Frankfurt: Israelische Start-ups als Wirtschaftsmotor | ABC-Z

Im direkten Skyline-Vergleich kann Frankfurt gegen New York nicht punkten – dafür aber mit anderen Vorzügen. Gute Erreichbarkeit beispielsweise. Besonders wenn man den Startpunkt Tel Aviv wählt. Nur drei Flugstunden trennt die beiden Metropolen. Frankfurt und die gesamte Rhein-Main-Region buhlen um Start-ups aus Israel – und stehen dabei in direkter Konkurrenz zu Städten wie New York oder Tokio. Die agile Start-up-Szene Israels, die besonders in den Bereichen Cybersicherheit und Defence Tech internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, dient als Vorbild für viele andere Länder.
Die Hoffnung, den hessischen Wirtschaftsstandort durch die Ansiedlung innovativer Unternehmen zu stärken, ist groß. Bei der Konferenz „Restart IL Economy“ trafen vor einigen Wochen bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Frankfurt Vertreter von 20 israelischen Start-ups auf Entscheidungsträger aus der hessischen Wirtschaft und Politik sowie auf potentielle Investoren. Ziel sei es gewesen, den Weg für weitere Geschäftsbeziehungen zwischen Israel und Hessen zu stärken und für das Rhein-Main-Gebiet als Standort zu werben, sagt Charlie Müller. Er ist Geschäftsführer der von mehreren Hochschulen getragenen Start-up Initiative Futury und gehört zu den Organisatoren der Konferenz.
„Wir müssen uns strecken“
Es sei wichtig, über die Veranstaltung hinaus im Gespräch zu bleiben – zumal die israelische Initiative Restart IL Start-ups auch in New York und anderen Städten mit potentiellen Investoren zusammenbringt. „Das Rhein-Main-Gebiet hat einiges zu bieten“, sagt Müller. Neben wirtschaftlichen Faktoren sei auch die in Frankfurt sehr aktive jüdische Gemeinde, eine der größten in Deutschland, ein wichtiger Faktor. Aber es reiche nicht, von einer Willkommenskultur zu reden. Man müsse konkrete Anreize schaffen, um die Start-ups tatsächlich zu gewinnen. „Wir müssen uns zur Decke strecken, damit wir sie von uns überzeugen.“
Auch deshalb sei im Anschluss an die Konferenz gemeinsam mit den Vertretern der israelischen Start-ups in einem Workshop erarbeitet worden, welche Unterstützung sich diese tatsächlich wünschten. Einer, der daran teilgenommen hat, ist George Frey, Geschäftsführer von Cognishine Deutschland. Cognishine ist ein digitales Gesundheitsunternehmen mit Hauptsitz in Israel, das eine Plattform für Therapeuten, Pädagogen und Pflegeeinrichtungen anbietet.
Als Geschäftsführer der Deutschlandgesellschaft in Köln konnte Frey bei dem Workshop aus der Sicht eines Unternehmens berichten, das die Gründung einer Niederlassung in Deutschland schon hinter sich hat. Frey kennt die israelische Start-up-Szene gut. „Der primäre Zielmarkt ist immer die USA – die technologische Entwicklung wird dort stark vorangetrieben.“ Außerdem sei das Thema Risikokapital in Amerika etablierter. In Deutschland gebe es viel Aufholbedarf. „Aber es gibt eben auch das Bewusstsein des Staates, dass hier etwas passieren muss.“ Er bringt die Haltung der Szene selbstbewusst auf den Punkt: „Wir sind keine Bittsteller. Wir haben ja etwas zu bieten.“
Hilfe bei Kontaktsuche und Förderanträgen gefragt
Die Entscheidung für einen Standort falle leichter, wenn bei den ersten Schritten kleine Hilfestellungen gegeben werden. Etwa durch das Vermitteln von Kontakten in die Wirtschaft, „die nicht auf den ersten Blick offensichtlich sind“, wie Frey sagt. „Wir sind alle immer auf der Suche nach Finanzierung“, fährt er fort. Der Zugang zu Förderprogrammen oder der Kontakt zu möglichen Partnern sei aber, wenn der Markt vor Ort noch nicht vertraut sei, manchmal kompliziert zu durchblicken. Hier einen Ansprechpartner zu haben, der das Ökosystem gut kenne, erhöhe die Erfolgschancen – und damit auch die Wahrscheinlichkeit für eine Standortentscheidung.
Die Liste der Wünsche und Anregungen, die während des Workshops erarbeitet wurden, ist lang. „Die Start-ups suchen aber zwei Sachen sehr schnell: Unternehmenspartner und Finanzierungskapital“, fasst Futury-Geschäftsführer Müller zusammen. Geplant sei, ein Willkommenspaket für interessierte Unternehmen zu schnüren. Dabei werde man auch Freys Anregung aufgreifen, Anwälte miteinzubinden, die auf das Thema Gründung spezialisiert sind. „Es geht darum, es den Unternehmen leicht zu machen, die ersten Schritte zu gehen“, sagt Frey dazu und wirbt für eine kalkulierbare Beratungspauschale.
Eine weitere Idee sei, den Unternehmen einen erfahrenen Partner an die Seite zu stellen, der dabei helfe, sich im deutschen Start-up-Ökosystem zu bewegen. „In Israel macht man eben anders Business als in Deutschland“, sagt Müller – und nicht selten sei genau das einer der Gründe, wieso in Israel manchmal Ideen schneller umgesetzt würden. Gerade beim Faktor Zeit zeige sich der Mentalitätsunterschied zwischen den Ländern, meint der Futury-Geschäftsführer. Müsse ein Start-up vier Wochen auf einen Termin bei einem potentiellen Investor oder Partner warten, könne das ein junges Unternehmen schon in Schwierigkeiten bringen: „Ein Start-up hat vieles, aber nicht endlose Ressourcen. Da ist man dankbar für ein schnelles Nein.“
Israel hat die höchste Start-up-Dichte weltweit
Der Kulturwandel erfordere Vorbilder und Geduld – auf allen Seiten. Israel habe in vielen Bereichen einen Vorsprung. So werde in dem Land mit der höchsten Start-up-Dichte weltweit schon an den Universitäten der Fokus auf das Thema Gründung gelegt. „In Deutschland werden Arbeitnehmer, in Israel Arbeitgeber ausgebildet“, sagt Müller, der sich von dem Austausch positive Effekte auf die heimische Wirtschaft erhofft. „Israel hat eine der progressivsten Start-up-Szenen. Wir wollen sie fest an unser Ökosystem andocken.“
Auch Stefan Mai, Vizepräsident der IHK Frankfurt, hofft auf eine intensivere Zusammenarbeit. „Die israelische Wirtschaft ist geprägt von einer Hands-on-Mentalität. Das ist insbesondere für jene Unternehmen interessant, die innovative Lösungen für wirtschaftsstarke Branchen in der Region anbieten, etwa in den Segmenten Finanzmarkt, Healthcare, Logistik, Robotics sowie Defence.“ Die IHK wolle als Brückenbauer fungieren, „um die Innovationskraft israelischer Unternehmen für die Wirtschaft unserer Region nutzbar zu machen“.
Auch Frankfurts Wirtschaftsdezernentin Stephanie Wüst (FDP) hofft auf einen Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen. Gemeinsam mit Partnern wie Frankfurt Forward und Futury gehe es darum, „passende Rahmenbedingungen zu schaffen, damit internationale Gründer hier nicht nur ankommen, sondern auch wachsen können“.
Cognishine-Manager George Frey zeigt sich beeindruckt von dem unbedingten Willen der Region, im Konkurrenzkampf um vielversprechende Start-ups als Sieger hervorzugehen. Er sagt aber auch: „Was einem als Gründer bei aller Unterstützung nicht erspart bleibt, ist, den Aufbau des Geschäfts selbst voranzutreiben.“