Mode-Ikone: Wie aus Kerstin Geffert auf TikTok #wearstin wurde | ABC-Z

30. Juli 2025 · Kerstin Geffert, Berliner PR-Unternehmerin, Mode-Ikone und nun auch Tiktok-Star, über ihre Looks, das Viralgehen – und darüber, wie Familie, Trends und das Älterwerden die Mode prägen
Frau Geffert, in Ihrem viralen Tiktok-Video tragen Sie eine Fake-Fur-Jacke, eine weiße Spitzenstrumpfhose, Sonnenbrille und Tabi-Heels – dazu läuft „Blue Monday“ von New Order, und Sie posieren mit viel Attitüde. Das Video kommt besonders beim jungen Tiktok-Publikum sehr gut an und wurde fast zwei Millionen Mal aufgerufen. Wie ist es entstanden?
Viel kreative Arbeit habe ich da nicht reingesteckt, das ist einfach so passiert. Eigentlich wollte ich nur die Jacke fotografieren, um sie zu verkaufen. Ich kann mich gut von Kleidung trennen, aber ich mache gerne ein „Abschiedsfoto“, einfach zur Erinnerung. Dann habe ich das Video geschnitten, hochgeladen und den Song verwendet, den Tiktok vorgeschlagen hat.
Also kein bewusstes modisches Statement?
Nein, nicht wirklich. Ich hatte einfach das Gefühl, dass die Ästhetik des Videos gut auf Tiktok funktionieren könnte.
Sonnenbrille Prada, Zweiteiler Comme des Garçons, Heels Prada
Viele junge Frauen haben kommentiert: „Wenn ich so alt bin wie Sie, möchte ich auch so sein“ oder „Sie machen mir Lust aufs Älterwerden“. Wie empfinden Sie solche Reaktionen?
Ich finde das großartig. Wenn andere in mir ein Vorbild sehen und merken, dass man sich auch im „fortgeschrittenen Alter“ von 55 Jahren noch cool und selbstbewusst zeigen kann, dann freut mich das. Aber ich mache das nicht mit einem bestimmten Vorsatz. Für mich war das einfach ein natürlicher Moment. Der Clash entsteht vermutlich dadurch, dass ich für solche Outfits eigentlich „zu alt“ bin – so jedenfalls die gesellschaftliche Erwartung. Für mich fühlte es sich aber ganz normal an.
Hat Ihre Familie Sie in Bezug auf Mode geprägt?
Absolut. Meine Großmutter väterlicherseits war sehr geschickt – sie hat sich alles selbst genäht, gestrickt und gehäkelt und mir das auch beigebracht. Das hat mich stark inspiriert. Meine Mutter war immer sehr auf ihr Äußeres bedacht. Heute ist sie 85, hat immer noch kastanienbraun gefärbte Haare und würde nie ohne Nagellack das Haus verlassen. Sie ist da viel disziplinierter als ich. Ich gehe oft ungeschminkt raus und habe selten Lust, mir die Wimpern zu tuschen. Meine Mutter hätte das nie gemacht. Ich glaube, von beiden habe ich etwas mitgenommen.
Halten Sie diese Unterschiede für typbedingt oder eher generationsbedingt?
Ich glaube, es ist ein Generationen-Ding. Die jungen Frauen, mit denen ich arbeite, sind da wesentlich entspannter. Ich selbst war früher auch nicht so lässig. Als Teenager habe ich mich zum Beispiel geschämt, wenn meine Beine nicht frisch rasiert waren – und bin deswegen nicht mit zum Badesee gegangen. Heute unvorstellbar. Diese Gelassenheit kam bei mir mit dem Alter. Eine Freundin sagte neulich zu mir: „Von einem gewissen Alter an hat man nichts mehr zu verlieren . . .“
Nach welchem Prinzip stellen Sie Ihre Outfits zusammen?
Das passiert meistens intuitiv. Ich versuche aber immer, dass ein gewisses Gleichgewicht entsteht – nicht zu überdreht, nicht verkleidet. Auch wenn manche das vielleicht anders sehen! Ich arbeite gerne mit Gegensätzen: oversized versus eng, Leder versus Spitze, maskulin versus feminin. Knallige Farben sind nicht so meines. Ich mag lieber „mauschelige“ Töne – nichts zu Lautes, kein Royalblau, kein kräftiges Rot, kein Schwarz.
Haben Sie ein modisches Vorbild?
David Bowie! Er hat so viele Looks ausprobiert, das reicht für mein ganzes Leben. Und er war ein heller Typ wie ich. Was ihm stand, passt oft auch zu mir.
Jacke Comme des Garçons Girl, Handtasche Bottega Veneta, Rock Acne Studios, Lederstrümpfe Prada, Heels Zara, Schmuck Tiffany & Co. und Cartier
Fördert Social Media Ihrer Meinung nach modische Kreativität – oder bremst es sie eher aus?
Ich sehe das zwiegespalten. Einerseits bietet es tolle Möglichkeiten, sich modisch auszuprobieren. Es gibt Looks, die ich nur für Social Media trage – etwa nur in Jacke und Strumpfhose, das würde ich im Alltag so nicht anziehen. Andererseits kann Instagram auch ein Trend-Killer sein. Man sieht einen Look auf der Fashion Week – und ehe das Teil überhaupt in den Verkauf kommt, hat man es schon unzählige Male bei Influencerinnen gesehen. Dann ist es für mich oft uninteressant geworden.
Wie haben Sie Ihren Stil gefunden?
Durch Ausprobieren. Meine Eltern haben mich da machen lassen – sie haben nie etwas gesagt, auch nicht, wenn der Rock mal „zu kurz“ war. Obwohl: Der sexy Typ war ich nie. Kurze Röcke in der Schule? Eher nicht. Ich bin eher im Schlafanzug gegangen. Ich hatte eine Hippie-Phase mit Henna-Haaren und weiten Klamotten, habe mir Hosen aus alten Bettlaken genäht und Secondhand-Pyjamas getragen. Später kam eine Rocker-Phase mit Lederjacke und engen Jeans. Es dauert, bis man herausfindet, worin man sich wohlfühlt. Und das verändert sich auch. Kürzlich habe ich angefangen, mich femininer zu kleiden.
Was war der Auslöser dafür?
Ich dachte mir: Mit 80 werde ich meine Beine sicher nicht mehr zeigen wollen – also mache ich das lieber jetzt, mit 55. Und mit meinen kurzen Haaren finde ich es schön, auch eindeutig als Frau wahrgenommen zu werden.
Sonnenbrille Prada, Bluse Prada, Rock Carven, Oberarmschmuck Milk of Lime, Korsett Sportmax, Strumpfhose Falke, Heels Vintage
Muss Mode altersgerecht sein?
Nein, das finde ich nicht. Aber sie sollte dem Anlass entsprechend sein, unabhängig vom Alter. Ich überlege mir immer, welche Rolle ich in einem Raum habe. Auf Instagram darf es auch einmal exzentrisch sein – im Alltag bin ich manchmal sehr zurückhaltend. Aber ich würde mich nie verkleiden. Es muss sich immer wie „ich“ anfühlen.
Beschäftigt Sie das Thema Alter?
Ich finde, das Thema Alter wird überbewertet. Natürlich habe ich auch meine Wechseljahre, Hitzewallungen und all das. Aber ich möchte mich nicht über mein Alter definieren. Ich lasse lieber meine Outfits für mich sprechen.
Warum haben Sie angefangen, Tiktok-Videos zu posten?
Ich fand die Plattform lange eher nervig. Um erfolgreich zu sein, muss man sich dort stark auf ein Thema fokussieren. Deshalb habe ich erst einmal nur Strick-Videos gepostet. Aber das habe ich nicht lange durchgehalten. Stricken ist für mich Entspannung – und irgendwann kam die Mode wieder dazu. Heute poste ich nach Lust und Laune, hauptsächlich über Mode.
Spielen Trends für Sie eine Rolle?
Ich glaube, man kann sich Trends nie ganz entziehen. Ich bin keine klassische TrendFollowerin, aber ich gewöhne mich an bestimmte Silhouetten. Manchmal denke ich: Skinny Jeans? Niemals! Und dann plötzlich: Fühlt sich wieder richtig an.
Sie haben ein eigenes Ankleidezimmer. Wie viele Kleidungsstücke besitzen Sie?
Das ist nicht alles meines! Auch die Kleidung meines Manns hängt dort – und Bettwäsche und Handtücher. Ich weiß gar nicht, wie viele Teile ich genau habe. Ich bin keine Sammlerin, ich sortiere regelmäßig aus. Um das Verhältnis zu verdeutlichen: Ich besitze vielleicht fünf Kleider – trage aber selten welche. Dafür habe ich bestimmt 20 Anzughosen.
Stimmt es, dass Sie nie studiert haben, weil Sie beruflich schon früh durchgestartet sind?
Ja. Ich war einmal an der Uni und dann nie wieder. Während der Schulzeit habe ich schon in einer kleinen Agentur in Minden gearbeitet und wurde dort direkt übernommen. Aber das Leben in der Kleinstadt war nichts für mich. Ich wollte unbedingt nach Berlin. Also habe ich mich in einer Agentur in Berlin beworben – und bekam die Stelle. Dort habe ich dann auch meinen Mann kennengelernt.
Wann haben Sie Ihre eigene Agentur gegründet?
Mein Mann und ich haben Mitte der Neunziger mit zwei Partnern eine Marketingagentur gegründet, die wir zehn Jahre lang hatten. Als unser Sohn auf die Welt kam, sagte meine Freundin Silke: „PR wäre doch genau dein Ding!“ Ich wusste gar nicht genau, was das eigentlich ist. Dann habe ich ein paar Abendkurse in Public Relations belegt und zusammen mit ihr Silk Relations gegründet. Dieses Jahr feiern wir unser zwanzigjähriges Jubiläum. PR ist ein Feld, in dem unglaublich viel durch Learning by Doing und gute Netzwerke läuft.
Ist die Fake-Fur-Jacke aus dem viralen Video inzwischen verkauft?
Ja, für 30 Euro.
Haben Sie dabei Gewinn gemacht?
Natürlich! Ich bin Geschäftsfrau, ich mache immer Plus! Ich kaufe viele Teile aus einem „Rettungsinstinkt“ heraus – aber ich verkaufe sie dann auch mit Gewinn.