Wie Lea Schüller auf die Frauen-EM blickt | ABC-Z

Christian Wück ist nun seit einem halben Jahr damit beschäftigt, seine Vorstellungen vom Fußball als Frauen-Bundestrainer umzusetzen. In fünf Monaten wird sich erstmals bei einem Turnier zeigen, ob und wenn ja welcher Erfolg sich damit erzielen lässt. Die Europameisterschaft, die vom 2. bis 27. Juli in der Schweiz stattfindet, will Wück als Chance nutzen, um die Strahlkraft des Teams weiter aufzupolieren. Er möchte an das gute Ergebnis anknüpfen, das mit dem Gewinn der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen in Paris und dem Namen seines Vorgängers Horst Hrubesch verknüpft ist.
Bei der Frage, wen er für die Mission nominieren wird, kann sich der 51 Jahre alte Bundestrainer noch ein bisschen Zeit lassen, denn die Teilnehmerlisten müssen erst kurz vor der Abreise bei der UEFA eingereicht werden. Fest stehlt allerdings schon, dass Giulia Gwinn die Fußballerinnen künftig als Kapitänin anführen wird. Das gab der Bundestrainer am Dienstag bekannt.
Unabhängig von weiteren Kandidatinnen ist Wück heute schon klar, dass all jene, die er dann dabei haben will, vor allem ein Attribut erfüllen müssen: Er verlangt außerordentlichen Optimismus. „Ich werde keine Spielerin mit zur EM nehmen, die nicht daran glaubt, dass wir den Titel holen können.“
„Das Gerüst steht“
Den Kader, kündigte er vor der Nations-League-Partie in den Niederlanden an diesem Freitag (20.45 Uhr in der ARD) an, werde „Mut, Aktivität und viel Selbstvertrauen“ kennzeichnen. Für den Auftakt gegen die Niederlande und vier Tage später in Nürnberg gegen Österreich muss er auf die Innenverteidigerinnen Sara Doorsoun und Kathrin Hendrich verzichten.
Auch wenn die Ergebnisse in den ersten vier Partien unter seiner Regie „vielleicht nicht immer gestimmt haben“, wie er bemerkte, sei er „zufrieden mit der Art und Weise“, wie sich die Gruppe gegen England (4:3), Australien (1:2), die Schweiz (6:0) und Italien (1:2) präsentierte: „Das Gerüst steht“, sagte Wück, wobei ihn insbesondere die personelle Situation in der Offensive zuversichtlich stimmt.
Den Rücktritt von Alexandra Popp, die als prägender Charakter in und außerhalb der Kabine eine Menge Aufmerksamkeit auf sich zog, soll das Team in Wücks Überlegungen dadurch kompensieren, dass die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt wird: „Da haben wir viel Qualität“, sagte der Bundestrainer und diese positive Ist-Beschreibung konnte Lea Schüller, ohne, dass er sie bei Namen nannte, durchaus auch auf sich beziehen.
Beim FC Bayern München, der ein Ensemble vorweisen kann, dessen Qualität auch durch einen internen Konkurrenzkampf fortwährend verfeinert wird, ist die 27 Jahre alte Mittelstürmerin eine respektierte Größe. In 25 Pflichtspielen gelangen ihr in dieser Saison bislang neun Tore für den Meister, der wiederum gute Chancen auf das Double besitzt und zudem in der Champions League das reizvolle Viertelfinal-Los zog, sich im März mit Olympique Lyon zu messen.
„Die EM“, sagte Lea Schüller im Gespräch mit der F.A.Z., sei für sie in Anbetracht des vollen Pflichtprogramms mit dem Klub aktuell zwar „am weitesten weg“, doch das ändere nichts an ihrer „Vorfreude“ auf die Veranstaltung, von der sie annimmt, dass sie auch wegen der räumlichen Nähe zu Deutschland in der Aufmerksamkeit eine größere Rolle spielen wird als die Weltmeisterschaft 2023, die in Australien in vielerlei Hinsicht aus deutscher Perspektive nicht hielt, was sich von ihr versprochen wurde.
„Nie ein Mittelpunkts-Typ“
Lea Schüller erhofft sich eine „ähnliche Euphorie“ wie im Sommer vor drei Jahren, als sie als Endspielverlierer aus England heimkehrten, aber den nachhaltigen Eindruck gewannen, „dass wir richtig was auf die Beine gestellt haben“.
Für sie selbst waren die Wochen in London eine zwiespältige Angelegenheit, weil sie an Corona erkrankte und ihren in der Vorbereitung erarbeiteten Stammplatz an Alexandra Popp verlor – die das Beste aus der unvermuteten Möglichkeit machte, als treffsichere Anführerin auftrumpfte und danach zu einer so begehrten Persönlichkeit des öffentlichen Interesses wurde, bis sie feststellte, dass ihr der Rummel zu viel wurde.
Als Popp im vorigen Herbst ihren Rückzug aus der Nationalelf verkündete, verband sie das auch mit dem Hinweis, dass ihr das Scheinwerferlicht oftmals zu grell geworden war. Lea Schüller sagt über sich, dass sie sich freue, wenn sie als „ein Vorbild für Mädchen“ wahrgenommen werde, doch sie sei noch nie „so ein Mittelpunkts-Typ gewesen“. Deswegen habe sie früh für sich erkannt, dass sie „keine Einzelsportlerin“ sein möchte, sondern sich in einem Team, das zusammen etwas bewegen möchte, besser aufgehoben fühlt.
Kopfball als „signature move“
Wück schätzt an ihr Athletik und Handlungsschnelligkeit, die sie bei Vorstößen einzusetzen versteht, aber auch in der Rückwärtsbewegung zur Unterstützung der hinteren Reihen zeigt. Zu Lea Schüllers Stärke zählt das Kopfballspiel, was von einer Sprungkraft begünstigt wird, die im DFB-Ensemble ihresgleichen sucht – manche ihrer Kritiker früher aber zum kurzsichtigen (Fehl-)Urteil verleitete, die 1,73 Meter große Athletin darauf zu reduzieren.
„Nur weil es Fußball heißt, bedeutet es nicht, dass es was Schlechtes ist, wenn man mit dem Kopf trifft“, sagte Lea Schüller inzwischen mit der Gelassenheit einer Goalgetterin, die neben den Triumphen mit den Münchnern für ihren Einsatz auch schon mit der „Torjägerkanone“ geehrt und als „Fußballerin des Jahres“ ausgezeichnet wurde.
Dass sie so hoch springen und den Ball dann mit der Stirn gezielt ins Tor drücken kann, hat für sie längst die Bedeutung eines „signature moves“: „Darauf bin ich schon stolz“, sagte sie, und dass sie, wenn sie sich etwas wünschen dürfe, in Kombination mit den flankenden Mitspielerinnen im DFB-Team künftig gerne die Gelegenheit erhalten würde, diese Begabung „öfter zur Geltung zu bringen“. Nach allem, was sich in diesen Wintertagen prophezeien lässt, dürfte es gerade für Lea Schüller, sollte sie fit bleiben, daran bis in den Hochsommer hinein nicht mangeln.