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Jacques Tilly: Der kreative Narrenfreiheit-Künstler aus Düsseldorf – Panorama | ABC-Z

Der Mann im roten Overall ist nicht der erste Straßenkünstler, dem ein Museum die Ehre einer „Retrospektive“ erweist. Banksy, der unter Pseudonym sprühende Street-Art-Künstler, erlebte das, auch der Graffiti-Pionier Harald Naegeli hat das hinter sich. Nun erfährt Jacques Tilly diese Weihe seiner Kunst, am Sonntag eröffnete das Stadtmuseum Düsseldorf eine Gesamtschau des kreativsten deutschen Karnevalisten: 22 Tage, bevor „d’r Zoch kütt“ – und zwei Wochen vor der Bundestagswahl.

Dutzende Entwürfe und Fotos spöttischer Mottowagen hängen an den Wänden. 1984 verhöhnte Tilly Helmut Kohl als Kanzler ohne Kleider, 2004 war ein nackter Gerhard Schröder dran. Altwerke wie die dreidimensionalen Karikaturen aus Pappmaschee von Donald Trump und Sahra Wagenknecht stehen im Saal. Und überlebensgroß entsetzt Wladimir Putin, der sich in einer blau-gelb bemalten Badewanne voller ukrainischem Blut suhlt.

Jacques Tilly teilt aus, seit vier Jahrzehnten. „Satire auf Rädern“ nennt der 61-jährige Düsseldorfer seine Kunst. Es soll Politiker geben, die alljährlich zu Rosenmontag fürchten, zum Objekt der Kunst des Kommunikationsdesigners zu werden. In Zeiten, da Terror, Trump und rechtsextreme Tiraden auch die Jecken verunsichern, sucht sich Düsseldorfs Till Eulenspiegel die Opfer seines Spotts gezielter denn je aus. Vorige Woche etwa schaute Hendrik Wüst, der NRW-Ministerpräsident, kurz vorbei in Tillys Großatelier, einem ehemaligen Straßenbahndepot. „Sie sind dieses Jahr nicht dabei“, beruhigte der Jecke den Gast, „dazu müssten Sie erst mal richtig Mist bauen.“ Der CDU-Politiker nahm’s als Kompliment.

Sicher, auch diesmal will Tilly wieder Kanzler und Kardinäle abwatschen. Die Obrigkeit eben, auch die von (vielleicht) morgen: „Friedrich Merz kommt vor“, verrät er vorab, „das verlangt die Narrenfreiheit.“ Beim Gespräch in der Werkshalle senkt Tilly die Stimme. Er spricht von „der neuen Rolle“, die Freigeister wie er inzwischen hätten. Früher nahm er alles aufs Korn, „den Kohl, die Atomkraft und all das.“ Und nun? „Inzwischen erleben wir einen autoritären Angriff gegen den bürgerlichen Verfassungsstaat“, sagt Tilly, „in dieser Lage wechselt man vom Angreifer zum Verteidiger.“ Der wachsende Rechtspopulismus verlange von ihm „eine Drehung um 180 Grad: Als Satiriker verteidigen wir das System – das beste, das es in Deutschland je gab.“

Überlebensgroß entsetzt Wladimir Putin, der sich in einer blau-gelb bemalten Badewanne voller ukrainischem Blut suhlt: Jacques Tilly mit einem seiner bekanntesten Motive in der Ausstellung im Düsseldorfer Stadtmuseum. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Die neuen Gefahren für Freiheit und Toleranz spiegeln sich auch in der Ausstellung wider. 2015, nach dem Terror-Anschlag auf die französische Zeitschrift Charlie Hebdo, zeigte Tilly einen Islamisten, der (vergeblich!) die freie Satire töten will. Und den AfD-Anführer Björn Höcke präsentierte er mehrmals als Nazi, im blauen statt braunen Anzug. Zwischen dem liberalen und dem autoritären Denken, so deutet es Tilly, tobe momentan „ein Bürgerkrieg ohne Waffen.“ Da weiß er, wo er steht.

Vielleicht, so hofft Tilly leise, könne der Straßenkarneval eine Woche nach allem Wahlkampf wieder ein wenig zusammenführen, was zusammengehört:  „Karneval ist für jedermann, egal welche Hautfarbe, welche Partei“, sagt er, „das ist das offenste Volksfest, das es gibt.“ Düsseldorfs rheinische Konkurrenz in Köln übrigens wirbt aktuell sogar mit Liebe – mit „FasteLOVEnd“ im Motto.

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