Kultur

So erinnern Künstler an verfolgte Journalisten | ABC-Z

Sie schauen einem mit wachem Geradeausblick entgegen, oft ernst und nachdenklich, manche lächeln sanft. Frauen und Männer, teils mit Kopftuch, teils mit Hut, die Haare dunkel oder blond. Mal sind sie gezeichnet, mit markantem Strich und feinen Schattierungen, mal erscheinen sie wie ein Gemälde in gedeckten Tönen oder kräftigen Farben.

Es sind ausdrucksstarke Por­träts, nicht nur wegen der künstlerischen Umsetzung, sondern vor allem wegen der Persönlichkeiten und ihrer Schicksale: Sie sind allesamt verfolgte oder ermordete Journalisten.

Mehr als 800 solcher Porträts haben rund hundert Künstlerinnen und Künstler aus dem In- und Ausland inzwischen gestaltet, sie sind Teil des 2015 in Frankfurt gegründeten Projekts „Wahrheitskämpfer“. Auf der Website www.wahrheits­kaempfer.de sind sie vereint und werden in alphabetischer Folge nebst Steckbriefen präsentiert.

„Wir wollen ihnen ein Denkmal setzen“

Das beginnt mit A wie Issam Abdallah, einem mit Preisen ausgezeichneten Reuters-Videojournalisten, der 2023 im Libanon durch einen Granateneinschlag an der Grenze zu Israel getötet wurde. Und endet bei Z wie Adel Zourob, einem freiberuflichen Journalisten, der 2023 in Gaza bei einem israelischen Luftangriff ums Leben kam. Laufend kommen neue Porträts hinzu.

Ein „Mahnmal der Pressefreiheit“ soll es sein, so erklären es die Projektmacher auf ihrer Website: „Wir zeichnen ermordete und inhaftierte Journalist:innen aus der ganzen Welt, weil wir ihren Mut bewundern und ihnen ein Denkmal setzen wollen.“ Ergänzt werden die Porträts durch solide recherchierte Kurzporträts mit Fakten zu den Werdegängen der Journalisten, zu ihrer Arbeit und den Umständen ihrer Verfolgung oder ihres Todes.

Gezeigt wird dies längst nicht nur online. Als Wanderausstellung waren die Porträts bereits vielfach in Deutschland wie international zu sehen. Stationen waren etwa das Haus der Bundespressekonferenz in Berlin, der Hessische Landtag, der Friedenspalast in Den Haag oder ein internationaler UNESCO-Kongress in Ghana.

Der Ursprung und Kern der „Wahrheitskämpfer“ liegt in einem kleinen Ladenlokal in Frankfurt-Heddernheim, dem „Atelier 13“. Rundherum ist man dort umgeben von gezeichneten Porträts, Werktische und Farbpaletten sind zu sehen.

Erinnerung: Ein Porträt zeigt den bayerischen Journalisten Fritz Gerlich, der gegen die Nazis anschrieb und im KZ Dachau erschossen wurde.Frank Röth

Die Por­träts sind unprätentiös mit Stecknadeln an die Wand gepinnt, auf Ausstellungsstelen geheftet oder nehmen einen großformatig ein – wie etwa das Bild des Wikileaks-Gründers Julian Assange, der nach jahrelanger Inhaftierung infolge der Veröffentlichung von US-Geheimdienstdokumenten im vergangenen Jahr freigekommen ist.

Das Gros der Porträts stammt von der Künstlerin, Grafikdesignerin und Comiczeichnerin Susanne Köhler, die ihren Arbeitsplatz im „Atelier 13“ hat. Mit ihrem Lebenspartner Gerhard Keller hat sie das Projekt vor zehn Jahren gegründet. Auslöser war der Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ im Januar 2015 in Paris. „Das erschütterte mich als Comiczeichnerin unmittelbar“, erzählt die Fünfundsechzigjährige.

In den Wochen danach seien ihr viele Zeitungsmeldungen aufgefallen, die von der Ermordung von Journalisten überall auf der Welt berichteten. „Aus dem Ohnmachtsgefühl, das sich zwangsläufig eingestellt hat, wollte ich etwas Produktives machen.“ So sei die Idee entstanden, diesen Menschen als Porträtzeichnerin ein Denkmal zu setzen.

Die Texte steuert ihr Partner Keller bei, ein inzwischen pensionierter Lehrer und laut eigenem Bekunden seit jeher politisch engagiert, unter anderem als Mitgründer der hessischen Grünen.

Projekt soll Menschen zum Handeln bewegen

„Wir haben mit Ermordeten angefangen“, erzählt Susanne Köhler. Später seien auch Inhaftierte hinzugekommen. „Und wir versuchen, aktuell zu sein“, ergänzt Gerhard Keller. Auf der Instagram-Seite des Projekts, betrieben von einer beteiligten jungen Uigurin, sei zeitweise jeden Tag ein neues Porträt erschienen. Lang ist mittlerweile die Liste der Mitwirkenden aus diversen Ländern, die über die Jahre Arbeiten beigesteuert haben.

Die offene Ausrichtung des Projekts und ein weites Spektrum an kreativem Ausdruck war und ist für die beiden „Wahrheitskämpfer“-Gründer dabei zen­tral: „Bei uns kann wirklich jeder mitmachen, das war uns von Anfang an total wichtig.“ Ihre Kontakte haben sie im Zuge der Recherchen und Veröffentlichungen der Porträts, bei Ausstellungen und Veranstaltungen geknüpft.

Beim Porträtieren allein soll es dabei nicht bleiben. „Wir möchten mit unserem Mahnmal der Pressefreiheit nicht nur intellektuell informieren“, betonen die Projektmacher. Man wolle die Menschen auch emotional erreichen und animieren, sich zu engagieren. „Wir haben dadurch auch einen Zugang zur Menschenrechtsszene bekommen“, sagt Gerhard Keller.

So hätten sie für eine Kampagne mit Amnesty International zusammengearbeitet. Und bei ihren Veranstaltungen könne man auch Petitionen unterzeichnen oder sich an Briefaktionen beteiligen. „Wir tun auch etwas Gutes damit“, meint Köhler.

Die Sammlung mit Zeichnungen von verfolgten Journalisten soll weiter wachsen.
Die Sammlung mit Zeichnungen von verfolgten Journalisten soll weiter wachsen.Frank Röth

„Das ist ein gutes Gefühl“, sagt Keller – und hat dabei auch die positiven Rückmeldungen inhaftierter Journalisten vor Augen. Mancher sei regelrecht gerührt, dass man durch das Porträt anderswo auf der Welt Anteil nehme an seinem Schicksal. „Da werden auch mal Tränen verdrückt.“

Eine Auswahl nach politischer Ausrichtung will das Paar bewusst nicht vornehmen: „Wir wollen uns nicht zum Richter aufspielen, es geht nicht um politische Einordnung.“ Dass in jüngerer Zeit gehäuft palästinensische Journalisten por­trätiert werden, sei eine Folge des Gazakriegs.

Und ein aktueller Fokus auf verfolgte russische Journalisten habe sich ergeben, weil deren akute Bedrohungslage mit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine noch einmal gestiegen sei.

Dabei geben die beiden zu Bedenken, dass auch in Deutschland Bedrohungen und Einschränkungen gegenüber Journalisten zugenommen hätten – etwa durch Angriffe von Rechtsradikalen. „Die Einschläge sind näher gekommen“, sagt Keller. „Auch durch Fake News hat sich die Stimmung in den letzten zehn Jahren verschärft.“

Der journalistische Berufsstand werde bedauerlicherweise zunehmend ins Negative gezogen. „Daher passt dieses Projekt gut in die Zeit“, findet er und betont: „Journalismus ist grundlegend wichtig dafür, dass Demokratie funktioniert.“

Und die „Wahrheitskämpfer“ seien eine mobile und virtuelle Gedenkstätte, mit der sie sich für die Pressefreiheit einsetzen. Einen bitteren Beigeschmack hat das Ganze allerdings. Denn, so befürchtet Susanne Köhler mit Blick in die Zukunft: „Die Journalisten, die wir porträtieren, werden uns nicht ausgehen.“

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