Nachhaltige Kreuzfahrten: Wenn Reedereien und Umweltschützer gemeinsam gegen Bio-Sprit rebellieren | ABC-Z

Der Nabu Deutschland fordert zusammen mit Hapag-Lloyd und Co. die Schifffahrtsorganisation der Vereinten Nationen dazu auf, Biokraftstoff aus Mais oder Soja aus den Tanks zu verbannen. Die Gründe für den ungewöhnlichen Zusammenschluss unterscheiden sich jedoch deutlich.
Das Verhältnis zwischen Umweltschutzorganisationen und Reedereien ist gewöhnlich von Gegensätzen und nicht von Gemeinsamkeiten geprägt. Wenn Umweltschützer ein Ranking etwa zu den Emissionen der Kreuzfahrtschiffe herausbringen, fühlen sich die Kreuzfahrtreedereien oft zu Unrecht an den Pranger gestellt. Sie verweisen dann auf den Mangel an Alternativen zu fossilem Kraftstoff für den Schiffsantrieb und auf die eigenen umfangreichen Bemühungen.
Jetzt ist es einmal ganz anders: In einem spektakulären Dokument, das WELT exklusiv vorliegt, haben sich Reedereien wie Hapag-Lloyd aus Hamburg oder Hurtigruten und Hoegh-Autoliners aus Norwegen mit dem Naturschutzbund Deutschland (Nabu) zusammengetan. Darin fordert dieses neue Bündnis die Schifffahrtsorganisation der Vereinten Nationen, die International Maritime Organization (IMO), dazu auf, in ihrer nächsten Sitzung in London einen weitreichenden Beschluss gegen den Einsatz bestimmter Biokraftstoffe in den Schiffsmotoren auf den Weg zu bringen.
Konkret geht es um Kraftstoff, der etwa aus Mais oder Soja hergestellt wird, also aus Nahrungsmitteln vom Feld, die dann den Menschen zur Ernährung fehlen. Derartiger Biosprit konkurriert in der Landwirtschaft mit dem Anbau von Lebensmitteln und das gilt auch bei den Flächen. Die IMO legt die weltweiten Regeln der Schifffahrt fest, beschlossen werden sie per Abstimmung unter den 171 Mitgliedstaaten.
Das Thema dahinter hat für die Umwelt eine große Bedeutung. Die globale Schifffahrt ist für knapp drei Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen verantwortlich. Mehr als 90 Prozent der Schiffe fahren noch immer mit dem umweltschädlichen Treibstoff Bunkeröl über die Weltmeere.
Wirklich zur Verfügung als Alternative steht den Reedereien heute lediglich das Flüssigerdgas LNG. Synthetisch hergestellte Kraftstoffe wie Bio-Methanol, Bio-Ethanol oder Ammoniak auf der Basis von Wasserstoff gelten für die Zukunft als aussichtsreich.
Doch bis heute mangelt es an Produktionsstätten und attraktiven Preisen. Große Reedereien wie Hapag-Lloyd oder Maersk haben Schiffe für Milliarden-Summen bestellt, deren Motoren mit genau diesen neuen Antriebsstoffen fahren können.
Schifffahrt will 2050 ohne Treibhausgasemissionen fahren
Gleichzeitig haben die Mitgliedstaaten der IMO eine Klimastrategie beschlossen, nach der die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 auf null verringert werden sollen. Als Zwischenschritte sollen die Emissionen bis 2030 zwischen 20 und 30 Prozent und bis 2040 zwischen 70 und 80 Prozent gegenüber dem Stand von 2008 gesenkt werden.
Bei diesem Gesamtbild verwundert es kaum, dass etliche Reedereien oder Länder, quasi als Zwischenschritt in der Schifffahrt, Biokraftstoff aus der Landwirtschaft einsetzen. Schließlich senkt dieser Kraftstoff den Treibhausgasausstoß um etwa 60 Prozent im Vergleich zu fossilen Stoffen, wie es der Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie errechnet hat.
Die Diskussion ist bereits aus dem Straßenverkehr und dem Benzinmarkt bekannt. Das Thema „Sinn oder Unsinn von Landwirtschaftserzeugnissen im Kraftstoff“ flammte hierzulande im Jahr 2011 bei der Einführung der neuen Benzinsorte Super E10 auf. „Teller oder Tank“, lauteten damals die Schlagzeilen.
Schließlich wird Super E10 zehn Prozent Bio-Ethanol beigemischt, damals hergestellt etwa aus Zuckerrüben, Weizen, Raps, Mais oder Soja. Die Beimischung von Bio-Anteilen soll helfen, die Klimaziele im Verkehrssektor zu erreichen.
Im Laufe der Jahre wurden Nahrungsmittel bei der Herstellung von Bio-Ethanol ersetzt etwa durch Abfallstoffe wie Frittenfett, Cellulose, Zuckerrohr oder Stroh.
„Wir fordern die IMO dazu auf, Kraftstoffe aus Anbaubiomasse von wirtschaftlichen Anreizsystemen auszuschließen“, heißt es in dem gemeinsamen Schreiben. Gemeint sind hohe Vergünstigungen für die weltweiten Reedereien: Seit Jahresanfang müssen sie in europäischen Gewässern Abgaben auf ihre Kohlendioxidemissionen in Form von Zertifikaten zahlen. Für ein großes Containerschiff kann dies Kosten von rund einer Million Euro ausmachen.
Hapag-Lloyd fordert Verzicht auf Biokraftstoff aus landwirtschaftlichen Rohstoffen
Setzen die Reedereien dagegen Biokraftstoff oder andere umweltverträgliche Antriebsstoffe in ihren Schiffsmotoren ein, erhalten sie Abschläge und es wird für sie günstiger. Nach der Vorstellung des Nabu und der genannten Reedereien soll dieser Mechanismus ausschließlich auf „tatsächlich nachhaltige Lösungen“ ausgerichtet sein.
„Die globale Schifffahrtsgemeinschaft muss sich auf wirklich grüne Kraftstoffe auf Basis von Wasserstoff konzentrieren“, sagt Nabu-Schifffahrtsexperte Sönke Diesener. Die IMO müsse nicht nachhaltige Biokraftstoffe von ihrer Liste der alternativen Kraftstoffe streichen, lautet die Forderung.
Etwa in China setzen Reedereien sogenanntes Marinedieselöl in Schiffsmotoren ein, das Beimischungen mit Anteilen bis zu 30 Prozent an Biokraftstoff aus der Landwirtschaft enthält.
Bei Hapag-Lloyd, der weltweiten Nummer 5 der Containerreedereien, ist die Haltung zu dem Thema ähnlich. „Wir bei Hapag-Lloyd stimmen mit Umweltorganisationen darin überein, keine Biokraftstoffe aus landwirtschaftlichen Rohstoffen zu verwenden“, sagt Arne Maibohm, Direktor Dekarbonisierung in dem Unternehmen.
Dekarbonisierung sei das gemeinsame Ziel. Allerdings müsse sie auf Lebenszyklus-Bewertungen beruhen, gleichzeitig die biologische Vielfalt schützen und die Ernährungssicherheit gewährleisten. „Anreize für die Dekarbonisierung sollten sich auf skalierbare, nachhaltige Lösungen konzentrieren und nicht auf solche, die Ökosysteme oder lokale Gemeinschaften schädigen“, sagt Maibohm.
Die Autoren des Schreibens betonen ihre Sorge vor einer Ausweitung der Produktion von Biokraftstoffen aus der Landwirtschaft. „Ohne klare Kriterien zu den Kraftstoffen könnten die neuen Maßnahmen zur Erfüllung der Emissionsstandards dazu führen, dass etwa Palmöl zum billigsten Kraftstoff wird“, heißt es dort.
EU hat Biokraftstoff aus Palmöl bereits eingeschränkt
Es geht den Initiatoren der Aktion aber auch um einen gerechten Wettbewerb unter den weltweit agierenden Reedereien. So hat die Europäische Union die Verwendung von Biokraftstoffen etwa aus Palmöl oder Soja bereits eingeschränkt.
Das gilt auch für die Schifffahrt. „Auf globaler Ebene sind solche Einschränkungen jedoch bisher nicht in Sicht“, heißt es in dem Schreiben weiter. Dadurch würden in anderen Ländern „erhebliche Mengen dieser problematischen Kraftstoffe“ auch in Schiffsmotoren verbrannt werden.
Vielleicht helfen diese Zahlen zur Einordnung: Im Jahr 2023 wurden nach Daten des Schiffsklassifizierers DNV weltweit elf Megatonnen Biokraftstoffe produziert. Für das Jahr 2026 wird die Prognose von 23 Megatonnen genannt.
Um die globale Schifffahrt mit Biokraftstoff betreiben zu können, wären nach den Angaben etwa 250 Megatonnen nötig. Selbst wenn die Problematik „Teller oder Tank“ außer Acht gelassen wird: Biokraftstoff wird das Umweltproblem der Schifffahrt kaum lindern. Dafür brauchen die Reedereien neue und in großen Mengen verfügbare Antriebsstoffe, die beim Verbrennen kein Kohlendioxid ausstoßen.
Birger Nicolai ist Wirtschaftskorrespondent in Hamburg. Er berichtet über Schifffahrt, Logistik, den Tankstellen- und Kaffeemarkt sowie Mittelstandsunternehmen.