Europa verliert den Anschluss durch politische Lähmung | ABC-Z

Der „Berlin Global Dialogue“ hat sich in drei Jahren zu einer Konferenz entwickelt, die Deutschlands Hauptstadt schmückt. Es lag nicht in der Verantwortung der Veranstalter um Lars-Hendrik Röller, sondern an der Malaise Europas, dass der Alte Kontinent eher als die Weltwirtschaft den Schwerpunkt der Erörterungen bildete. Abbildbar war das Unbehagen an einer Rede Ursula von der Leyens, die von der Kommissionspräsidentin in ähnlicher Form seit Jahren auch auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos zu hören ist. Diese Reden enthalten üblicherweise drei Botschaften. Erstens: Europa muss schnell und entschlossen handeln. (Das stimmt.) Zweitens: Wir haben die Botschaft verstanden. (Das stimmt nur eingeschränkt.) Und drittens: Wir werden jetzt schnell und entschlossen handeln. (Das stimmt dann häufig nicht.)
Die politischen Lenker in der EU-Zentrale und in den nationalen Hauptstädten unterschätzen, wie sehr sich in Europa, aber auch in anderen Kontinenten, nicht nur unter Wirtschaftsvertretern das ratlose Kopfschütteln über Politiker, die viel reden, aber wenig handeln, allmählich in Verärgerung und Erbitterung verwandelt. Denn der beunruhigende wirtschaftliche Rückfall Europas gegenüber anderen Ländern und Regionen wäre abwendbar. Es fehlt weder an privatem Kapital noch an leistungswilligen Unternehmen mit hoch qualifizierten Mitarbeitern oder an erfinderischen Projekten und Ideen. Auch in modernen Technologien, die heute überwiegend von Unternehmen aus den Vereinigten Staaten, aber zunehmend auch von chinesischen Konkurrenten dominiert werden, besitzen europäische Unternehmen ungenutzte Potentiale.
Es fehlt an einer Politik, die eine Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung endlich als Priorität versteht und auch gegenüber alternden, nicht selten in Teilen wirtschafts- und technologiefernen Gesellschaften kommuniziert. Stattdessen diskutiert Deutschland ausgiebig über Stadtbilder, während im schuldenüberladenen Frankreich die Nationalversammlung durch Eifersüchteleien der Präsidenten mehrerer Kleinparteien gelähmt wird. In der Geschichte haben sich auch schon früher die Verlierer ihre Rolle häufig selbst ausgesucht.
Jahrzehntelange Verhandlungen schrecken mögliche Partner ab
Dabei böten sich gerade in politisch und wirtschaftlich schwierigen Zeiten erhebliche Chancen. Der erratische Protektionismus der älteren Herren in Washington und Peking beherrscht die Schlagzeilen, aber immer noch werden mehr als 70 Prozent des Welthandels nach den erprobten Regeln des Multilateralismus abgewickelt. Das Interesse anderer Länder und Regionen an Handelsabkommen mit einer weltoffenen Europäischen Union bleibt deutlich vernehmbar. Aber diese möglichen Partner suchen schnelle Vereinbarungen, während die Europäische Union gerne über mehrere Jahrzehnte verhandelt – und die Gespräche zudem gerne mit unpassenden moralischen Belehrungen belastet.
Geopolitisch machte sich Europa heute mit jeglichem Weltmachtgetue lächerlich. Im Konflikt zwischen Israel und Iran spielte Donald Trump ebenso eine dominierende Rolle wie im Konflikt um Gaza. Die Europäer waren dort nicht viel mehr als Zaungäste. Wladimir Putin zu einem Waffenstillstand in der Ukraine zwingen kann, wenn überhaupt, viel eher Trump als die Europäer. Der dringend notwendige Aufbau militärischer Kapazitäten ist in Europa zwar in Gang gekommen. Aber er wird sich früher oder später an der viel zu hohen Verschuldung nahezu aller großer Staaten stoßen. Lediglich Deutschland verfügt noch über nennenswerte finanzielle Spielräume, die derzeit allerdings von der Bundesregierung über Gebühr beschnitten werden.
Seit dem Jahr 2019 ist die amerikanische Wirtschaft um 12 Prozent gewachsen, die Wirtschaft in der Europäischen Währungsunion um vier Prozent und die Wirtschaft in Deutschland um 0,1 Prozent. So weit brauchten Europa und Deutschland nicht zurückfallen. Das weltwirtschaftliche Umfeld hilft fraglos nicht, doch die meisten Schwierigkeiten sind hausgemacht. „Wir müssen eine Mentalität der Dringlichkeit entwickeln, die unsere gesamte Arbeit bestimmt“, sagte von der Leyen in Berlin. Viele Zuhörer hoffen darauf, nicht wenige aber glauben nicht mehr wirklich daran. Kurz bevor von der Leyen für schnelles Handeln und Bürokratieabbau plädierte, hatte eine Mehrheit im EU-Parlament eine Abschwächung des nicht nur wegen des Bürokratieanfalls schädlichen Lieferkettengesetzes verhindert. Mit Sägen am eigenen Ast hat es noch niemand nach oben gebracht.





















