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Nach Weidels Hitler-Aussagen: Nachfahren ehemaliger KZ-Häftlinge fordern AfD-Verbot – Dachau | ABC-Z

Mit Entsetzen haben Nachkommen ehemaliger Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau und die Leitung der KZ-Gedenkstätte auf die Behauptung der AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel reagiert, Hitler wäre ein Kommunist gewesen. Sie werfen Weidel und ihrer Partei vor, kurz vor der Bundestagswahl erneut bewusst geschichtliche Fakten zu verdrehen. Andrea Halbritter, Mitglied der Lagergemeinschaft Dachau, sagt: „Es ist der Versuch der AfD, ihre eigene Ideologie von den NS-Verbrechen zu befreien und die Grenzen des Sagbaren weiter zu verschieben.“ Die Großeltern der 56-Jährigen waren in der Weimarer Republik KPD-Mitglieder und Gegner des erstarkenden Nationalsozialismus. Das NS-Regime sperrte ihren Opa von 1933 bis 1935 ins Konzentrationslager Dachau; ihre Oma saß im Frühjahr 1933 für mehrere Wochen in einem Gefängnis.

Die AfD-Vorsitzende Weidel hatte in der vergangenen Woche im Gespräch mit Elon Musk auf dessen Plattform X den nationalsozialistischen Diktator Adolf Hitler als „Kommunisten“ bezeichnet. Hitler habe sich selbst als „Sozialist“ gesehen, behauptete Weidel. Experten warfen ihr daraufhin Geschichtsfälschung vor: Angaben von Historikern zufolge ermordete das NS-Regime unter Hitler von 1933 bis 1935 rund 2000 Kommunisten, bis 1945 stieg die Zahl auf 20 000.

„Ein ebenso durchsichtiges wie schäbiges Manöver“

Der Leiter der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, Jens-Christian Wagner, schrieb auf X von einem „ebenso durchsichtigen wie schäbigen Manöver“ Weidels, das Tausende Kommunisten verhöhne, die zu den ersten Opfern des NS-Regimes gehörten. Die AfD-Parteichefin versuche mit ihrer Behauptung, „den Rechtsextremismus von der Schuld der Shoah reinzuwaschen“, so Wagner. Die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Gabriele Hammermann, hat sich nun ähnlich geäußert: Weidels Behauptungen würden jeder historischen Tatsache entbehren und „zeigen einmal mehr, wie tief verankert der Geschichtsrevisionismus in dieser Partei ist“, so Hammermann. „Mit solchen Falschaussagen werden nicht nur die politischen Opfer der Nationalsozialisten verhöhnt.“

Die Historikerin verweist darauf, dass die Nationalsozialisten kurz nach der Machtübernahme Anfang 1933 Konzentrationslager wie in Dachau errichteten, um dort zunächst politische Regime-Gegner zu inhaftieren. Zu den ersten Häftlingen in Dachau gehörten insbesondere Kommunisten, Sozialisten, Gewerkschaftler und später auch vereinzelt Mitglieder der Bayerischen Volkspartei, so Hammermann.

Für das Fundament, auf dem innerhalb von zwölf Jahren der Zivilisationsbruch der Shoah geschehen konnte, brauchte es in Deutschland im Jahr 1933 nur wenige Monate: Der Hass der Nationalsozialisten auf politische Gegner entlud sich Ende Februar 1933 mit dem Brand des Reichstages in Berlin. Das NS-Regime machte Kommunisten für den Brand verantwortlich. Tausende KPD- und SPD-Mitglieder wurden innerhalb kurzer Zeit inhaftiert.

In Bayern holten Einheiten von SS, SA und Polizei am 10. März 1933 politische Gegner aus ihren Häusern und Wohnungen und sperrten sie in Gefängnisse, die schnell überfüllt waren. Daraufhin errichteten die Nationalsozialisten das Konzentrationslager Dachau auf dem Gelände einer stillgelegten Pulverfabrik. Am 22. März 1933 kamen dort die ersten Häftlinge an. Bis zur Befreiung des Lagers am 29. April 1945 sollten ihnen mehr als 200 000 Menschen aus mehr als 40 Nationen folgen, mindestens 41 500 von ihnen wurden ermordet oder starben an Hunger, Krankheiten, Folter und den Folgen der Lagerhaft.

„Ich verstehe wirklich nicht, warum wir bei dem AfD-Verbot nicht weiterkommen“

Die Aushebelung sämtlicher Grund- und Freiheitsrechte in der Weimarer Republik durch das NS-Regime geschah damals nicht im Verborgenen. Die Öffentlichkeit, Polizei und ein Großteil der Justiz schauten zu, wie die Nationalsozialisten den Rechtsstaat der Weimarer Republik zerstörten. Allerorten berichteten Zeitungen von den Verhaftungswellen. In der Ausgabe vom 20. März 1933 veröffentlichte der Augsburger Lokal Anzeiger eine Liste mit den Namen von 68 NS-Gegnern, die im Gefängnis am Katzenstadel in Augsburg saßen. Die zynische Überschrift: „Roter Parteitag im Katzenstadel: Die erste Liste der bisher in Schutzhaft genommenen Augsburger Marxisten“. Nach dem letzten Namen auf der Liste heißt es: „Forts. folgt.“

An zweiter Stelle der Liste stand der Name von Josef Pröll, einem KPD-Mitglied aus Augsburg. Er war zwischen 1933 und 1945 achteinhalb Jahre in den Konzentrationslagern Dachau, Natzweiler und Buchenwald inhaftiert. Seine Frau Anna Pröll, ebenfalls eine kommunistische Widerstandskämpferin, überlebte das Konzentrationslager Moringen. Drei Familienmitglieder der Prölls wurden ermordet.

Zu viele Menschen reagieren gelähmt, findet Josef Pröll

1953 kam ihr Sohn Josef zur Welt. Bereits in jungen Jahren kämpfte er als damals jüngstes Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) um die Anerkennung des Leids seiner Familie und anderen NS-Opfern. Doch er und seine Eltern erlebten auch nach Kriegsende weiterhin nur Ausgrenzungen und Schikanen: Bloßstellungen in der Schule, Verhöre beim Wehrdienst, Aufforderungen an die Familie, in die DDR zu ziehen – die Liste der Drangsalierungen ist lang. Trauriger Höhepunkt: Rechtsextremisten drohten Josef Pröll einst damit, seine Tochter aus dem Kindergarten zu entführen. Passiert ist zum Glück nichts.

Josef Pröll vor Bildern seiner Familienmitglieder: Seine Verwandten wurden als Gegner des NS-Regimes verfolgt und in Konzentrationslagern inhaftiert. Drei von ihnen überlebten nicht. (Foto: Toni Heigl)

Und jetzt, im 80. Jahr nach der Befreiung vom Nationalsozialismus, muss Josef Pröll, 71 Jahre alt, erleben, wie eine Kanzlerkandidatin Hitler zu einem Kommunisten umdeutet. Dass Rechtsextremisten die Geschichte verdrehen und das Leid von NS-Opfern verhöhnen, sei für ihn nichts Neues, sagt Pröll. „Nur, jetzt werden sie halt gehört.“ Pröll sieht die Demokratie in Deutschland durch die AfD bedroht. Das Traurige in dieser gefährlichen Situation sei aktuell, „dass so viele Menschen gelähmt reagieren“. Eigentlich müssten Organisationen wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) jetzt Demonstrationen gegen Rechtsextremismus organisieren, findet er. „Doch da kommt bisher nichts.“

Wie Andrea Halbritter ist Pröll Mitglied der Lagergemeinschaft Dachau. Als Nachkommen ehemaliger NS-Verfolgter sind sie auch im Comité International de Dachau vertreten, der Vereinigung ehemaliger KZ-Häftlinge aus 40 Ländern. Pröll und Halbritter sind zwar entsetzt über geschichtsrevisionistische Äußerungen wie Weidels Hitler-Behauptung. Doch verwundert sind sie deshalb nicht. Was sie verwundere, sei jedoch das Verhalten der anderen Parteien und dass die Demokratie in Deutschland nicht besser vor ihren Feinden geschützt werde, sagt Halbritter. „Ich verstehe wirklich nicht, warum wir bei dem AfD-Verbot nicht weiterkommen.“ Man müsse endlich die Reißleine ziehen.

Fakten sind für die AfD nur „scheinbar unumstößliche Einordnungen“

Mitte November hatten Abgeordnete verschiedener Fraktionen im Bundestag einen Antrag eingereicht, das Bundesverfassungsgericht mit der Prüfung eines AfD-Verbotes zu beauftragen. Bisher hatte der Antrag zu wenige Unterstützer. Nach dem Parteitag der AfD im sächsischen Riesa, wo sich die in Teilen rechtsextreme Partei auf offener Bühne so radikal wie noch nie zeigte, hat die Debatte wieder an Fahrt aufgenommen.

Auch Björn Mensing, Pfarrer der Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau, teilte auf Facebook mit, es sei nach den Weidel-Aussagen kaum mehr nachvollziehbar, „dass in unserer wehrhaften Demokratie eine solche Partei nicht verboten oder doch zumindest von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen wird“. Mensing erinnert daran, dass die ersten Mordopfer im KZ Dachau Kommunisten jüdischer Herkunft waren. Diese würden verhöhnt durch „Weidels Lüge, Hitler sei Kommunist gewesen“. Es sei eine noch unerträglichere Vorstellung, dass AfD-Mitglieder, die sich von Weidels Behauptung nicht in aller Deutlichkeit distanzieren würden, an Gedenkveranstaltungen für NS-Opfer teilnähmen.

Im Wahlkreis Dachau/Fürstenfeldbruck tritt der Bundestagsabgeordnete Jürgen Braun für die AfD als Direktkandidat an. Er sieht keinen Grund dafür, sich von Weidels Hitler-Aussagen zu distanzieren. Im Gegenteil: Er sei Weidel und Musk dankbar, dass sie „frischen Wind in den offenen Historikerstreit“ gebracht hätten. Braun verweist auf angeblich „namhafte Historiker“, die Weidels These stützen würden. Er befürworte „jede Debatte, die scheinbar unumstößliche Einordnungen kritisch überprüft“, so Braun. Seine Aussage belegt einmal mehr: Historische Fakten zur Zeit des Nationalsozialismus – für AfD-Politiker sind diese nur „scheinbar unumstößlich“.

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