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Ostmark: Wiener Kaffeehäuser wollen das Zeitungslesen retten – Panorama | ABC-Z

Wien hat 2000 Kaffeehäuser, und für viele Wiener ist das Kaffeehaus wie ein zweites Wohnzimmer. Eine Melange, dazu ein gutes Gespräch und viel Schmäh. Oder eine Sachertorte und dazu den Standard, den Kurier oder die Kronenzeitung. Das entspannte Lesen von Zeitungen gehört zur Kaffeehauskultur. Aber es wird weniger, das Handy verdrängt die Zeitung. Und deshalb veranstalten gerade drei Organisationen mit sperrigen Namen die Fachgruppe der Kaffeehäuser in der Wiener Wirtschaftskammer, der Verband Österreichischer Zeitungen und der Klub der Wiener Kaffeehausbesitzer die „Woche des Zeitungslesens“. Wolfgang Binder ist Obmann der Fachgruppe Kaffeehäuser in der Wirtschaftskammer.

SZ: Herr Binder, Sie verwenden für Ihre Zeitungswoche Slogans wie „Analog statt Screen. Zeitungshalter statt Handyhülle. Rascheln statt tippen.“ Was ist denn Ihr konkretes Ziel?

Wolfgang Binder: Es geht hier um: entspannen. Entschleunigen. Einen guten Artikel zu lesen, trägt dazu mehr bei, als ein 20-sekündiges Trash-Video zu schauen.

Aktuell liegt die Zahl der Zeitungsleser in Kaffeehäusern bei 38 Prozent – wollen Sie diese auf 50 Prozent steigern?

Das wäre ein heroisches Ziel! Wir wollen aber auch auf ein Problem aufmerksam machen: Soziale Medien verbreiten Fake News oder Nachrichten, die nicht gefiltert sind. Print-Produkte, also Zeitungen, haben dagegen einen hohen Anteil an Wahrheit, weil die Texte redaktionell betreut und die Inhalte überprüft werden. Wir wollen den Kaffeehausgast auch schützen. Und es geht darum, wie wir ihm die Zeitung näherbringen können.

Wolfgang Binder, Obmann der Fachgruppe Kaffeehäuser in der Wirtschaftskammer Wien, der seinen Gästen eine Woche lang extra viele Zeitungen auf die Tische gelegt hat. (Foto: Florian Wieser; Florian Wieser/Florian Wieser)

Wie machen Sie das?

Ich habe ja selbst ein Kaffeehaus: Das Frauenhuber, das es seit 1824 gibt, ist das älteste Kaffeehaus Wiens und mitten in der Stadt gelegen. Wegen den international ausgerichteten Gästen liegen bei uns Zeitungen wie die New York Times oder die Frankfurter Allgemeine auf – und natürlich die Süddeutsche Zeitung.

Danke dafür! Zurück zu Ihren Aktionen. Sie retten also das Zeitungslesen, in dem Sie einfach Ihr Sortiment erweitern?

Genau. Der Verband Österreichischer Zeitungen liefert den Kaffeehäusern gratis mehr Zeitungen, sowohl was die Auswahl an neuen Publikationen angeht als auch die Anzahl der Zeitungen, die sie bereits im Café haben. Das geschieht jeden Morgen zwischen drei und sechs Uhr. Damit verdoppeln manche Kaffeehäuser ihr Lese-Angebot.

Wie viele Zeitungen liegen denn gewöhnlich in einem Kaffeehaus aus?

Zwischen vier und 15. In der Innenstadt hat man österreichische und internationale Zeitungen, in der Peripherie nur die einheimischen Blätter. Die Cafétiers richten sich in ihrem Angebot an den Wünschen und Vorlieben ihrer Gäste aus, auch bei den aufliegenden Zeitungen.

Ein berühmter Kaffeehaus-Zeitungsleser war der Schriftsteller Thomas Bernhard, er saß immer im Bräunerhof. Inwiefern waren seine Besuche ein Ritual für ihn? Es war eine Hassliebe, die Bernhard immer ins Kaffeehaus trieb, das hat er oft erzählt. Er ging dennoch bis zu seinem Tod fast täglich dorthin. Um sich selbst zu entkommen, wie er meinte. Und was er hasste, war, dass er sich eben genau dort nicht entkommen konnte. Die Kaffeehaus-Kultur war immer mit Literaten und Künstlern verbunden. Das lag auch daran, dass die meisten wenig Geld hatten und ins Kaffeehaus gingen, weil das Heizen zu Hause so teuer war. Aber natürlich ging es auch darum, sich auszutauschen und Zeitung zu lesen. Übrigens, bei uns im Café Frauenhuber hat Mozart sein letztes Konzert gegeben.

Ihre Zeitungswoche gibt es seit zehn Jahren. Anfangs machten gut 100 Kaffeehäuser mit, jetzt nur noch 41. Warum? Viele Betriebe mussten zuletzt, unter anderem wegen Corona, ums Überleben kämpfen. Manche haben ihr Zeitungsangebot deshalb reduziert, es kostet ja etwas. Viele Cafés haben auch ihre Ausrichtung geändert, sprechen ein jüngeres, digitales Publikum an, da wäre die Zeitungswoche eine Art Bruch.

Wir erwähnten am Anfang, dass 38 Prozent der Kaffeehausbesucher Zeitung lesen. Gibt es eigentlich auch eine Umfrage, in der erforscht wurde, wie viele Menschen im Kaffeehaus aufs Handy schauen?

(lacht): Nein, das haben wir nicht abgefragt. Es sind viele – mittlerweile hat ja jedes Kaffeehaus Wlan.

Weitere Folgen der Serie „Ein Anruf bei …“ finden Sie hier.

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