Kultur

Fo­to­gra­fie aus dem Ruhrgebiet: Nostalgie in Krisenzeiten | ABC-Z

Das „Pixelprojekt“ versteht sich als visuelles Gedächtnis des Ruhrgebiets. Die neu aufgenommenen Arbeiten sind jetzt zu sehen.

Als stetig wachsendes fotografisches Gedächtnis des Ruhrgebiets verstand sich das Pixelprojekt Ruhrgebiet bereits zu seiner Gründung vor rund 20 Jahren. Die Idee: Die Aufnahmen professioneller Fo­to­gra­f:in­nen archivieren und so im Internet auf Dauer zugänglich machen, was nach Ausstellungen und Projekten üblicherweise in irgendwelchen Kisten und Mappen verschwindet. Mit Erfolg, kann man heute sagen. Inzwischen umfasst die Sammlung 635 Fotoserien von insgesamt 381 Fo­to­gra­f:in­nen – in mehr als 10.000 Einzelbildern. Die Neuzugänge, von denen auf diesen Seiten hier eine Auswahl zu sehen ist, werden dabei regelmäßig in eigenen Ausstellungen präsentiert.

Kuratiert werden diese Arbeiten von einer Fachjury. Bewerben tun sich neben wenigen Ama­teu­r:in­nen und Studierenden immer wieder auch international bekannte Fotograf:innen, um ihren je eigenen Blick aufs Ruhrgebiet zur Diskussion zu stellen. Das wesentliche Stichwort hier lautet: Autor:innenfotografie. Bilderserien also, nach deren Motiven die Fotografierenden selbst gesucht haben – die statt bloß urbane Landschaften und Straßenzüge zu dokumentieren, immer auch eine subjektive Perspektive auf gesellschaftliche Zusammenhänge entwickeln. Und das ganz besonders in der Stadt. Zum Vergleich: Während die Ru­brik „Landschaft und Ökologie“ online 98 Serien umfasst, gibt es über „Stadt und Architektur“ 266.

Bemerkenswert ist übrigens, dass Pixelprojekt-Initiator (und bis heute auch -juror) Peter Liedtke schon 2005 im taz-Interview beklagte, wie wenig Zukunft in den Bewerbungen stecke: dass Fo­to­gra­f:in­nen also offenbar mehr Interesse an den finsteren Seiten des Strukturwandels entwickeln als an der regionalen Innovationskraft.

„Asylantenalltag“, Oberhausen, 1990: In seiner Serie „Asylantenalltag“ hat Karl-Heinz Tobias die Stimmung Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre, die den „neuen Fremden“ gegenüber herrschte, und die Zustände in den Unterkünften fotografisch dokumentiert



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Karl-Heinz Tobias


„Public Animal“, Dortmund, 2023: In seinem Fotoessay „Public Animal“ nimmt Lukas Staab (*1998) Abbilder von Tieren in verschiedenen Lebensbereichen in den Blick. Es ist eine Suche „nach vielen kleinen Details und Schauplätzen …, in welchen uns Tiere im heutigen Alltag begleiten, ohne dass es uns auffällt oder uns bewusst ist“



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Lukas Staab


„Henrichshütte“, Hattingen, 1987: Vom Stahlwerk Henrichshütte in Hattingen sind heute nur noch der Hochofen und einige Hallen erhalten. In seiner Serie „Henrichshütte“ dokumentiert Jörg Winde (*1956) mit Ansichten des für die Öffentlichkeit nie zugänglichen Werksgeländes das Ende der Stahlproduktion dort



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Jörg Winde


„Gelb ist Geschichte (Menschen)“, Ohne Titel, Dortmund, 2024: Seit einigen Jahren sind Suchterkrankungen ein zentrales Thema der fotografischen Arbeit von Alexander Lackmann (*1994), in seiner Serie „Gelb ist Geschichte“ zeigt er Bilder von Konsumräumen und Porträts von Klienten und Angestellten



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Alexander Lackmann


„Einfahrt“, Essen, 2021: In ihrer Serie „Einfahrt“ zeigt Havva Ayvalik Einfahrten zu Hinterhöfen und Garagen in Essen – als Bestandteil der urbanen Landschaft. „Sie wirken wenig einladend, wecken jedoch Neugier“, sagt die Fotografin



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Havva Ayvalik


„35 Jahre Starlight Express in Bochum – making of 1988/2023“: In seiner Serie dokumentiert das Fotografenteam Gerald Hänel und Udo Thomas die Geschichte des Musicals „Starlight Express“ in Bochum. In Schwarz-Weiß-Fotos hielten die beiden 1988 die Vorbereitungen zur Premiere fest, nach 35 Jahren bekamen sie die Gelegenheit, die Show diesmal in Farbe zu fotografieren



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Gerald Hänel + Udo Thomas/GARP


„Bavaria Film Park Bottrop“, Rollenspiel, Bottrop, 1993: Das Gelände des heutigen Movie Park Germany in Bottrop-Kirchhhellen wird seit 1967 als Themenpark genutzt. 1992 wurde dort der „Bavaria Film Park Bottrop“ eröffnet, der seinen Schwerpunkt auf das Hinter-die-Kulissen-Sehen der Filmbranche legte. Bei einem Besuch im August 1993 fotografierte Uwe Bedenbecker (*1965) auf dem Gelände. Bereits 1994 musste der Bavaria Filmpark Bottrop aufgrund des ausbleibenden Erfolgs seine Pforten schließen. Heute begrüßt der „Movie Park Germany“ dort jährlich etwa 1,4 Millionen Besucher



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Uwe Bedenbecker


Wirklich verwunderlich ist das nicht. Als die Pläne zum Pixelprojekt in 2002 langsam konkret wurden, war der Zusammenbruch im Ruhrgebiet noch greifbarer und unmittelbarer als heute. Bergbau und Stahlindustrie hatten historische Tiefstände erreicht und anders als bei den Krisen früherer Jahrzehnte war kein Ersatz in Sicht. Tatsächlich geht der Bergbau im Ruhrgebiet seit hundert Jahren zurück, nur sprangen früher eben Elektronik, Chemie- und Automobilindustrie in die Bresche.

Heute ist das Ruhrgebiet in Sachen Arbeitslosigkeit immer noch deutschlandweit vorne: 10 Prozent im regionalen Durchschnitt, in Gelsenkirchen sind es sogar 14,8. Das sind Zahlen, die sich auch in vielen Pixelprojekt-Serien niederschlagen: Stillgelegte Industriekolosse finden sich neben überwucherten Gleisen oder historischen Szenen aus Betrieben, die es längst nicht mehr gibt.

Pixelprojekt Ruhrgebiet. Neuauf­nahmen 2024/2025: Die Ausstellung ist noch bis 14. November 2025 im Wissenschaftspark Gelsenkirchen zu sehen. Online ist das Archiv unter www.pixelprojekt-ruhrgebiet.de zu finden.

Nur ist die Geschichte damit eben nicht vorbei. Denn tatsächlich sind in den jüngeren Jahrgängen inzwischen auch ganz andere Töne zu vernehmen. Insbesondere in der Porträtfotografie, die sich inzwischen zum Kontrastprogramm zu den ja tatsächlich zwar ebenfalls beeindruckenden, aber oft auch arg trostlosen Straßenbildern ausgewachsen hat. Das Leben geht weiter, könnte so eine Art (Zwischen-)Fazit sein nach zwei Jahrzehnten Pixelprojekt.

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