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Rudi Völler: Alles kommt wieder, Filterkaffee, Vokuhila, Merz und Völler | ABC-Z

In unserer Kolumne “Grünfläche” schreiben
abwechselnd Oliver Fritsch, Christof Siemes, Stephan Reich und Anna Kemper über die Fußballwelt und die Welt des
Fußballs. Dieser Artikel ist Teil von
ZEIT am Wochenende,
Ausgabe 15/2025.

Was für ein Comeback! Da gilt jemand mit Mitte 40, also im besten Karrierealter, als Mann von gestern. Er merkt, dass er die Mehrheit verloren hat, tritt den Rückzug an, dann geht seine Spur fast verloren. Zwei Jahrzehnte später jedoch steht er wieder oben und soll Deutschland in eine blühende Zukunft führen. Eine solche Personalie wäre undenkbar in der Politik, Zwinkersmiley.

Was Merz kann, kann Rudi Völler schon lange. 2004 trat er als Bundestrainer zurück, weil er in der Vorrunde der EM sieglos scheiterte. Doch seit gut einem Jahr ist Völler wieder Sportdirektor des DFB. Und was als Übergangslösung geplant war, findet nun Fortsetzung.

In dieser Woche hat der Verband Völlers Vertrag bis 2028 verlängert, was zwei weitere Turniere einschließt. Völler, der nächste Woche 65 wird, sei “ein ganz wichtiger Baustein”, sagt der Präsident Bernd Neuendorf. “Die Nationalmannschaft und ihr gesamtes Team beim DFB sind mir ans Herz gewachsen”, sagt Völler.

Einst Auslaufmodell, heute, statt Rentner, Visionär. Eine solche Neuerfindung muss man in seinem Alter erst mal hinkriegen. Oder hat er sich gar nicht geändert, ist er kein neuer Mensch geworden, gibt es keine zwei Rudi Völlers? Das Fußballliedgut hat auf diese Frage bekanntlich eine Antwort.

Völlers Geheimnis: Er kann tricksen. Als ich Abitur gemacht habe, war er der Stürmer, der Abwehrspieler so nassgemacht hat, dass auch ich mitgesungen habe. “Ruuuudi!” Wir meinten den Arbeiterjungen aus Hanau, einen der leidenschaftlichsten Fußballer aller Zeiten, der Weltmeister wurde.

Heute lässt er Dinge aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden. Er ist noch immer so beliebt, dass sich große Teile des Volkes verbieten, seinen Sturz im WM-Finale 1990 eine Schwalbe zu nennen. Über die von Bernd Hölzenbein von 1974 spricht man noch immer.

Wie verschleiert scheint auch Völlers Zeit als Nationaltrainer. Im Gedächtnis ist seine kultige Mist-Käse-Scheißdreck-Rede, obwohl er einen ARD-Reporter in die Nähe eines Saufheinis rückte. Und obwohl Völlers Elf damals ordentlich Mist und Käse spielte. Zwar erreichte sie 2002 das WM-Finale nach Siegen gegen Saudi-Arabien, USA und Südkorea. Doch zerronnen sind die Schmerzen, bei diesem Quergeschiebe in diesen Jahren zuschauen zu müssen.

Seine letzten beiden Spiele vor dem Abgang als DFB-Trainer waren ein 0:0 gegen Lettland und eine Niederlage gegen eine tschechische B-Mannschaft. Der Kontrast zu seinem Nachfolger konnte, schon rein frisurentechnisch, nicht größer sein. Jürgen Klinsmann, sein ehemaliger Sturmpartner, verpasste der Nationalmannschaft ein Update. Damals schien Völler ein Dinosaurier.

Was auch vergessen ist: Direkt nach seinem Aus beim DFB wurde Völler Trainer bei seinem Ex-Verein AS Rom. Mit dem Meisterfavoriten gewann er ein einziges Spiel, nach Niederlagen gegen Messina und Bologna gab er auf. Dauer seiner Amtszeit: 25 Tage.

Wie er Völler erlebt hatte, beschrieb Philipp Lahm 2011. “Lustig, völlig unsystematisch” und “erstaunlich locker” sei dessen Training gewesen, “als würden ein paar Kumpels miteinander in die Ferien fahren”. Solche Trainer hatte ich in der Bezirksliga auch. Das Buch wurde zum Skandalbestseller. Völler nannte es “erbärmlich und schäbig”, dass ihn jemand kritisiert. Der Stammtisch solidarisierte sich mit ihm. Inhaltlich widersprochen hat niemand.

Noch eine Zauberei ist ihm so gut gelungen wie Beinschüsse einst auf dem Rasen. Als Leverkusen im vorigen Frühjahr Meister und Pokalsieger wurde, war Völler ein gefragter Mann. TV-Kameras blendeten ihn auf der Tribüne ein. “Vizekusen ging mir auf den Keks”, sagte er in einem Interview. Aber: Titel holte Bayer 04 erst, als der Manager Völler den Verein nach fast zwei Jahrzehnten verlassen hatte.

Doch welche Kurven das Leben nun mal so nimmt – seitdem Völler beim DFB ist, geht es mit beiden auf wundersame Weise bergauf. Julian Nagelsmann, der eine neue Begeisterung entfachte, nennt ihn “eine Vaterfigur”. Rudi ist also der Daddy, der dem Greenhorn die Flausen austreibt. Stürmer in die Abwehr zu stellen, zum Beispiel. Seit einem Jahr gewinnt die Mannschaft fast jedes Spiel, die Stadien sind wieder ratzfatz ausverkauft.

“Soll mir doch keiner sagen, dass die Argentinier besser sind als wir”, sagte Völler zu Beginn seiner Amtszeit. “Zu Spanien fehlt nicht viel”, sagte er nach der EM. Damit gibt er, auch wenn er das Wort nicht benutzt, das Narrativ vor: Das Viertelfinale gegen Spanien ging verloren, weil wir um einen Elfer betrogen wurden. Eigentlich sind wir unbesiegt, daher heimlicher Europameister. Wir hatten Pech. Über das Glück in den Spielen gegen Dänemark, Schweiz und Ungarn schweigen wir. Auch nicht über die zweite Halbzeit beim 3:3 gegen Italien neulich.

Neue Tricks braucht man diesem grauen Hasen nicht beibringen. “Niemals Latte macchiato! Das ist ein Frauengetränk!”, sagte Rudi Völler einmal. “Ich bin traditioneller Kaffeetrinker.” Alles kommt eben wieder, ob Filterkaffee oder Vokuhila und Schnurrbart.

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