“Parallel me”: Im Schnellwaschgang wechselnder Gegenwarten | ABC-Z

Jedes Leben ist kostbar, schön und einzigartig! Jeder Mensch ist kostbar, schön und einzigartig! Du bist kostbar, schön und einzig… Stopp! Wessen inneres Kind spätestens beim dritten Selfcare-Kalenderspruch Achtsamkeitspickel kriegt, braucht nur mal kurz einen Blick auf Tonis verkrachte Existenz werfen und sieht dort, dass jedes Leben aller Menschen selbst dann furchtbar schiefgehen kann, wenn es eigentlich alle Optionen enthält. Eben noch eine leicht überarbeitete, höchst erfolgreiche Change-Managerin, die Unternehmen in aller Welt Strategiewechsel verordnet, muss sie plötzlich ihr eigenes Leben ändern, und zwar fix.
Erst kündigt ihr der langjährige Chef den Spitzenjob. Beim Frustfeiern kündigt ihr die beste Freundin das Vertrauensverhältnis. Kurz darauf kündigt ihr ewiger Schwarm die Gründung einer Kleinfamilie an. Und weil Tonis Eltern auch noch ihr Kinderzimmer zur Sauna umfunktioniert haben, flieht sie von Selbstmitleid zerfressen ins Möbellager, wo sich knapp 30 Jahre behütetes Dasein auf ähnlich viele Umzugskartons verteilen. Von wegen kostbar, schön und einzigartig: Dieses Leben liegt in Trümmern. Es braucht einen Restart. Und zu Beginn der Paramount-Serie „Parallel Me“ kommt er schneller als erwartet.
Wie aus dem Nichts erscheint die Magierin Ariadne (Maria Schrader) nämlich mit einem Zauberschal, der Toni bei Bedarf in Alternativexistenzen befördert. Als erstes nach Bali, wo sie mit Bea (Larissa Sirah Herden) eine Segelschule betreibt – Kindheitstraum statt Kontaktabbruch also und damit alles wunderbar? Von wegen! In ihrer zweiten selbsterdachten Serie nach „Breaking Even“ legt Hauptautorin Jana Burbach („Bad Banks“) reichlich Steine vor die Füße von Tonis Parallelleben. Der größte: sie hat leider keine Ahnung, wie es in denen zugeht.
Deshalb weiß zum Beispiel die neue Ferienparadies-Toni weder den PIN ihrer Kreditkarte noch grundlegende Segelschulregeln und dummerweise auch nichts vom Plan eines Luxus-Resorts, das sie mit Ex-Chef Kai (Golo Euler) ins Naturidyll bauen will. Schockiert von der Unwegsamkeit aller abgezweigten Lebenswege, biegt sie deshalb achtmal 45 Minuten auf neue ab, die sich aber als ebenso steinig erweisen. Wenn Toni darauf Möglichkeitsräume vom K-Popstar über Businessdomina, Strafgefangene, Drogendealerin bis hin zur eigenen Alpakafarm betritt, gehen dem Writers-Room der Showrunnern Burbach zwar bisweilen die Erzählpferde durch.
Sie bleiben jedoch das Einzige, was dramaturgisch aus dem Schritttempo einer wohldosierten Verhaltensstudie der Multioptionsgesellschaft ausbricht und ihr Referenzobjekt somit leicht übersteuert. Jana Burbach will nämlich Harold Ramis Wiederholungsschleife „Und täglich grüßt das Murmeltier“ auf die Überholspur des westlich-industrialisierten Hamsterrads setzen. Ein vertracktes Unterfangen, das Sabine de Mardts Gaumont GmbH – auch wegen des gigantischen Produktionsaufwandes bis nach Südasien – virtuos meistert. Unter anderem, weil die Regisseure Felix Binder, Vanessa Jopp, Sebastian Sorger sich (also uns) jede Didaktik ersparen.
Dass niemand der Generation Y/Z Geschwister mit „Bruderherz“ begrüßt – geschenkt. Denn wie sich Tonis Eltern Selma (Caro Peters) und Thomas (Ulrich Noethen) teils noch radikaler wandeln als sein „Schwesterherz“, dies aber nicht ständig erklären; wie einzig Leon (Theo Trebs) über Tonis Häutungen hinweg dasselbe Leben mit Frau (Antonia Bill) und Restaurant (Schnitzel) führt, während sich das Baby ihrer Jugendliebe Jonas (David Kross) im Gleichschritt mit seinem Papa entwickelt; wie die Verantwortliche dafür verbissen Halt im Chaos sucht und doch ständig weiter abrutscht: all das erschließt sich aus der Geschichte allein.
Und auch, wenn dabei der gesamte Cast überzeugt, stechen zwei doch deutlich daraus hervor. Das zaghafte Tasten von Malaya Stern Takedas Toni durch deren Gegenwartssprünge ist ja bereits absolut hinreißend. Zur Sensation gerät indes Larissa Sirah Herden als Bea. Wie sie jeder erdenklichen Toni trotzt, wirkt auf so unprätentiöse Art authentisch – als Zuschauer möchte man ihr spontan das eigene Herz ausschütten. Erst im Duett aber befreien sie „Parallel Me“ vom leicht denkfaulen Ansatz mysteriöser Tricks. Ein magischer Schal als Vehikel mag nämlich surreal sein; wie sich die Protagonisten darin fortbewegen, ist ein Beziehungsporträt auf höchst realistischem Niveau.
Freundschaft, Familie, Kommunikation, Karriere: alles, was ganz gewöhnliche Leben ereignisreich macht, wird hier im Schnellwaschgang wechselnder Gegenwarten erörtert. Das macht die Serie ganz nebenbei zum Appell, öfter mal ein wichtiges Verhaltensmuster am Fuß biografischer Steilhänge zu nutzen: Neugier. „Manchmal muss man alles durcheinanderbringen“, sagt ein anderer aus Ariadnes Zeitreisegruppe irgendwann zu Toni. „Nur so kann eine neue Ordnung entstehen.“ Doch so groß die Freude über die gelungene Serie ist: Sie unterstreicht zugleich, wie schade es ist, dass sich Paramount+ abseits der internationalen Partnerschaft mit Gaumont aus der Produktion deutscher Fiktion verabschiedet hat.
“Parallel me” steht ab 26. April bei Paramount+ zum Abruf bereit.