Kultur

“Der Wald in mir”: Mein Kopf, die Bestie | ABC-Z

Als
dem US-amerikanischen Schriftsteller Henry David Thoreau die Welt zu viel
wurde, zog er in den Wald. Er baute sich ein kleines Häuschen an einem Teich,
fischte und schrieb, und verbrachte die nächsten zwei Jahre und zwei Monate vor
allem damit, den Himmel, die umliegende Natur und ihre Bewohner zu beobachten.

Auch
in dem Film Der Wald in mir gibt es eine einsame Hütte. Sie steht an
einem Abhang, umgeben von hohen Bäumen. Das Laub raschelt, wenn eine Maus oder
ein Vogel über den Boden trippelt. Manchmal schleicht ein Fuchs herum oder
Nebel schlängelt sich milchig um die schlanken Stämme. Es ist ein schöner Ort,
ein idyllischer Ort. Doch am Ende des Films, so viel sei verraten, steht er in
Flammen.

Der
Regisseur und Fotograf Sebastian Fritzsch hat sich das Bild von einem Rückzugsort
im Wald geliehen und benutzt den Schauplatz und die umliegende Natur, um eine
menschliche Psychose zu ergründen. In Der Wald in mir, der 2024 auf dem
Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken Premiere feierte, geht es um den
Biologiestudenten Jan (Leonard Scheicher). Jan zeichnet viel und liebt Tiere. Er liebt sie sogar
so sehr, dass er Labormäuse befreit und Stabheuschrecken und Nattern in großen
Terrarien bei sich zu Hause hält. Menschen mag er eher weniger, zumindest meidet
er sie, bis er bei einem Protest an seiner Uni die Studentin und Umweltaktivistin
Alice (Lia von Blarer) kennenlernt. Sie zieht ihn in ihren Bann und auch ein
bisschen aus seiner Isolation heraus, allerdings nur kurz, denn bald wird klar,
dass mit Jan etwas nicht stimmt. Er hört plötzlich Stimmen, wo keine sind, und fühlt
sich verfolgt, selbst wenn niemand ihn beobachtet.

Der
Wald in mir
kommt
mit wenigen Worten aus. Auf Small Talk wird verzichtet, wenige Sätze reichen Jan
und Alice, um sich richtig kennenzulernen. Wo wenig gesprochen wird, tritt der Atem
in den Vordergrund: Das hektische Keuchen nach einem Lauf durch den Wald, das
gierige Luftholen während eines Kusses, das rhythmische Inhalieren und Pusten,
um ein Feuer in Gang zu bringen, dominiert die Tonspur, vermischt sich mit
zahlreichen Tiergeräuschen. Füchse bellen, Vögel zwitschern und krächzen. Die
Beziehung von Alice und Jan hat von Anfang an etwas Animalisches: Vor dem
ersten Kuss wird sich angeknurrt und ein bisschen gebissen. Später knurrt Jan
auch, wenn Alice nicht da ist. Außerdem zieht er immer häufiger und länger
durch den Wald, besucht seine Hütte.

Seine
Streifzüge entwickeln schon bald einen Fluchtcharakter. Die Natur, Bäume und
Tiere werden Teil seines Wahns – und er verliert sich immer mehr in seiner
Vorstellung, Teil des Ganzen zu sein. In seinem Roman Walden beschreibt
Thoreau liebevoll, wie eine Maus die Brotkrumen von seinem Frühstück isst. In Der
Wald in mir
isst Jan schlussendlich eine Maus.

Die
Bildsprache des Films bleibt dabei mit wenigen Ausnahmen poetisch. Jan, wie er
auf einer Wiese aus dem Nebel auftaucht, der kahle Wald in der bläulichen Dämmerung:
Die Szenen muten mystisch und wunderschön zugleich an. Zarte Musik untermalt
selbst hektische Tanzsequenzen, in denen zu Techno und blitzenden Lichtern
gefeiert wird. Gebrochen wird der Eindruck bloß in den Szenen, in denen Jan
sich bedroht fühlt. Als er sich wie ein in die Enge getriebenes Tier hinter
einer Topfpflanze versteckt oder sich – zum Abtransport bereit – wie gefesselt
auf den Boden legt, flucht und schimpft, wird der Unterton roher. Grünes und
rotes Licht in düsterer Umgebung lassen vor allem in Innenräumen den Eindruck
entstehen, dass sich nicht nur Jans Tiere, sondern auch die Protagonisten
selbst in einem riesigen Terrarium befinden.

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