Polizist erschoss 21-Jährigen in Oldenburg von hinten | ABC-Z

Ein 21-jähriger Mann ist in Oldenburg durch mindestens vier Schüssen aus einer Polizeiwaffe verletzt worden. Der Oldenburger, der zuvor Reizgas versprüht haben soll, starb in einer Klinik. Das Opfer ist Schwarz.
Die Umstände werfen Fragen auf. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg bestätigte am Mittwoch auf Anfrage des NDR Niedersachsen erneut, dass das Opfer nach derzeitigem Stand die Beamten nicht mit einem Messer bedroht habe. Unklar ist allerdings, ob die Beamten während des Einsatzes in der Oldenburger Innenstadt am frühen Sonntagmorgen davon ausgehen mussten, dass der 21-Jährige auch ein Messer mit sich führte. Vor den tödlichen Schüssen soll der junge Schwarze mit Reizgas gesprüht haben.
Polizeischüsse trafen 21-Jährigen dreimal von hinten
Laut dem Obduktionsbericht trafen den 21-Jährigen drei Schüsse von hinten – an der Hüfte, am Oberkörper und am Kopf. Das gab die Staatsanwaltschaft am Dienstag bekannt. Ein vierter Schuss soll ihn laut Obduktionsergebnis am Oberschenkel gestreift haben. Ob der Polizist von hinten auf den jungen Mann geschossen hat, um eventuell einen möglicherweise angegriffenen Kollegen zu schützen, ist unklar.
Verdacht auf Totschlag: Ermittlungen gegen Polizisten
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft haben Vorgesetzte den Polizisten, der die Schüsse abgegeben hat, vom Dienst suspendiert. Gegen den 27-Jährigen läuft nun ein Verfahren wegen des Verdachts des Totschlags. Dies sei in solchen Fällen üblich, sagte ein Polizeisprecher. Das Verfahren wird von der Staatsanwaltschaft Oldenburg geführt. Mit den Ermittlungen sei aus Gründen der Neutralität eine andere Polizeiinspektion betraut, in diesem Fall Delmenhorst. Diese soll klären, ob der Polizeibeamte in Notwehr handelte und ob die Schussabgabe verhältnismäßig war. Laut Polizeigesetz dürfen Schusswaffen gegen Personen nur eingesetzt werden, um Angreifer zu stoppen.
Anwalt: Kameras, Chats und Funkverkehr auswerten
Der Anwalt der Mutter des Opfers hat eine lückenlose Aufklärung gefordert, die Staatsanwaltschaft müsse schnell alle Beweise sichern. “Kameras in der Straße müssen überprüft und Handys der Einsatzbeamtinnen und -Beamten ausgewertet werden. Es muss sichergestellt sein, dass der Funkverkehr vor, während und nach dem Einsatz komplett und umfassend dokumentiert wird”, sagte Thomas Feltes am Mittwoch der Nachrichtenagentur dpa. Die Ermittler müssten verhindern, dass Beweise wie Chatverläufe oder Handyaufnahmen gelöscht würden.
GdP: Mutmaßungen sind fehl am Platz
Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Niedersachsen, Kevin Komolka, warnte am Mittwoch in einem Interview mit NDR Niedersachsen vor einer Vorverurteilung der Polizei. “Da werden inzwischen Rassismusvorwürfe laut, weil der Verstorbene eine Person of Colour gewesen ist. Und es kommt eine Stimmung auf, in der Polizisten als schießwütige Raufbolde bezeichnet werden”, sagte Komolka. Bis kein umfassender Bericht vorliege, seien sämtliche Mutmaßungen fehl am Platz. Zuvor hatte Patrick Seegers, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Niedersachsen, für Alternativen zum Schusswaffengebrauch geworben. Anders als die DPolG sieht Komolka den Einsatz von Elektroschockern, sogenannten Tasern, kritisch.
Behrens zu Polizeieinsatz: “Verheerende Vorwürfe”
Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) äußerte sich am Dienstag. Sie spricht von “schwerwiegenden Fragen” und “verheerenden Vorwürfen”, die durch die Ergebnisse der Obduktion aufgeworfen werden. “Ich setze darauf, dass Polizei und Justiz den Hergang der Ereignisse vom vergangenen Wochenende lückenlos rekonstruieren”, sagte Behrens am Dienstag. Die Ministerin warnte gleichwohl vor einer Vorverurteilung – es gelte die Unschuldsvermutung. Andreas Sagehorn, Präsident der Polizeidirektion Oldenburg, kündigte eine lückenlose Aufarbeitung der Hintergründe des “tragischen Ereignisses” an.
Der 21-Jährige wurde in der Nacht zu Ostersonntag durch die Schüsse lebensgefährlich verletzt und starb im Krankenhaus.
Tödliche Schüsse in Oldenburg: Was ist passiert?
Zu den tödlichen Schüssen war es Sonntagfrüh gegen 2.40 Uhr gekommen. Der 21-Jährige soll zuvor vor der Diskothek “Pablo’s” Reizgas versprüht und mehrere Menschen leicht verletzt haben. Anschließend sei er geflüchtet, so die Polizei. Ihren Angaben nach sollen mehrere Personen den Mann zunächst verfolgt haben. Sie hätten die Verfolgung abgebrochen, als der junge Mann sie mit einem Messer bedrohte. Als Polizisten den Mann angesprochen hätten, sei er davongerannt. In einer benachbarten Straße sei er dann bedrohlich auf weitere Polizisten zugegangen und habe Pfefferspray gesprüht. Dabei sei ein Beamter durch das Reizgas verletzt worden. Dann schoss der 27-jährige Beamte mit seiner Dienstwaffe. Der 21-Jährige starb kurz darauf im Krankenhaus.
Anteilnahme – und Rassismus-Vorwürfe
Die Anteilnahme am Tod des 21-Jährigen ist groß. Am Tatort in der Oldenburger Innenstadt haben viele Menschen Blumen und Kerzen abgelegt sowie Bilder aufgestellt. Gleichzeitig erheben Freunde des Getöteten schwere Vorwürfe gegen die Polizei – manche sprechen von Mord. Die Ergebnisse des Obduktionsberichts, dass der junge Mann von hinten erschossen wurde, macht viele Menschen wütend und fassungslos. Für Freitagabend ist eine Demonstration auf dem Pferdemarkt in Oldenburg geplant. In dem Aufruf, der von mehreren Initiativen unterzeichnet ist, geht es auch um Rassismus. Dieser sei auch in der Polizei strukturell, heißt es.
Oberbürgermeister mahnt zur Besonnenheit
Oberbürgermeister Jürgen Krogmann (SPD) hat im Vorfeld der für Freitag angekündigten Demonstration zur Besonnenheit aufgerufen. Der Wunsch nach lückenloser Aufklärung sei absolut nachvollziehbar, teilte Krogmann in einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme mit. Bei allem Verständnis für Trauer, Wut und Empörung dürften sich die Teilnehmenden der Kundgebung nicht instrumentalisieren lassen, warnte der SPD-Politiker. Gerade in den sozialen Medien finde eine polarisierende Debatte zwischen den extremen politischen Rändern statt. Die Stadt erwartet zur Kundgebung rund 1.000 Menschen.
Polizeigewerkschaft: Hautfarbe spielt keine Rolle
Der DPolG-Vorsitzende Seegers betonte gegenüber dem NDR Niedersachsen, dass die Hautfarbe bei Polizeieinsätzen keine Rolle spiele. “Grundsätzlich geht es bei polizeilichem Handeln nicht darum, ob jemand eine Person of Color ist oder Weiß und deutsch. Das ist nicht die Bewertungsgrundlage – sondern die konkrete Einsatzsituation”, sagte Seegers. Wenn eine Schusswaffe benutzt werde, gehe es darum, das Gegenüber zu stoppen. “Das ist mit einem Einzelschuss nur in den seltensten Fällen möglich”, sagte Seegers.
“Ergebnisse des Obduktionsberichtes sind schockierend”
Auch in der Politik sorgen die Umstände des Todes des 21-Jährigen für Bestürzung. “Die Ergebnisse des Obduktionsberichtes – Schüsse in den Rücken und in den Hinterkopf – sind schockierend”, sagte Michael Lühmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen im Landtag. Ähnlich äußert sich die SPD. “Dass der Mann nach jetzigem Ermittlungsstand von hinten getroffen wurde, wirft schwerwiegende Fragen auf”, sagte Alexander Saade, polizeipolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Es gehe nun um eine lückenlose Aufklärung – unter rechtsstaatlichen Prinzipien. “Dazu gehört übrigens auch die Unschuldsvermutung. Vorverurteilungen helfen niemandem – weder der Wahrheit noch der Gerechtigkeit”, sagte Saade.
CDU Oldenburg warnt vor Vorverurteilungen
Die CDU-Fraktion im Niedersächsischen Landtag kündigte an, eine Unterrichtung im Innenausschuss zu beantragen, “um diesen Fall politisch zu begleiten”, so der innenpolitische Sprecher André Bock. Die CDU in Oldenburg warnt davor, Polizistinnen und Polizisten vorschnell unter Generalverdacht zu stellen. “Pauschale Vorwürfe von institutionellem Rassismus und Polizeigewalt in einem noch völlig offenen Ermittlungsverfahren sind nicht nur unseriös, sondern gefährlich. Sie spalten unsere Gesellschaft, statt Vertrauen zu schaffen”, sagte Niklas Howad, Kreisvorsitzender der CDU Oldenburg-Stadt.
CDU und AfD: Taser für die Polizei
Aus Sicht der AfD ist die Vorverurteilung der beteiligten Polizisten bereits erfolgt. “Grundsätzlich gilt es, sich hinter den Polizisten zu stellen, der die Schüsse abgab und das Ergebnis der Ermittlungen abzuwarten”, sagte Stephan Bothe, innenpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Landtag. Der Fall zeige zudem, wie wichtig eine Ausrüstung der Beamten mit einem Taser sei. Ohne diesen habe den Beamten in einer Gefahr für Leib oder der Leben kein milderes Mittel als die Schusswaffe zur Verfügung gestanden, so Bothe. Auch die CDU-Landtagsfraktion will sich für eine entsprechende Ausrüstung einsetzen.
Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Hallo Niedersachsen | 23.04.2025 | 19:30 Uhr