Serie A: “Grandezza alleine reicht nicht” | ABC-Z

Ich bin auch ein Kind des italienischen Fußballs. Meine Schule hieß AC
Milan. Das 4:0 gegen Barcelona im Champions-League-Finale 1994 war in meiner
Ausbildung der Gradmesser dafür, wie eine Elf gemeinsam angreift und
verteidigt. Welche Abstände halten wir ein? Wer steht in der Verantwortung, den
Ball zu erobern? Wann sind Querpässe verboten? Kein anderes Spiel hat uns unser
schwedischer Chef-Ausbilder Björn Andersson öfter vorgeführt, er muss es
hundert Mal gesehen haben.
Meine andere Italien-Erfahrung: Gegen
italienische Mannschaften habe ich während meiner Karriere schwere Niederlagen
eingesteckt. In meiner Jugend war es ein Albtraum, gegen sie zu spielen. Auf
Turnieren auf Sizilien, in Viareggio oder auf Sardinien bekamen wir nichts geschenkt,
dafür immer auf die Mütze. Später verloren wir mit der Nationalelf die
Halbfinals der WM 2006 und der EM 2012.
Und in meinem ersten europäischen Finale mit
dem FC Bayern schlug uns Inter Mailand 2:0. Von Defensivmaestro José Mourinho
eingeschworen, erzielte Inter zwei Tore nach langen Bällen. Wir, erst am Anfang
einer Entwicklung, waren taktisch unreif und als Kollektiv überfordert.
Ich weiß also, was Italiens Fußball stark
macht. Ich sollte sagen: was ihn stark machte. Denn dieser
Champions-League-Titel war bislang der letzte. Einst die weltbeste Liga, könnte
die Serie A bald (wie von 1969 bis 1984) fünfzehn Jahre lang leer ausgegangen
sein. In der aktuellen Saison ist Inter Italiens letzter Vertreter – und gegen
Bayern im Viertelfinale, dessen Hinspiel am Dienstag stattfindet, nicht der
Favorit.
Man konnte schon 2010 ahnen, dass etwas endet.
Um das Halbfinale gegen die Übermacht FC Barcelona zu überstehen, brauchte
Inter enorm viel Glück. Im Hinspiel half ein Vulkan aus Island, dessen Ausbruch
die Anreise aus Spanien erschwerte. Im Rückspiel verbarrikadierte sich Inter
auf skurrile Weise im Strafraum. So was geht eigentlich selten gut. Mourinho
spürte es wohl, er verließ den Triple-Sieger und wechselte nach Madrid.
Früher wollten alle nach Italien. Mailand war
die Fußballhauptstadt der Welt. Bei uns in Deutschland wurde ein Satz von
Andreas Möller zum geflügelten Wort: “Mailand oder Madrid, Hauptsache,
Italien!” Jeder versteht bis heute, was er gemeint hat, nicht nur
Italien-Urlauber wie ich.
Grundlage der sportlichen Überlegenheit war
Arrigo Sacchis ballorientierte Raumdeckung, das Betriebssystem des Fußballs bis
heute. Ganz Italien übernahm es, daraus entstand ein riesiger Vorteil. In den
Neunzigern stand Milan dreimal in Serie im Endspiel, anschließend dreimal
Juventus. Vereine wie Sampdoria Genua, AC Parma und Lazio Rom holten
europäische Pokale. 2003 noch gab es das Finale Juventus gegen Milan. Das
einzige in der Geschichte der Champions League, in dem kein Tor fiel.
Der Abschwung hat verschiedene Gründe. So sind
etwa viele italienische Vereine nicht mehr in Händen von Mäzenen aus der
Heimat, sondern in denen von Investoren aus den USA. In England wird Kapital
aus dem Ausland akzeptiert, in Italien gingen durch diesen Ausverkauf offenbar
Identität und Bedeutung verloren.
Das sieht man an den veralteten Stadien. Ich
wundere mich darüber, wir reden schließlich von dem Land, in dem das Colosseum
steht. Für die EM 2032 wird Italien seine Arenen modernisieren. Es gibt Pläne,
das San Siro, einst die Scala des Fußballs, neu zu bauen. Das ist gut, eine
Gesellschaft braucht nachhaltige und familiengerechte Begegnungsorte, um das
Kulturgut Fußball zu feiern.