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Max-Mannheimer-Gymnasium Grafing: Olga Mannheimer plädiert für Toleranz – Ebersberg | ABC-Z

Tatsächlich wirkte Olga Mannheimer ein wenig gerührt, als sie sich von ihrem Stuhl auf dem Podium in der „Badewanne“ genannten Aula des Max-Mannheimer-Gymnasiums wieder erhob, nachdem sie eine gute Stunde lang vom Namensgeber der Grafinger Schule, ihrem Schwiegervater, und ihren eigenen Erfahrungen als Tochter eines Lemberger Juden erzählt hatte. Auf jeden Fall, das stellte sie im Anschluss fest und wirkte fast ein bisschen überrascht, war sie beeindruckt von der konzentrierten Aufmerksamkeit, mit der ihr die etwa 160 Schüler der elften und zwölften Klasse zuhörten. Hatte sie sich doch, wie sie freimütig vor den Gymnasiasten eingeräumt hatte, ein wenig vor ihnen gefürchtet.

Konzentriert hörten die Schülerinnen und Schüler zu, als Olga Mannheimer über ihre Familie, aber auch die beunruhigenden aktuellen Entwicklungen sprach. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Im Gegensatz zu ihrem Schwiegervater, jenem 2016 gestorbenen, vielleicht bekanntesten Zeitzeugen der Shoah, ist es die 1959 in Warschau geborene Journalistin, Übersetzerin, Lektorin und Autorin nicht gewohnt, in Schulen aufzutreten. Der Kontakt nach Grafing war über Werner Kafka zustande gekommen. Kafka war selbst Schüler des Gymnasiums in einer Zeit, in der es noch keinen erinnerungsträchtigen Namen trug, ist heute Autor und, wie Olga Mannheimer auch, Mitglied im Freundeskreis des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur an der LMU. Eine Einladung von Direktorin Nicole Storz folgte auf Kafkas Kontaktaufnahme – und eine Welle der Zustimmung aus dem Kreis der Schüler. Fast vollständig hätten sich die beiden Jahrgänge der Oberstufe angemeldet, um ihre letzten beiden Unterrichtsstunden an diesem frühlingshaften Freitag mit Erinnerungsarbeit zu verbringen, berichtete die Schulleiterin.

Olga Mannheimer (Mitte) mit Schulleiterin Nicole Storz (links) und  Nermina Regenfuß vom Freundeskreis des Lehrstuhls für jüdische Geschichte und Kultur an der LMU. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Und jene Gymnasiasten stellten nun dem Gast Fragen, die nicht nur beeindruckend, sondern in ihrer Intensität und ihrer Aktualität ebenso erschreckend waren wie in ihren Schlussfolgerungen. Was sie von Holocaustleugnern halte, wollte ein junger Mann von Olga Mannheimer wissen, wie es ihr Schwiegervater geschafft habe, trotz seiner Erfahrungen im KZ so ein positiver Mensch zu bleiben, fragte ein Mädchen, ob Max Mannheimer im Alter immer noch mit den Erinnerungen an die Zeit im KZ zu kämpfen hatte – und ob er wohl heute schlaflose Nächte hätte, wenn er noch lebte.

„Eine Welle der Gewalt, die wir uns so nicht vorstellen konnten“

Sie selbst jedenfalls habe solche schlaflosen Nächte vor dem Hintergrund eines wieder erstandenen Antisemitismus in Deutschland und einer Welle antisemitischer Gewalt nach dem Hamas-Überfall im Oktober 2023, „die wir uns so nicht vorstellen konnten“, erklärte Olga Mannheimer. Und es sei ein Glück, „dass Max das nicht mehr sehen muss“ – wenngleich er das alles vielleicht auch mit mehr Gelassenheit genommen, hätte. „Er war ziemlich unerschrocken, nachdem er ja alles erlebt hat, was man erleben kann.“ Selbst auf Bodyguards habe er bis zu seinem Tode verzichtet, dem Drängen seiner Familie zum Trotz.

Max Mannheimer war es immer ein Anliegen, junge Leute davor zu warnen, die Fehler der Geschichte zu wiederholen – hier bei einem Besuch im Grafinger Gymnasium im Jahr 2016. (Foto: Christian Endt)

Heute wäre das vielleicht anders. Olga Mannheimer berichtete etwa von Morddrohungen gegen die Schauspielerin Uschi Glas, die sich gegen Judenhass engagiert. Sie erzählte von einem jüdischen Arzt in Berlin, der unlängst – ungefragt – unter Polizeischutz gestellt wurde, sprach über die zumindest in einem Teil unserer Gesellschaft zu beobachtenden Bestrebungen einer Täter-Opfer-Umkehr in diesen  „postfaktischen“ Zeiten. „Wahrscheinlich hätte man heute auch Max unter Polizeischutz gestellt.“

Max Mannheimer hatte immer ein besonders inniges Verhältnis zum Grafinger Gymnasium gehabt. 32 Mal war er hier in den 30 Jahren, die er dem Wachhalten der Erinnerung an jene Zeit gewidmet hatte, die als die dunkelste dieses Landes in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Mannheimer, Überlebender des Konzentrationslagers Auschwitz, der als junger Mann in den Gaskammern der Nationalsozialisten seine erste Frau und seine gesamte Familie bis auf einen Bruder verloren hatte, wusste wie kaum ein anderer von jenem Grauen zu berichten und zugleich eine persönliche Brücke zwischen sich und seinen meist jugendlichen Zuhörern zu bauen.

Nur „Max“  hieß er deshalb auch bei jenen Grafinger Schülern, die ihn noch kennenlernen durften und 2017, kurz nach seinem Tod, in einer Ausstellung an ihn erinnert hatten. Seit 2020 trägt die Schule den Namen ihres so berühmt gewordenen Gastes. Für seinen tiefen Humor war er ebenso bekannt wie für die Unerschrockenheit, mit der er auch jenen begegnete, die ihm ihrerseits zunächst mal kein Wohlwollen entgegenbrachten – und für seine Fähigkeit, beides miteinander zu kombinieren.

„Sie haben aber große Tattoos – schauen sie, meines ist ganz klein“

Von einer Gedenkveranstaltung in Sachsen etwa erzählte die Schwiegertochter, bei der Rechtsradikale und Mitglieder der Antifa aneinander geraten waren und bei der Max kurz entschlossen auf einen der Skinheads – „damals nannte man das noch so“ -, zugegangen sei, ihn auf sein großflächiges Tattoo angesprochen habe. Er habe ihm die Nummer auf seinem Arm gezeigt, die ihn als KZ-Häftling gekennzeichnet hatte, und gesagt: „Sie haben aber große Tattoos, schauen Sie, meines ist ganz klein. Hat das nicht weh getan, sich die stechen zu lassen?“ Sein Gegenüber hatte er damit vielleicht nicht bekehren, zumindest aber verunsichern können, berichtete Olga Mannheimer. „Max war der Meinung, wenn es nur bei einem gelingt, dann ist schon viel gewonnen“, sagte sie. Und wenn man etwas von ihm lernen könne, dann das, dass man mit jedem reden müsse, auch wenn einem nicht gefalle, was der zu sagen habe. „Ich würde auch mit einem AfD-Wähler reden.“ Vielleicht gehe es um Unsicherheit, um die Angst, die so jemand davor habe, dass zu viele Ausländer ins Land kämen, „und wenn jemand Angst hat, muss man ihm zuhören“.

Schließlich war es an der Rednerin selbst, den Schülern ein paar Fragen zu stellen: Warum sie sich denn so dafür interessierten, was sie zu erzählen habe, wollte sie wissen. „Weil wir das alles wieder auf uns zukommen sehen“, so die nüchterne Antwort. „Und wer von Ihnen glaubt das auch?“, wollte Mannheimer wissen. Fast alle Hände gingen hoch.

Ob sie glaube, dass so etwas wie das Dritte Reich wieder passieren könne, war sie zuvor schon gefragt worden. Nicht in der Form wie es einmal war, hatte sie gesagt, „aber wirklich beruhigen kann ich Sie nicht“, erklärte sie nun, nicht angesichts der Erosion demokratischer Prozesse, die derzeit zu beobachten sei. Doch ganz ohne Hoffnung wollte sie die Schüler dann doch nicht entlassen. „Sie wissen, dass Sie selber etwas tun können, oder?“ Wer von ihnen denn das Wort „Jude“ ohne zu zögern aussprechen könne, fragte Mannheimer? Wieder gingen alle Hände hoch. „Sehen Sie, das ist ein gutes Zeichen.“ Die Definition für Antisemitismus, die sei in der Kurzfassung  „wenn man Juden mit anderen Maßstäben misst als andere Leute“. Genau das gelte es, nicht zu tun, das fange schon beim Vokabular an. Juden seien eben Juden und keine Menschen mit jüdischem Hintergrund, wie ihr einmal in einen eigenen Text hinein redigiert worden sei. „Das Wort Jude darf kein Schimpfwort sein. Wir dürfen es nicht dem Nazivokabular überlassen.“

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