern beliebt, die sich das sicher merken. Das war der Ursprungsfehler, davon bin ich überzeugt.

Die meisten Starnberger missachten die Sperrungen. Der Siebenquellenweg (Foto) ist eine beliebte Fußverbindung, die insbesondere von Schülern täglich genutzt wird. (Foto: Arlet Ulfers)

Die städtische Reinigungs- und Sicherungsverordnung beschäftigt die Verwaltung aber doch schon länger…

Aufgekommen ist das Thema vor Jahren durch die Klage einer Anwohnerin, die einen steilen Fußweg nicht mehr räumen wollte und dann zunächst Recht bekommen hat. Nicht, weil es als unzumutbar angesehen wurde, sondern weil das Gericht festgestellt hat, dass diese Art von Wegen nicht von der gesetzlichen Grundlage umfasst sind. Nachdem das Urteil da war, ist diese Regelungslücke aber relativ schnell geschlossen worden. Wir hätten die Anwohner also wieder rechtssicher in die Pflicht nehmen können, wie es zuvor praktiziert und von der Verwaltung vorgeschlagen wurde. Dazu war aber die Hälfte des Stadtrats – der Beschluss endete 14:14 – nicht bereit.

Liegt es in Starnberg wirklich allein am Geld? Andere Städte haben ebenfalls finanzielle Probleme und räumen dennoch kleinere Fuß- und Radwege.

Ich gehe davon aus, dass es die meisten Städte so handhaben, wie wir es früher gemacht haben: Die Anlieger sind zuständig. Ich glaube tatsächlich schon, dass es allein am Geld liegt. Es geht um 60 000 Euro je Wintersaison. Das sind beispielsweise immerhin 50 Prozent unserer Kulturzuschüsse. Das war ja der Grund dafür, dass wir abermals darüber nachgedacht hatten. Aber ich finde das Thema eben auch unter dem Aspekt der Gleichbehandlung schwierig: Aus welchem Grund sollte man selbständige Gehwege von straßenbegleitenden Gehwegen unterscheiden?

Hätte es nicht Alternativen gegeben zu dieser absurd anmutenden Sperrung? In München übernimmt die Stadt in einem „Vollanschlussgebiet“ innerhalb des Mittleren Rings pauschal die Räum- und Streupflicht. Die Bürger zahlen, die Stadt räumt.

Damit hätte ich kein grundsätzliches Problem, halte es aber für den falschen Weg. Ich frage mich, wo der Vorteil gegenüber der alten Regelung ist. Wir nehmen dem Bürger damit zwar gegebenenfalls den Aufwand einen Hausmeisterservice zu suchen, aber eben auch die Wahlfreiheit, wenn sie lieber selbst räumen wollen. Eine neue Gebühr und dafür noch mehr Staat? Das ist für mich nicht der richtige Weg.

Das Thema findet diesen Montag im Haupt- und Finanzausschuss seine Fortsetzung. Was ist ihr Vorschlag?

Meine Wunschlösung wäre, wir kehren zur bisherigen Regelung zurück und die Anlieger werden wieder in die Pflicht genommen – ab nächster Wintersaison. Ich kann den Leuten ja jetzt im November nicht sagen, sucht euch mal einen Hausmeisterdienst. Wir werden also schauen, ob wir das diesen Winter über Nachträge mit unseren Dienstleistern und dem Betriebshof gewährleisten können. Dieses Jahr würde als Zwischenregelung also noch einmal die Stadt in die Pflicht gehen. Wir werden es diskutieren müssen, aber das entscheide ich nicht allein. Auf keinen Fall werden die Anlieger noch diese Wintersaison in die Pflicht genommen.

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