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„Borowski und das hungrige Herz“ | ABC-Z

Dass die gute Freundin eines Mordopfers während der polizeilichen Befragung zu dem Fall zusammenbricht, ist nur zu verständlich. Dass jene Nele, gespielt von Laura Balzer, dabei Mühe mit dem gleichmäßigen Luftholen hat, kommt in einer solchen Situation wahrscheinlich häufiger vor. Ungewöhnlich scheint dagegen die Reaktion des ermittelnden Kommissars Klaus Borowski (Axel Milberg): Er sitzt der Zeugin gegenüber und atmet mit ihr wie eine Hebamme, die eine Geburt unterstützt: „Sie machen es gut“, sagt er zu der verunsicherten jungen Frau. In dem Blick, den sie auf ihn wirft, steht nicht nur der Verlust der Freundin und die Anerkennung für die Hilfe, die ihr der beinahe Fremde leistet. Dort steht auch die Hoffnung darauf, dass ihre Sehnsucht nach Orientierung eine neue Richtung nehmen kann.

Das ist der eigentliche rote Faden in einem „Tatort“, der die Ermittler Borowski und Mila Sahin (Almila Bagriacik) mit einer Gruppe von Menschen konfrontiert, die sich auf Swingerpartys treffen oder in entsprechenden Foren zum mehr oder weniger anonymen Sex verabreden, die sich in Selbsthilfegruppen treffen, weil sie unter ihrer Lust leiden oder die sich danach sehnen, sie auszuleben.

Bin ich schön? Barbara Döring (Lina Wendel) lebt mit ihrem Mann in einer Wohnung des Hauses, in dem auch das Opfer wohnte.NDR/Thorsten Jander

So beginnt die Folge auch mit einer Party, zu der Andrea, Neles Freundin, eingeladen hatte und die sie nicht überleben wird. Die Gäste – ausschließlich Männer, die sich online und unter Phantasienamen bei Andrea angemeldet hatten – werden im Zuge der Ermittlungen enttarnt, aber die mädchenhafte Nele verfolgt dabei ihren eigenen Weg und heftet sich an Borowski, was schon rasch ungewöhnliche Züge annimmt. Sie ruft ihn an, mit unterdrückter oder ersichtlicher Nummer, sie schlägt sich selbst die Stirn blutig, um sich von ihm in seiner Privatwohnung versorgen zu lassen, sie duzt ihn plötzlich und lässt sich auch von seiner deutlichen Abwehr nicht verscheuchen. Wie sie aber auf Zurückweisung reagiert, zeigt sich in einer Szene, in der Borowski fehlt: Nele, die an einer Fischbude arbeitet, fühlt sich kurz von einem Kunden beachtet und geschätzt, bis plötzlich dessen Freundin neben ihm steht und ihn küsst. Aus ihrem Entsetzen darüber wird schlagartig Wut, sodass sie vom Boden des Imbisses Dreck aufklaubt und im Fischbrötchen versteckt.

Es sind Szenen wie diese, die dem Film bei manchen Stereotypen eine besondere Klasse verleihen, und man fragt sich, warum „Borowski und das hungrige Herz“ nach seiner Fertigstellung so lange nicht gesendet wurde: Gedreht 2021, hatte dieser „Tatort“ im Oktober 2022 Premiere auf dem Filmfest Hamburg, musste aber bis zur Ausstrahlung an diesem Sonntag noch drei Folgen der Reihe an sich vorbeiziehen lassen. Das ist schade, etwa für Laura Balzer, die einen fabelhaften Auftritt hat, für die sie schon früher hätte gefeiert werden sollen.

Trailer„Borowski und das hungrige Herz“

Mit Borowskis Frage „Geht es Ihnen gut“ kann Nele ersichtlich nichts anfangen, und als sie den Werdegang ihrer Freundin, die sie in der Selbsthilfegruppe der „Liebes- und Sexabhängigen“ kennenlernte, für Borowski rekapituliert, sagt sie: „Perfekt können wir nicht.“ Das gilt, gerade in der Liebe, für alle Protagonisten dieser Folge. Mit Sex hat das nicht notwendig zu tun, höchstens insofern, als seine Abwesenheit bei einigen der Menschen, mit denen Borowski und Sahin hier zu tun haben, zu derselben tiefen Traurigkeit führen kann wie jene, die Andrea und ihre Besucher so entschlossen übertünchen. Das zu erkennen darf man von Borowski in seinem vorletzten Fall erwarten.

Der Tatort: Borowski und das hungrige Herz läuft am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten.

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