Wann handelt es sich um ein Autorennen? | ABC-Z

Von dem Urteil scheinen am Ende alle überrascht zu sein: Die versteinerten Gesichter der Angeklagten und ihrer Verteidiger sprechen Bände, ebenso wie die spürbare Erleichterung der Frau, die ihnen im Saal des Frankfurter Landgerichts gegenübersaß. Woche für Woche schwand bei ihr die Hoffnung, dass der Tod ihrer Mutter für die Angeklagten Ramsy A. und Tim G. juristische Folgen haben wird, die sie nachvollziehen kann. Zum Schluss sagte sie zu ihrem Mann: „Wenigstens können wir unseren Kindern sagen, dass es noch Gerechtigkeit gibt.“
Gerechtigkeit, das bedeutet für sie, dass sich die beiden Angeklagten für das verantworten müssen, was im Oktober 2020 auf der A 66 bei Hofheim geschah: Mit hoher Geschwindigkeit fuhren Ramsy A. und Tim G. an diesem Tag mit ihren Sportwagen von Wiesbaden in Richtung Frankfurt. Mit dabei war noch ein weiterer Mann in einem grünen Lamborghini: Habiballah F., auch bekannt unter dem Namen Navid F. Weil ein unbeteiligter Dritter, ein Opel-Fahrer, ohne zu blinken und in den Rückspiegel zu schauen, die Spur gewechselt hatte und den Lamborghini touchierte, geriet der Sportwagen ins Schleudern. Er stieß gegen die hintere Seite eines Skodas, der daraufhin in Flammen aufging. Die Fahrerin, die 71 Jahre alte Mutter der Nebenklägerin, überlebte den Brand nicht.
Eine der zentralen Fragen des Prozesses war: Sind die drei Männer ein Autorennen gefahren? Sie selbst ließen durch ihre Verteidiger den Vorwurf bestreiten. Staatsanwaltschaft und Nebenklage sind hingegen überzeugt davon. In seinen Plädoyers forderte der Ankläger eine Verurteilung wegen des illegalen Autorennens mit Todesfolge und wegen Fahrerflucht. Er forderte in beiden Fällen Freiheitsstrafen: für A. in Höhe von mehr als vier Jahren, für G. von mehr als zwei Jahren.
„Es sieht nicht gut aus für die Staatsanwaltschaft“
Das Verfahren gegen Navid F. wurde zwischenzeitlich abgetrennt, weil er für den Prozess nicht aus Iran angereist war. Zuletzt hatte er eine Krankschreibung wegen einer Herzbeutelentzündung eingereicht. Aus einem Brief des deutschen Konsulats in Iran an das Landgericht geht hervor, dass F. wohl auch in Zukunft nicht vorhat, einzureisen. Demnach soll er gesagt haben, er hasse Deutschland und wolle mit dem Land nichts zu tun haben.
Doch dass am Ende der knapp drei Monate dauernden Beweisaufnahme tatsächlich Haftstrafen für die Angeklagten verkündet wurden, glaubte zuletzt keiner der Beteiligten mehr. Alle Beweisanträge, die die Staatsanwaltschaft zum Schluss gestellt hatte, wurden abgelehnt. Jeder rechtliche Hinweis, den die Kammer erteilt hatte, hinterließ bei Ankläger und Nebenklage den Eindruck, dass das Gericht ihren Überzeugungen nicht folgen würde. Nur wenige Verhandlungstage vor Ende des Prozesses verließ der Ankläger den Saal mit den Worten „Es sieht nicht gut aus für die Staatsanwaltschaft.“
Das schienen auch die Verteidiger so zu sehen. Ulrich Endres, einer der beiden Rechtsanwälte von Ramsy A., sagte in seinen Plädoyers: „Es kommt gar nicht auf die Geschwindigkeit an, nur darauf, ob ein Rennen gefahren wurde. Und das können Sie nicht verurteilen, dafür hat die Beweisaufnahme zu viel für die Angeklagten ergeben.“ Sebastian Schölzel, der Tim G. verteidigte, warf dem Staatsanwalt vor, an Vorurteilen festzuhalten. Alle Verteidiger forderten einen Freispruch für ihre Mandanten.
Ein gegenseitiges „Kräftemessen“
Der Vorwurf des verbotenen Kraftfahrzeugrennens ist schon oft vor deutschen Gerichten verhandelt worden. Und damit auch die Fragen: Wann handelt es sich um ein Autorennen – und wie weit reicht die Freiheit auf deutschen Autobahnen? Letztere spielt in diesem Verfahren eine besondere Rolle.
Auf beides hat das Gericht in seinem Urteil in diesem Fall eine Antwort gefunden. Nach Überzeugung der Kammer sind die Männer an diesem Tag ein Autorennen gefahren. Die Richter sagen: der ständige Spurwechsel, die Änderung der Reihenfolge der Autos, die Fahrweise, die nicht an die Verkehrslage angepasst wurde – das alles sei typisch für ein Rennen. Sie seien überzeugt, dass die Männer versucht hätten, die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Man habe sich in einem „Kräftemessen“ gegenseitig beweisen wollen, was man könne.
235 Kilometer je Stunde
Die genaue Fahrweise der Angeklagten wurde unter anderem in Videos festgehalten, die sie selbst aufgenommen hatten. Daneben sagten etliche Zeugen in dem Prozess aus, die Männer seien rücksichtslos gefahren. Eine Zeugin schilderte beispielsweise, dass sie stark habe bremsen müssen, um nicht auf Ramsy A.s Auto aufzufahren, weil dieser sich vor ihr in die Spur gedrängelt habe.
Auf Teilen der Strecke gab es keine Geschwindigkeitsbegrenzung. „Man darf natürlich trotzdem nur so fahren, wie es der Verkehr hergibt“, sagte die Vorsitzende. Laut einem Sachverständigen, den das Gericht mit einem Gutachten beauftragt hatte, fuhr Navid F. zum Zeitpunkt des Unfalls etwa 235 Kilometer je Stunde, Tim G. etwa 199 Kilometer je Stunde und Ramsy A. circa 168 Kilometer je Stunde.
Der Fall war für viele bewegend, weil es jeden Autofahrer auf der Strecke hätte treffen können. Jeder hätte anstelle der Frau in dem Skoda sitzen können. Doch auch der Fehler des Opel-Fahrers, die vermeintlich kleine Unachtsamkeit mit fatalen Folgen, hätte jedem passieren können. „Das ist ein tragischer Fall, der auch die Kammer betroffen macht. Insbesondere die, die Auto fahren“, sagte die Vorsitzende Richterin in der Urteilsbegründung.
Mehr als vier Jahre nach dem Unfall entschied das Gericht schließlich, dass Ramsy A. wegen der Teilnahme an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen in zwei Fällen, Gefährdung des Straßenverkehrs, Nötigung und Fahrerflucht für zwei Jahre und fünf Monate in Haft kommt. Für Tim G. verhängte das Gericht eine einjährige Bewährungsstrafe, ebenfalls für die Teilnahme an einem Autorennen und Fahrerflucht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.