Markus Keller, Augsburger Torwart in der DEL: Ein Panther mit Scheuklappen – Sport | ABC-Z

Bevor Markus Keller vom Eis gleitet, macht er erst noch ein paar Trockenübungen. Es ist der letzte Teil des Vormittagstrainings, ein kurzes Programm zum Abschluss. Gerade, als Keller noch im Tor stand, sind ihm die Pucks um den Helm geflogen, jetzt tut er nur so, als müsse er eine Scheibe abwehren. Augsburgs Torwart geht in die Knie, einmal, zweimal, dreimal. Dann steigt er vom Eis, watschelt Richtung Katakomben und bleibt vor der Tribüne stehen, direkt unter dem Block, in dem sonst die Gästefans untergebracht sind.
Heute, an diesem Dienstag, hat sich kein einziger Zuschauer ins Curt-Frenzel-Stadion verirrt. Die Ränge sind menschenleer, die Steinstufen glänzen unter dem Hallenlicht, aber dafür ist es erstaunlich laut. Immer wieder knallen Pucks gegen die Bande und durchschneiden Kellers Sätze, wenn er sagt: „Wenn wir unser Potenzial abrufen, können wir jeden besiegen. Aber wir haben nie wirklich Konstanz gefunden.“
Wenn man direkt vor Keller steht, ist er noch breiter, als er aus der Entfernung wirkt. Wenn einer also etwas schultern kann, dann er. Und das muss er auch – gerade jetzt, da für Augsburg schon wieder die Zugehörigkeit zur Deutschen Eishockey Liga (DEL) auf dem Spiel steht. Und darum soll es jetzt auch gehen: wie viel in diesen Wochen auf Keller lastet. Im Gegensatz zu anderen Sportarten ist Eishockey ja ein Torwartspiel, sogar mehr noch als im Handball. Wenn einer hinten dichtmacht, führt kein Weg daran vorbei, dass seine Mannschaft gewinnt. Vorne geht immer irgendwas, aber hinten kommt es auf den Torwart an. Mit ihm steht und fällt die Frage nach Sieg oder Niederlage. Wenn also derart viel vom Torwart abhängt, wie viel lastet dann überhaupt erst auf ihm, wenn er auch noch für seinen Heimatverein spielt und den Klub vor dem Abstieg bewahren muss?
„Ich war von klein auf hier im Stadion, ich stand im Fanblock und habe immer DEL-Eishockey gesehen.“
Keller, 35, ist in Augsburg geboren und aufgewachsen. Er hat für die Jungpanther gespielt, von 2013 bis 2015 und seit 2018 für die Profis. „Ich war von klein auf hier im Stadion“, sagt Keller, „ich stand im Fanblock und habe immer DEL-Eishockey gesehen.“ Kurze Pause – „und es ist immer noch DEL-Eishockey. Es gab nie was anderes in Augsburg.“ Und das soll auch in Zukunft so sein, schließlich ist die eigene Geschichte Auftrag und Verpflichtung.
„Es tut weh, wenn man da unten rumkraxelt“, sagt Keller. Er kann es sich gar nicht vorstellen, dass Augsburg nächste Saison nur noch zweitklassig sein könnte, „auch wenn die Leistungen der letzten Jahre ein bisschen in die Richtung zeigen“. In den vergangenen beiden Spielzeiten ist Augsburg sportlich abgestiegen, doch 2023 wurde Ravensburg Meister in der DEL 2, im Vorjahr Regensburg. Beide hatten keine Lizenz beantragt und stiegen nicht auf. Nur deshalb blieb Augsburg erstklassig, und jetzt, in der entscheidenden Phase der Saison, geht es für den Klub schon wieder um alles.
„Vor allem in schwierigen Phasen wird man sehr oft angesprochen“, sagt Keller, „dann kommt immer die klassische Frage: Was ist denn los?“ Es sind Momente, in denen Keller merkt, wie sehr die Augsburger am Eishockey hängen. Auch in schlechten Zeiten ist die Halle voll, die DEL bedeutet den Menschen was. Und deshalb geht es jetzt für einen wie Keller, der hier verwurzelt ist, um mehr als nur um Sport. Er war früher ja selbst einer von denen, die am Wochenende oben auf der Tribüne standen und fluchten, wenn es mal wieder nicht lief. Und jetzt steht er selbst unten auf dem Eis und muss es richten.
Dass die Mannschaft mittlerweile gefestigter daherkommt, hat mit Larry Mitchell zu tun
Eine Aufgabe, die nur mit Scheuklappen zu meistern ist. Nur dann wird man mit all den Blicken und dem Fluchen und dem Druck fertig. „Ich kann nicht den ganzen Tag an die Tabelle denken“, sagt Keller vor dem Gästeblock. Wenn man ihm gegenübersteht, kann man sich kaum vorstellen, wie es eigentlich zu schaffen sein soll, eine Scheibe an ihm vorbeizubringen, aber offenbar ist das möglich. Und in dieser Saison, das ist das Problem, war es für die Gegner ziemlich oft möglich. Augsburg ist Letzter. Nach wie vor.
Die vergangenen drei Spiele hat die Mannschaft zwar gewonnen, doch die kleine Serie kann nur ein Anfang gewesen sein, wenn es am Ende nicht schon wieder auf den letzten Platz hinauslaufen soll.
Im Oktober gewann Augsburg schon einmal drei Spiele am Stück, verlor dann aber zehnmal und trennte sich von Trainer Ted Dent. Jetzt sagt Keller: „Wir sind einen Schritt weiter als im Oktober.“ Dass die Mannschaft mittlerweile tatsächlich gefestigter daherkommt, hat eine Menge mit Larry Mitchell zu tun. Ende November setzte sich der Sportdirektor selbst auf die Trainerbank. „Er hat uns mehr Struktur gegeben, als wir davor hatten“, sagt Keller, „und er hat auch eine andere Ausstrahlung und macht klarere Ansagen.“ Das hilft der Mannschaft.
Kommenden Freitag hat es Augsburg mit Frankfurt zu tun, dem Zehnten der Tabelle – dann geht es gegen Mannheim, Bremerhaven, Berlin und München. Große Aufgaben, aber die Zuversicht ist zurück. „Natürlich ist es ein toughes Programm“, sagt Keller, „aber Straubing, Wolfsburg, Schwenningen waren auch keine Laufkundschaft.“ Und gegen diese Mannschaften hat Augsburg gewonnen. Erfolge, die auch mit ihm zu tun haben: Markus Keller.