Junge Designer zeigen die Zukunft der Mode | ABC-Z

Manchmal, wenn das Leben es gut mit einem meint, erhält man nach einem Versäumnis eine zweite Chance, manchmal sogar eine dritte oder vierte. Nach einer vergessenen Verabredung, die man nachholt, oder nach einer Führerscheinprüfung, die man in der Wiederholung endlich erfolgreich hinter sich bringt. Oder nach einer Designerin, die man übersieht, um sie endlich zu entdecken. In diesem Fall: Laura Gerte.
Es begann im Januar. „Sehen wir uns gleich bei Laura Gerte?“, fragte da ein Kollege. „Nee“, lautete die Antwort. „Aber das ist doch DAS Event!?“ Aha. Die Empörung über dieses Unwissen ließ aufhorchen. Also diese Designerin in der nächsten Saison auf keinen Fall entgehen lassen.
Und diese Saison ist jetzt. Am Montag hat die Berlin Fashion Week begonnen. An vielen Orten in der Stadt vom Kitkat-Club bis zum Kranzler-Eck zeigen Dutzende Designer ihre Kollektionen für Frühjahr und Sommer 2026. Es ist eine verwirrende Vielfalt an Formaten, von der kleinen Präsentation im Laden über Gemeinschaftsausstellungen wie den Berliner Salon im Museum für Fotografie bis hin zur übergroßen Bühne wie dem Flughafen Tempelhof.
Punkmode mit melancholischem Unterton
Gleich am ersten Abend präsentiert Laura Gerte ihre Mode. Die Nachwuchsdesignerin, die ihre Ausbildung 2019 an der Kunsthochschule Weißensee abschloss, zeigt eine „Desire-Kollektion“ mit ausgefallenen Silhouetten aus recycelten Stoffen. Das Spiel zwischen Stärke und Fragilität der Frau bringt Entwürfe hervor, die an zerschlissene Punkmode erinnern, aber mit melancholischem Unterton. Sehr gut! Hatte der Kollege also wieder mal recht.
Die Berliner Modewoche ist eine Veranstaltung der Entdeckungen, wenn man es positiv ausdrücken möchte. Negativ gesagt: Es sind kaum Marken zu sehen, die auch international bekannt sind. Manche haben durchs Fernsehen ein Publikum gefunden wie Esther Perbandt, die 2020 erfolgreich bei der Designer-Casting-Show „Making the Cut“ von Heidi Klum und Tim Gunn mitmachte. Andere, wie Kilian Kerner, überzeugen schon dadurch, dass sie sich durch geschäftliche Rückschläge nicht aufhalten lassen. Und die große Schau von Marc Cain am Dienstagabend im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums zeigt, dass es sich auch für Unternehmen aus dem tiefen Südwesten der Republik lohnen kann, die Modewoche fürs Marketing zu nutzen. Andere Marken aus dem Westen wie Dorothee Schumacher und Odeeh haben sich leider von Berlin verabschiedet.
So oder so: Das dicht getaktete Programm suggeriert, dass es dauernd etwas zu sehen gibt – und dauernd etwas zu verpassen. Man muss immer wieder eine Schau für eine andere sausen lassen. Die FOMO, die „fear of missing out“, wird in Berlin immer größer, erst recht bei 33 Grad.
Was die fehlenden großen Namen betrifft, interpretiert Christiane Arp, die Präsidentin des Fashion Council Germany, beim Eröffnungsdinner im Grill Royal auch das einfach positiv: „Die Berlin Fashion Week ist ein Ort der Verbindung und bietet Modebegeisterten die Möglichkeit, aktuelle Entwicklungen der Branche zu verfolgen.“ Die Modewoche sei eine Plattform für junge Talente. Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD), der die Kreativwirtschaft wichtig ist, meint: „Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist eine resiliente und gut vernetzte Kreativszene für Berlin von großer Bedeutung.“
Manchmal erkennt man, was mit der Plattform für junge Talente gemeint sein könnte. Wenn man zum Beispiel in der Schau von Mario Keine sitzt, der seinen Namen zu „Marke“ verkürzt hat – nicht ganz unwitzig für ein aufstrebendes Label. Seine Kollektion gehört schon deswegen zu den besten, weil er sich nicht darin erschöpft, wie so manch andere Marke, übergroße Jacken und schlabberige Hosen als originär auszugeben. Seine Kollektion „The Summer I Never Had“ soll eine Reflexion sein über „queere Jugend und stille Liebesgeschichten, die durch Scham, Zeit und Unsichtbarkeit verdunkelt werden“. Das Verbergen, Öffnen und Selbstdarstellen zeigt sich mit einer sanften Farbpalette in vielschichtiger Mode, die aus einem locker gegürteten schwarzen Mantel ohne Knöpfe oder einer Haremshose aus glänzend grauem Stoff kleine Ereignisse machen.
Soll niemand sagen, dass die Berliner Mode keine Zukunft hat
Härter zur Sache geht das Label Richert Beil. Ihre Schauen verpasst man ungern; wegen Austragungsorten wie alten Bunkern, vor allem aber weil sie Materialien wie Latex und Leder gekonnt mit Schneiderhandwerk verbinden. In ihrer neuen Kollektion „Milieuschutz“ ist das zu sehen in Form einer Trachtenhose aus Latex, an Lingerie-Details und Seidenhosen. Bei Jale Richert und Michele Beil sitzt jede Naht. Ihre Mode präsentieren sie in der alten Springers-Apotheke an der Muskauer Straße in Kreuzberg. „Das wird unser neuer Laden“, sagt Michele Beil nach der Schau.
Michael Sontag, mit dem sie befreundet sind, hat nebenan sein Modegeschäft. Seinem Vermieter empfahl er die beiden als Nachfolger für die Apotheke. Nach dem Umbau wollen sie schon im September einziehen. Sie verkaufen ihre Mode international in einigen Ländern, aber ein eigener Laden mit Studio und Küche ist bestimmt eine bessere Basis. Soll niemand sagen, dass die Berliner Mode keine Zukunft hat.