Münchner Kammerspiele: Jette Steckels „Mephisto“ fasziniert | ABC-Z

„Nur nichts riskieren! Immer mit der Macht! Mit dem Strom schwimmen!“ Wieder hat Klaus Mann ein Veto gegen seinen sechsten Roman erhalten, diesmal, weil Herr Gründgens in Bayern „eine bereits sehr bedeutende Rolle“ spiele. Was für eine Wortwahl! Wütend schreibt er dem Verlag, dieser möge ihm das seltene Exemplar des Buches zurücksenden und nicht mehr antworten. Neun Tage später, am 22. Mai 1949, nimmt sich Klaus Mann in Cannes das Leben.
Nichts an Brisanz verloren
Der „Mephisto“ aber, in dem er die Frage nach der Freiheit von Kunst stellt, indem er dem Mitläufertum seines ehemaligen Freundes und Schwagers Gustaf Gründgens, in der literarischen Fiktion Hendrik Höfgen genannt, ein Denkmal setzt, dieser 1936 im Amsterdamer Exil veröffentlichte, erst 1956 in Deutschland verlegte und vorher wie nachher so oft verbotene „Roman einer Karriere“ hat auch 71 Jahre später an Brisanz und Schärfe nichts verloren. Jette Steckels Münchner Inszenierung ist einem Sohn der Stadt gewidmet – und bringt die Kammerspiele zum Leuchten. Sie ist schillernd und klar; sie ist gewitzt, klug und uneingeschränkt charismatisch. Sie lebt von einem durch und durch überzeugenden Ensemble, mit einem Hauptdarsteller in all seiner unverwechselbaren Eigenartigkeit, die man mögen kann, nicht mögen muss, aber wahrscheinlich nie zuvor so nuanciert facettenreich gesehen hat, einem Hauptdarsteller also, der sich selbst und praktisch seine gesamte Vergangenheit an diesem Münchner Haus gnadenlos gut an die Wand spielt.
Ideologische Belastung
Thomas Schmauser gibt einen Mann ohne Haltung, ohne Chuzpe. Einen Mann ohne Eigenschaften, der die kommunistische Überzeugung in bloßen Behauptungen stranden lässt; der seine Karriere – anfangs Schauspieler in Hamburg, später von Hermann Göring zum Berliner Intendanten ernannt – auf dem Reflex wachsen lässt, sich wegzuducken; der sein Bleiben unterm Regime der NSDAP mit der bereits gescheiterten Idee rechtfertigt, aus dem System heraus Leben retten zu können und nicht zuletzt sein eigenes. Bei alledem führt Schmauser Höfgen nicht vor und lässt ihm so die Möglichkeit, auch ein Spiegel des Autors zu sein. Wird die ideologische Belastung der Unterwerfung zu viel, schütteln Krampfanfälle Höfgens Leib. Dass es an diesem Abend auch andere Momente gibt, in denen dem Sprechtheater vor Empörung die Worte fehlen und es sich stattdessen der Musik, des Tanzes oder des stummen Spiels mit ikonographischer Gestik bedient, beweist, dass Höfgen mit seinen körperlichen Gefühlsausbrüchen bar jeder Argumente nicht allein dasteht – das Sujet ist zu ungeheuerlich. Höhepunkt: der ungleiche Ehestreit mit der lässigen, aber eindringlichen Linda Pöppel, in dessen Verlauf das Tischlein-deck-dich der Requisite nicht nur einmal leer gefegt wird. Es geht um die Zubereitungsart des Eies, das die Stimme ölen soll – es geht um den passiven Widerstand eines Exils, das den aktiven erst wieder möglich macht.
Vor allem die ungleichen Paarungen mit dem sprachlosen Menschen Hendrik Höfgen und dem schlaffen Körper Thomas Schmausers sind es, die das lange Theatererlebnis interessant und kurzweilig machen. Nichts an ihm sei attraktiv, findet sogar der schöne Julien, mit dem Höfgen in durstiger, heimlicher Innigkeit das Bett teilt – in München stolz durch Bless Amada verkörpert. Dennoch ist diesem „Typus“ (K. M.) Mephisto ein(e) jede(r) verfallen. Warum, bleibt ein Faszinosum der Tatenlosigkeit.
Homoerotisches Albtraumspiel
Es zeigt sich im liebevollen Duett mit der kecken, koketten, schonungslos unverblümten Nicoletta (Maren Solty) ebenso wie im provokanten Duell mit dem jungen Nazi-Sympathisanten Hans Miklas (Elias Krischke), im kratzfüßelnden Erdulden aufgetakelter Lobestiraden aus Diven-Mund (Johanna Eiworth) ebenso wie in der defensiven Sorge um den aktiv engagierten Kollegen-Freund (Martin Weigel). Sogar der Reichskanzler – eine der parodistischen Führungsrollen, in denen Erwin Aljukić begeistert – möchte Rhetorik von ihm lernen. Und mit dem Ministerpräsidenten – einer der grotesken Figuren, für die Edmund Telgenkämper kein Detail dem Zufall überlässt – verbindet ihn ein homoerotisches (Alb-)Traumspiel. Die aufgemalten steilen Augenbrauen Gründgens’ in seiner Paraderolle als Fausts Gegenspieler Mephisto – in den Kammerspielen finden sie sich als aufgespaltenes Hakenkreuz auf Schmausers Stirn. In der Bühnenfassung Emilia Heinrichs, der Dramaturgin Johanna Höhmann und der Regisseurin Steckel kann die Inszenierung aus einem Vorteil schöpfen: dass sie, der Innensicht Höfgens folgend, über dreieinhalb Stunden hinweg im Theater spielt. Im Zweifelsfall verleihen Durchsagen einer Inspizientin, offene Umbauten, Umkleiden und Maskierungen dieser Aussage akustischen wie optischen Halt.
„Du legitimierst hier Faschisten!“, wird es zum Ende eines berauschenden Theaterabends im Black der Münchner Kammerspiele nachhallen. Und Hendrik Höfgen alias Gustaf Gründgens wird sich das letzte Wort gegenüber Barbara Bruckner alias Erika Mann nicht nehmen lassen. Weil aber das Theater für ihn das Leben bedeutet und die Familie, wird er dieses Wort in seiner Ratlosigkeit nicht an seine Ex-Frau richten, sondern an die Souffleuse.