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Welche Rolle spielen die „Spin doctors“ der Kanzlerkandidaten? | ABC-Z

Wenn man sich die letzten Auftritte der Spitzenkandidaten anschaute, konnte man einige überraschende Veränderungen feststellen: Olaf Scholz wirkte emotionaler, ohne dass ihm Ausrutscher ins Feld kleinlicher Herabwürdigungen („Fritzchen“) oder ins Höllenreich von Wut und Larmoyanz wie bei Lindners Entlassung passierten. Robert Habeck schien sich ein neues Zuhörgesicht zugelegt zu haben, Friedrich Merz lächelte ungewohnt häufig, als sei er eigentlich schon Kanzler und habe sich von den Ärgernissen des Daseins eines bloß mittelbeliebten Oppositionsführers beurlaubt, nur bei den Themen Wirtschaft und Migration kam der scharfe Knatterton wieder durch.

War all das die Folge von inneren Veränderungen der Kandidaten – oder das Werk von Beratern, die darum wissen, dass Wahlkampf auch ein Kampf der Bilder, Gesten, unterschwelligen Botschaften und Inszenierungen ist? „Scholz angriffslustig“, schrieben die ihm nicht immer wohlgesinnten Hauptstadtmedien anerkennend. War Scholz, der sich oft das böse Wort vom viel zu sachlichen Scholzomaten anhören musste, emotionaler geworden – oder hatten seine Berater ihm nahegelegt, mehr Leidenschaft zu zeigen?

Wie viel ist echte Emotion und wie viel Schauspielerei?

Vor der Wahl arbeiten zahllose Agenturen, Berater und „Spin doctors“ am Image, am Auftreten und an den Positionen der Spitzenkandidaten. Am Ende haben sie die Macht, die Mehrheitsverhältnisse massiv durcheinanderzubringen. So könnte es unter anderem am unerwarteten Wiederaufstieg der Linken liegen, dass vielleicht weder ein schwarz-rotes noch ein schwarz-grünes Bündnis eine Mehrheit bekommt. Die Partei galt nach der Abspaltung der Wagenknecht-Truppe als moribunder Restsozialismus-Torso, jetzt gilt der Einzug in den Bundestag als sicher – mit, wenn es so kommt, schwerwiegenden Folgen für die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag.

Was ist da passiert, wer sind die Mechaniker dieses Erfolgs? Wer auf die Website der Linken geht, findet dort eine Einladung zum Workshop „Tiktok als Tool zur politischen Kommunikation“. Veranstalter war Felix Schulz, der den Tiktok-Kanal von Heidi Reichinnek betreut. Der 31-jährige Schulz, von Beruf Art Director, ist einer der Konstrukteure von Reichinneks Erfolg. Die Linke habe, sagt Felix Schulz, mit 100.000 Haushalten über drängende Probleme gesprochen, die Auswertung prägt das Parteiprogramm, „seit einem Dreivierteljahr sind wir stark auf Tiktok präsent“.

Heidi Reichinnek (M), Spitzenkandidatin von der Partei Die Linke uznd TikTok-Star, bei einem politischen «Speed-Dating»dpa

Reichinneks „Brandmauer-Rede“ sollen gut 29 Millionen Menschen in den sozialen Medien verfolgt haben – gerade bei jüngeren Menschen ist die Partei präsent und sichert sich mit der radikalen Forderung nach Enteignung von Wohnkonzernen, Verstaatlichung von Grund und Boden und Beibehaltung der Migrationspolitik die Stimmen eines linken Spektrums, das sich bei den Grünen nicht mehr zu Hause fühlt. Die Partei hat eine App, bei der Opfer von vermutetem Mietwucher Hilfe bekommen, die Zahl der Parteimitglieder sei so hoch wie nie, das Durchschnittsalter der neuen Mitglieder bei 28 Jahren.

Das Plakat „Wir legen uns mit den Reichen an. Macht ja sonst keiner“ macht mit Freude am Populismus einen Gegner aus. Ab wann ist einer reich? Was heißt „anlegen„? Egal. Schulz ist einer der Strategen im Hintergrund, die man, seit der Schriftsteller Saul Bellow diesen Begriff 1977 einführte, auch „Spin Doctors“ nennt: jemand, der im Hintergrund die Fäden zieht, Strategien entwickelt, Inhalte und Images plant.

Mit wem immer man in diesem Metier spricht, der sagt als Erstes: „Ich sehe mich nicht als Spin Doctor und möchte auch nicht so bezeichnet werden“ – weil dem Spin Doctor etwas Zwielichtiges anhaftet, der Verdacht, ein „Rumdreh-Doktor“ zu sein, der den Wähler hinters Licht führt und den Kandidaten als jemanden verkauft, der er gar nicht ist. Aber natürlich gibt es Spin Doctors, die sich heute lieber Kommunikationsberater nennen, und ihr Einfluss und die Folgen ihrer Strategien prägen die politische Kultur. Zum Beispiel, in dem sie die Kandidaten zu TikTok bringen.

Wie Populisten TikTok für sich nutzen

Wenn man davon ausgeht, dass die Kanäle für politische Willensbildung vieler jüngerer Menschen sich auf Instagram und Tiktok beschränken, sind die Followerzahlen dort interessant – Weidel führt die Liste mit 800.000 an, Reichinnek von den Linken liegt bei 486.000, Habeck bei 59.000, Merz bei 55.000. Es wäre eine genauere Untersuchung wert, ob die überraschend schlechten Werte der traditionell von der Jugend gewählten Grünen bei den „Unter-18-Wahlen“, bei denen die Linke in Führung liegt, mit solchen Präsenzzahlen zu tun haben.

Am Image von Friedrich Merz arbeitet Bernhard Fischer-Appelt mit seiner Hamburger Agentur. „Die Bundesregierung hat ja erkennbar schlecht und kakophonisch kommuniziert“, sagt Fischer-Appelt. „Wir haben ja in der politischen Kommunikation gesehen, dass da mit Doppelwumms und Bazooka starke, große Motive angekündigt wurden, auf die dann nichts folgte“. Als Agentur setzen aber auch sie auf große Begriffe. Fleiß. Stolz. Deutschland.

Sie haben den Wahlspot zur Kampagne „Wieder nach vorne“ gemacht, der mit einem Bild des Brandenburger Tors beginnt und Deutschland mit lauter bangen Fragen anduzt („Deutschland, was ist los mit dir? . . . Warst du nicht mal Exportweltmeister?“), um dann an deutsche Qualitäten zu appellieren („dass es sich wieder lohnt, fleißig zu sein und anzupacken“), bis schließlich Merz auftaucht und mit aller ihm zur Verfügung stehenden Euphorie ruft: „Lass uns das machen, Deutschland . . . Damit wir wieder stolz sein können auf unser Land.“

Die Männer und Frauen im Spot, die wieder stolz sein und sich sicher fühlen sollen dürfen, sind allesamt weiß, und dass der Wohlstand Deutschlands nicht nur am Fleiß der Deutschen, sondern am europäischen Markt hängt, kommt nicht vor. Ist Europa als Thema so verbrannt, dass man es beiseitelässt? „In einem Wahlkampf geht es vor allem um Klarheit: Dass die CDU für Deutschland steht und für ein Deutschland, das kraftvoll ist. Der Spot geht letztlich um eine Leistungskultur, er will nicht die Zeit zurückdrehen, man soll sich aber rückbesinnen auf stabile Werte, auf den Wert, vorne zu sein und zu gestalten. Dass er da eine deutsche Identität ins Spiel bringt, ist volle Absicht“, sagt Fischer-Appelt.

Wie man mit einem frischeren Merz neue Wählerschichten anspricht

In den sozialen Medien zeigen sie Merz anders. Es gehe darum, sich verbal auf diese Medien einzustellen. Zu den erfolgreichsten Social Posts der CDU gehöre „Kannzler“, mit Doppel-N. Das sei sehr gut geklickt worden, außerdem habe man einen neuen Spot, der schon mehr als 700.000 Views habe und Merz auch viel emotionaler präsentiere. Wie das? Indem man ihn situativ zeige, leidenschaftlicher, gerade im Netz sei seine Bildsprache stark weiterentwickelt worden.

Dirk Metz (l.) ist Kommunikationsberater. Er war früher Staatssekretär und enger Vertrauter von Roland Koch.
Dirk Metz (l.) ist Kommunikationsberater. Er war früher Staatssekretär und enger Vertrauter von Roland Koch.Helmut Fricke

„Politik muss immer Verknappung, Verkürzung sein“, sagt Dirk Metz, langjähriger Regierungssprecher und Vertrauter von Roland Koch, der sich mit seiner Kommunikationsagentur heute auf Untreuefälle bei Banken, Sparkassen und Unternehmen oder Fälle sexualisierter Gewalt in Institutionen spezialisiert hat. Was rät der Berater Merz – angesichts der Befürchtungen, er werde sich, wenn eine Koalition nicht zusammen zu bekommen sei, am Ende mit den Stimmen der AfD zum Kanzler wählen lassen? Und beim Thema „Merz und die Frauen“? Er halte charakterlich und fachlich viel von Merz, sagt Metz, er habe ihn beim Wechsel im Amt des Generalsekretärs beraten habe. Die Vorwürfe seien nicht gerecht, „aber er beklagt sich zum Glück nicht jeden Tag, wie ungerecht das ist, er sagt, ich muss die Leute überzeugen, wenn ich Kanzler bin. Einem solchen Vorhalt nämlich jedes Mal entgegenzutreten, bringt nichts – schlimmer, das würde nur das Thema verstärken und wäre damit kontraproduktiv.“

Im Gegensatz zu Merz, der in seiner radikalstverwegenen Darbietungsform mit Sakko über dem Arm, Sonnenbrille und zwei „N“ gezeigt wird, versuchen Robert Habecks Berater, ihren Kandidaten dem jeweiligen Milieu, an das er sich wendet, sprachlich und optisch bestmöglich anzupassen: Wenn Habeck jüngere Influencer trifft, trägt er eine schwarze Bomberjacke und T-Shirt, so etwa bei seinem Auftritt im Stream des Gaming-Youtubers Hand of Blood, der zwei Millionen Follower hat und zu Beginn gleich einmal klarstellte, wer Habeck in seine Sendung gebracht hatte, das Wahlkampfteam der Grünen nämlich, das Ende 2024 zu ihm gesagt habe: „Yo, habt ihr Lust, dass der Robert mal vorbeischaut?“

Wolfgang Schmidt wurde 1970 in Hamburg geboren, wo er Scholz früh begegnete. Seitdem gilt er als einer der engsten Vertrauten des Kanzlers.
Wolfgang Schmidt wurde 1970 in Hamburg geboren, wo er Scholz früh begegnete. Seitdem gilt er als einer der engsten Vertrauten des Kanzlers.dpa

Und wer sagt „Yo“ zum Kanzler? Besuch im Kanzleramt: Ganz oben, mit Blick aufs Reichstagsgebäude hat Wolfgang Schmidt sein Büro. Seit 2021 ist er Bundesminister für besondere Aufgaben. Er gilt als einer der wichtigsten Berater von Scholz. Als Scholz Generalsekretär wurde, macht er den 1970 geborenen Schmidt zu seinem persönlichen Referenten. Frage an Schmidt: Diskutiert man, ob ein Auftritt zu emotional war oder zu sachlich? „Eher selten. Wir sitzen auch aus Zeitgründen nicht da und analysieren Auftritte. Aber natürlich sagen wir hin und wieder, formulier das doch beim nächsten Mal anders.“

Emotionaler? Klarer? Mitreißender? „Soziale Medien setzen stark auf Emotionalisierung. Es ist leicht, einen „Feind“ zu haben: die Regierung, die Ausländer, die Medien oder die Eliten. Wenn ich einen Sachverhalt nüchtern erkläre, dringe ich kaum durch. Es fehlt dann eine emotionalisierende Botschaft, und es gibt auch keinen solchen Gegner, gegen den ich austeilen kann.“

Was tun, wenn der Kanzler aus der Rolle fällt?

Und was, wenn der Kanzler, siehe der Fritzchen-Vorfall, die Nerven verliert und zu emotional wird? Da habe er humorvoll auf einen schweren Vorwurf von Merz reagieren wollen, sagt Schmidt. „Eigentlich hätte der Kanzler sagen müssen: Herr Merz erzählt im Bundestag die Unwahrheit. Das hatte schon etwas von Rufmord, wenn behauptet wird, Scholz habe das Verhältnis zu den Franzosen zerstört und mache eigentlich alles falsch. Dafür steht Scholz in Europa ziemlich gut da“.

Das sehen nicht alle so, viele vermissten ein Machtwort. „Aber in Koalitionsregierungen gibt es faktisch keine Machtworte. Merz sagt nun: An meinen ersten Tag werde er den Innenminister anweisen, die Grenzen zu schließen. Klingt super, hat aber mit der Realität nichts zu tun. Denn vor der Wahl zum Kanzler gibt es immer Koalitionsverhandlungen und am Ende einen Koalitionsvertrag. Da würde die Frage der Grenzschließungen natürlich besprochen und eine Vereinbarung dazu getroffen. Die Frage wäre also längst geklärt, wenn man zum Kanzler gewählt würde. Daher gäbe es überhaupt keinen Raum für eine solche Anwendung der Richtlinienkompetenz. Merz kommt es auf den Effekt an, den Eindruck der Toughness. Ich empfinde es auch ein wenig als Krise unserer demokratischen Öffentlichkeit, dass da kaum einer sagt, Sie reden aber gerade Unsinn. Wenn der Kanzler in der Sommerpressekonferenz sagt: Bedenkt doch mal, was wir erreicht haben, dann heißt es dafür gerne ‚Der Kanzler lebt in einem Paralleluniversum, der ist auf einen anderen Planeten unterwegs‘“.

Und beim Thema Migration? Es werde ja viel getan, es gebe Kontrollen an den Binnengrenzen, „es wurden seitdem über 47.000 irreguläre Migranten an den Grenzen zurückgewiesen. Deswegen sind die Zahlen der Asylgesuche und Asylanträge drastisch zurückgegangen – minus 34 Prozent Asylgesuche im letzten Jahr und im Januar über 40 Prozent weniger Anträge als im Januar 2024. Und alle CDU-Ministerpräsidenten haben beim Thema Ordnung der irregulären Migration alles unterstützt, was von der Regierung kam; es gab keine weiteren realistischen Vorschläge. Und jetzt stellt sich Herr Merz hin und sagt, es reiche alles nicht“.

Man merkt, dass die Wunden tief sind nach ein paar Jahren Ampel. Es kursieren auch böse Geschichten in den Beraterteams der implodierten Ampel. Man frage sich, sagt einer, der nicht genannt werden will, woher Habeck nebenher die Kapazitäten für ein Buch genommen habe – und Lindner die Zeit, einen aufwendigen Sommelierkurs der Stufe drei zu machen, klagt ein anderer.

Später, vor dem Kanzleramt, weht ein eisiger Wind. Vor der Bushaltestelle warten ein paar von den Temperaturen geplagte Berliner mit eingezogenen Köpfen und starren auf ein Wahlplakat, das auf einem Screen erscheint. Darauf steht „Ich wähle Olaf Scholz, weil er nicht Friedrich Merz ist“. Die Wartenden schauten geduldig auf das Plakat, als glaubten sie, dass da noch ein paar mehr Argumente kämen. Stattdessen erschien auf dem Screen eine neue Werbung für günstige Flüge nach New York, wie eine Warnung, dass es anderswo auch nicht besser ist.

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