DSA und Meinungsfreiheit im Fokus | ABC-Z

Die Europäische Kommission vermied am Montag eine direkte Reaktion auf US-Vizepräsident J. D. Vance. Der hatte auf der Sicherheitskonferenz in München die vermeintliche Einschränkung der Meinungsfreiheit in der EU durch das Gesetz für digitale Dienste (DSA) kritisiert. Meinungsfreiheit gehöre zur DNA der EU, betonte ein Sprecher nur. Dass Vance Fehlinformationen zum DSA verbreite, sagte er indes nicht. Was also stimmt? Erlaubt der DSA die Annullierung nationaler Wahlen und der EUKommission, soziale Medien abzuschalten?
Schränkt der DSA in der EU die Meinungsfreiheit direkt ein?
Das Gesetz verbietet auf digitaler Ebene, was „offline“ verboten ist. Dazu, was illegal ist, sagt der DSA selbst nichts. Das legen andere europäische und insbesondere nationale Gesetze fest. In Deutschland etwa zählen Aussagen dazu, die unter den Tatbestand der Volksverhetzung oder illegaler Hassrede fallen. Werden diese auf sozialen Medien verbreitet, müssen die Plattformen sie entfernen, wenn ein Nutzer sie darauf hinweist. Das wiederum gilt nur für den EU-Staat, in dem die Aussagen verboten sind, also in diesem Fall für Deutschland. Das ist verglichen mit den USA, wo die Meinungsfreiheit weit ausgelegt wird, eine Einschränkung.
Was heißt das für die Verbreitung von Desinformation?
Die Verbreitung von Desinformation ist durch den DSA nicht verboten. Die sozialen Medien müssen sie entsprechend auch nicht entfernen. „Sehr große Plattformen“ müssen aber nach Artikel 34 sicherstellen, dass von ihren Algorithmen kein Risiko für den öffentlichen Diskurs und Wahlen ausgeht. Auf dieser Grundlage kann die Kommission Verfahren einleiten, wenn sie den Verdacht hat, dass die Empfehlungssysteme sozialer Medien nicht genug dagegen tun oder sogar fördern, dass Desinformationen und Propaganda viel prominenter platziert werden als korrekte Informationen oder andersherum bestimmte Informationen und Quellen gezielt heruntergestuft werden. Auf English heißt das „shadow banning“. Wie weit das auszulegen ist, ist umstritten. Die Europaabgeordnete der Grünen Alexandra Geese hat gefordert, auf Basis der Artikel 34 die Empfehlungssysteme von Elon Musks Dienst X abzuschalten.
Was für Schritte hat die Europäische Kommission bisher ergriffen?
Die EU-Kommission hat sich im Umgang mit der Verbreitung von Desinformationen bisher stark zurückgehalten. So stark, dass Politiker wie Diplomaten den Verdacht äußern, dass geschehe aus politischer Rücksichtnahme auf US-Präsident Donald Trump und die ihn umgebenen Chefs der Digitalkonzerne. Die eingeleiteten Verfahren der Kommission auf Basis des DSA drehen sich um anderen Punkte, etwa den Schutz Minderjähriger oder die Auflagen für Werbung. Sie geht gegen Meta wegen das Verdachts vor, dass Facebook und Instagram vor der Europawahl die Sichtbarkeit bestimmter Posts und Konten limitiert haben, und sieht darin auch ein Engagement für die Meinungsfreiheit. Sie hat gegen Tiktok ein Verfahren eingeleitet, weil das Unternehmen zu wenig getan haben soll, um zu verhindern, dass Akteure (in diesem Fall Russland) die erste Runde der rumänischen Präsidentenwahl 2024 durch eine gesteuerte Kampagne auf der Plattform beeinflussen. Auch gegen X geht die Kommission im Kontext der deutschen Wahlen vor, nachdem X-Chef Elon Musk Wahlwerbung für die AfD gemacht hat. Alle Verfahren sind aber in einem frühen Stadium. Es gibt keine Entscheidungen.
Hat die Kommission die Annullierung der Wahlen in Rumänien gefördert?
Vance deutet an – unter Berufung auf den damals schon nicht mehr amtierenden ehemaligen Digitalkommissar Thierry Breton –, die Kommission könne ganze Wahlen annullieren. Tatsächlich hatte Breton in einem Interview gesagt, „gerade weil wir dieses Gesetz angewandt haben, ist es bis zur Annullierung der Wahlen gekommen“. Das war zumindest unglücklich formuliert und inhaltlich nicht richtig. So hat die EU-Kommission das Verfahren gegen Tiktok erst in Reaktion auf rumänische Geheimdienstberichte über eine Einflussnahme Russlands angestoßen. Wahlen – und deren Annullierung- seien allein Zuständigkeit der nationalen Behörden, betonte ein Sprecher am Montag mehrfach.
Erlaubt der DSA der Kommission, soziale Medien abzuschalten?
Eine vorübergehende Abschaltung ist als Mittel der letzten Wahl im DSA vorgesehen, wenn eine Plattform sich weigert, Verstöße gegen das Gesetz zu beheben. Zuständig dafür sind die nationalen Behörden oder in letzter Instanz auch die Kommission selbst. Vorausgeschaltet ist ein mehrstufiges Verfahren. Die Kommission kann die Abschaltung also nicht ad hoc anordnen oder – wie Vance sagte – „sobald sie etwas entdecken, dass sie als ‚Hassrede’ einstufen“.
Was für eine Rolle spielt der Krisenreaktionsmechanismus?
Der in Artikel 36 des DSA verankerte Mechanismus greift, „wenn außergewöhnliche Umstände … zu einer schwerwiegenden Bedrohung der öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Gesundheit . . . führen können“. Die Kommission kann „sehr große Plattformen“ dann verpflichten zu prüfen, welchen Beitrag ihre Dienste zur Krise leisten und Abhilfe zu leisten. Auch hier kann am Ende eine Abschaltung verfolgen. Der Mechanismus wurde im März 2022 in Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine und das Verbot von „Russia Today“ und „Sputnik“ geschaffen. Das war auch in der EU umstritten, zumal der Begriff Krise vergleichsweise vage definiert ist.