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Ostmark: Vor 100 Jahren wurde der jüdische SC Hakoah Wien Fußballmeister – Sport | ABC-Z

Es könnte sein, dass die Fußballer des SC Hakoah Wien am 13. Juni 1925 Sofa-Meister geworden sind. Oder vielleicht Kaffeehaus-Meister? Man weiß heute nicht, wo die jüdischen Kicker damals waren, als der Wiener AC die Wiener Amateure besiegte – und der spielfreien Hakoah den Titel bescherte. Wie dem auch sei, Österreichs erste Liga hatte ihren ersten jüdischen Meister. In der ersten Saison mit Profitum.

In Österreich hatte sich der Fußball nach dem Ersten Weltkrieg rasant entwickelt. Die Arbeiter, die bloß noch acht Stunden pro Tag und 48 Stunden pro Woche schuften mussten, hatten mehr Freizeit, und viele verbrachten sie auf dem Fußballplatz. Vereine wurden gegründet, Stadien gebaut, sehr große Stadien sogar: Die 1921 errichtete Hohe Warte bot Platz für 85 000 Zuschauer. Der Sportjournalist Emil Reich schrieb im November 1924 im Neuen Wiener Journal: „Wien ist die Fußballstadt des europäischen Festlands (…). Wo noch interessiert sich die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung für den Ausgang der Wettspiele, sodass man in den Abendstunden auf der Straße, in der Elektrischen, in den Gast- und Kaffeehäusern, im Kino und fast jeden zweiten Menschen von den Ergebnissen der Meisterschaftsspiele reden hört.“ Auch Künstler wurden Fußballfans: Der Komponist Alban Berg war Anhänger von Rapid, der Schriftsteller Friedrich Torberg von Hakoah. „Warum ich Hakoahner wurde? Warum ich stolz darauf bin, es zu sein? Warum ich glaube, dass es eine Hakoah geben musste?“, schrieb Torberg. Die Antwort gab er selbst: „Weil sie den andern beigebracht hat, ,Herr Jud’ zu sagen.“

Vor einhundert Jahren: SC Hakoah Wien wird Meister – den entscheidenden Treffer schießt der stürmende Keeper

In Wien lebten in den 1920er-Jahren viele Juden, und sie hatten mit Antisemitismus zu kämpfen. Das galt auch für die Hakoah. Die jüdische Wiener Morgenzeitung schrieb 1923 über die Partie zwischen der Hakoah, die mit dem Davidstern auf den blau-weißen Trikots spielten, und dem deutschnationalen Wiener Sport-Club: „Schimpforgien, in denen das Wort ‚Saujud’ immer wiederkehrte und wilde Drohungen konnte man von allen Seiten vernehmen.“ Das Spiel wurde nach drei Platzverweisen abgebrochen.

Die Hakoah hatte ihr Stadion in der Krieau, unweit des Prater, es fasste mehr als 20 000 Zuschauer. Der Klub nahm nur jüdische Fußballer auf und hatte einige Legionäre im Kader: Sechs der 17 Kicker kamen aus Ungarn, etwa Béla Guttmann, der vor Admiral Miklós Horthy und dessen judenfeindlicher Politik geflohen war – und angeblich auch wegen einer Schwarzgeldaffäre. Die Hakoah hatte das höchste Budget in der ersten Liga, sie finanzierte sich größtenteils über Mäzene und Sponsoren. „In den 1920er Jahren lebten 200 000 Jüdinnen und Juden in Wien, einige waren wohlhabend und sahen die Hakoah als Prestigeobjekt“, sagt Paul Haber, 80, am Telefon. Haber, früher ein bekannter Schwimmer und Sportmediziner, war 38 Jahre lang Präsident des SC Hakoah Wien, 2024 trat er zurück.

Dass die Erstliga-Fußballer in der Saison 1924/25 Profis waren, das war in Kontinentaleuropa einzigartig. Italien und Spanien folgten 1926, Frankreich 1932, Deutschland gar nicht. Auch in Österreich hatte es Widerstand gegeben. Manche agitierten, wie das Fußball-Magazin Ballesterer, gegen „arbeitsscheue Gladiatoren, die vom Sport leben“ wollen, und gegen „Geschäftemacherei“. Aber schließlich forderten einige Wiener Vereine – die Hakoah, die Amateure (die spätere Austria), Rapid, Vienna und der Sport-Club, später auch die Admira – die Einführung des Profitums, der Wiener Fußball-Verband und der ÖFB stimmten zu, und am 21. September 1924 startete die erste Profisaison. Elf Klubs nahmen teil, alle kamen aus Wien, auch der SK Slovan, der Verein der Wiener Tschechen.

Die Hakoah stand bereits zur Winterpause vorn in der Tabelle, dicht gefolgt von der Admira und von Rapid. Im Winter reisten die Hakoah-Kicker ins Ausland, unter anderem des Geldes wegen; man kennt das ja heute vom FC Bayern, dessen Fußballer in Spielpausen vorwiegend nach Asien fliegen oder in die USA. Die Hakoah war im Winter 1924/25 in Ägypten und Palästina, und sie spielte dort meistens vor großem Publikum. „Ja, es war Geldbeschaffung“, sagt Paul Haber, „aber es ging auch darum, den Fußballsport in diesen Ländern bekannt zu machen – es gab dort später Vereinsgründungen mit dem Namen Hakoah.“

Zu Beginn der Rückrunde verlor die Hakoah erst den Trainer, Billy Hunter ging in die Türkei, und dann die Tabellenführung. Sie erkämpfte sich diese aber – ohne hauptamtlichen Coach, was heute nahezu unvorstellbar ist – durch ein 4:1 bei der Vienna zurück, vor 30 000 Zuschauern auf der Hohen Warte, wo der Schlachtruf „Hoppauf Hakoah“ überall zu hören war. Und dann kam – spät, aber immerhin – auch ein neuer Trainer: Am 1. Mai übernahm der Ungar Frigyes „Fritz“ Molnar, ein früherer Hakoah-Spieler.

Der Klub wurde 1938 aufgelöst: Funktionäre und Spieler flohen, tauchten unter oder wurden ermordet

Das wichtigste Spiel folgte dann am 6. Juni 1925: Die Hakoah gastierte beim Wiener Sport-Club. Zweimal ging sie in Führung, zweimal glich der Gastgeber aus – und beim zweiten Gegentreffer verletzte sich Hakoah-Keeper Sandor Fabian an der Hand. Auswechslungen waren damals nicht erlaubt. Deshalb tauschte Torwart Fabian mit Linksaußen Alexander Neufeld-Nemes, der seine Sache auf der Kalklinie zwischen den Pfosten angeblich sehr ordentlich machte. Und Fabian? In der 85. Minute flankte Ernö Schwarz von der Grundlinie, der Ball segelte durch den Strafraum und blieb vor Fabians Füßen liegen. Die Hand war verletzt, aber die Füße waren gesund, also schob der stürmende Keeper den Ball zum 3:2-Siegtreffer ins Tor des Wiener Sport-Clubs. Es war der „vielleicht schicksalsschwerste Treffer“ in der Geschichte der Hakoah, schrieb die Wiener Morgenzeitung. Jetzt mussten die jüdischen Fußballer nur noch darauf warten, wie der Wiener AC eine Woche später gegen den Konkurrenten Wiener Amateure spielen würde, um Sofa- oder Kaffeehausmeister zu werden.

Nachtrag: Der SC Hakoah Wien wurde nach dem sogenannten Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich 1938 aufgelöst. Funktionäre und Spieler flohen, tauchten unter oder wurden ermordet. Béla Guttmann überlebte, aber der Kapitän der Meistermannschaft, Max Scheuer, wurde in Auschwitz umgebracht. Einige Spieler gründeten im Exil, etwa in Sydney, Buenos Aires oder Tel Aviv, jüdische Vereine und nannten sie Hakoah. Nach dem Krieg wurde der SC Hakoah Wien wiederbelebt, er hat aber heute keine Fußball-Abteilung mehr. „Nach 1945 lebten nur noch 6000 Juden in Wien“, sagt Paul Haber: „Die Hakoah hatte noch einige Jahre eine Fußball-Sektion, sie wurde dann aber mangels Nachwuchs aufgelöst.“

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