Janukowitsch in Russland: Comeback des Gemiedenen | ABC-Z

Viktor Janukowitsch ist wieder da. Vor einer hellen Wand und einer Zimmerpflanze pflichtet der mittlerweile 75 Jahre alte frühere ukrainische Präsident, den russische Spezialkräfte Ende Februar 2014 nach Russland brachten, seinem Schutzherrn bei. „Ja, Wladimir Wladimirowitsch hat vollkommen recht“, sagt Janukowitsch über den russischen Präsidenten Putin in einem kurzen Videoclip, den russische Staatsnachrichtenagenturen am Montag verbreiteten. Wann und wo er aufgezeichnet wurde, blieb unklar; offiziell wird zu Janukowitschs Aufenthaltsort in Russland nichts mitgeteilt.
Doch bezog sich der in seiner Heimat in Abwesenheit zu langen Haftstrafen verurteilte Janukowitsch offenkundig auf einen jüngsten Auftritt Putins in China: Auf dem Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit in Tianjin hatte Putin in seinem steten Bemühen, die Schuld am russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine anderen zuzuschieben, gesagt, der Westen habe 2014 mit einem Staatsstreich eine politische Führung in Kiew „entfernt“, die einen Beitritt der Ukraine zur NATO „nicht unterstützt“ habe.
In Wirklichkeit war es bei dem Machtkampf in der Ukraine damals nicht um die NATO, sondern um ein ausverhandeltes Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der Europäischen Union gegangen, das der damalige Präsident Janukowitsch auf russischen Druck hin nicht unterzeichnet und damit Massenproteste ausgelöst hatte. Selbst im Kreml-Narrativ zum Geschehen hatte die NATO seinerzeit keine tragende Rolle gespielt. Jetzt erwähnte Putin die EU gar nicht erst, offenkundig, weil er mittlerweile auf das westliche Verteidigungsbündnis als Hauptfeindbild setzt.
EU oder NATO? Das nimmt Janukowitsch nicht mehr so genau
Janukowitsch tut dagegen im neuen Clip so, als hätte Putin über die Annäherung der Ukraine an die EU unter seiner, Janukowitschs, Führung gesprochen, wiederholt dann alte Vorwürfe („Hochmut“) an die Adresse der Europäer. „Aber ich war immer ein kategorischer und überzeugter Gegner eines Beitritts der Ukraine zur NATO“, behauptet Janukowitsch dann. In Wirklichkeit war Janukowitsch während seiner Präsidentschaft (2010 bis 2014) zwar vom Ziel einer Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO abgerückt, die, wie auch für Georgien, auf dem Bukarester Gipfel des Bündnisses 2008 als grundsätzliche Beitrittsperspektive vereinbart, allerdings von Deutschland und Frankreich mit Rücksicht auf Moskau abgelehnt worden war.
Doch trat Janukowitsch als Präsident als Befürworter einer Partnerschaft der Ukraine mit der NATO auf, die in der Praxis unter anderem Manöver und Schulungen umfasste. Mittlerweile ist aber schon eine solche Zusammenarbeit in Moskau verhasst: Vor dem Überfall auf die Ukraine von 2022 ist Putin dazu übergegangen, der NATO vorzuwerfen, sich die Ukraine „anzueignen“, und als der Feldzug im Frühjahr 2022 nicht den erwarteten raschen Erfolg erzielte, begann sein Macht- und Medienapparat, den Angriffskrieg als Verteidigungskampf gegen einen „kollektiven Westen“ darzustellen. Entsprechend tritt nun auch Janukowitsch auf: Er habe „klar und deutlich verstanden“, dass ein NATO-Beitritt „eine Katastrophe für die Ukraine“ wäre, „der direkte Weg in den Bürgerkrieg“, sagt Putins Gast in dem Videoclip und übernimmt dabei eine weitere russische Umdeutung, in welcher der Krieg, den Moskau von den Anfängen im Jahr 2014 an steuerte, als innerukrainisches Ringen erscheinen soll.
Putin meidet Verlierer wie Janukowitsch öffentlich
Schon frühere Auftritte Janukowitschs in Russland waren von dieser Narrativübernahme gekennzeichnet. Sie folgt dem Grundsatz, dass möglichst viele Akteure auf möglichst vielen Kanälen bis in die Wortwahl identische Botschaften verbreiten, um sie dem Zielpublikum in Russland wie im Ausland möglichst wirkungsvoll einzuimpfen. Allerdings steht die Strahlkraft Janukowitschs nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Russland in Zweifel. Putin hat sich seit Janukowitschs Ankunft in Russland nie mit ihm gezeigt; wohl, weil er Verlierer meidet und davon ausgeht, dass ein Treffen unter seiner präsidialen Würde wäre. Nicht einmal, nachdem ein unter falschem Namen in Russland lebender Sohn des früheren ukrainischen Präsidenten im März 2015 umkam, als ein von dem jungen Mann gesteuerter Kleinbus vor der Insel Olchon ins Eis des Baikalsees einbrach, kam ein offizieller Kommentar.
Dabei nutzt Putins Apparat regelmäßig Ukrainer, die Kreml-Botschaften verbreiten, anderen voran Viktor Medwedtschuk, einen Weggefährten des russischen Präsidenten; Putin soll Taufpate einer Tochter des Ukrainers sein. Medwedtschuk war nach dem russischen Überfall von Ende Februar 2022 in der Ukraine untergetaucht, wurde aber im April entdeckt und unter Hochverratsvorwürfen festgenommen. Schon im September jenes Jahres kam Medwedtschuk in einem Gefangenenaustausch frei und konnte nach Russland ausreisen, das dabei außer Putins Protegé nur 55 russische Soldaten zurückerhielt, aber zehn Ausländer sowie 205 Ukrainer ziehen ließ, unter ihnen besonders dämonisierte Verteidiger des Asowstal-Stahlwerks in Mariupol.
Um Janukowitsch blieb es dagegen viele Jahre lang ruhig, mit nur zwei Ausnahmen: Im März 2022, kurz nach dem Überfall auf die Ukraine, veröffentlichte eine russische Staatsnachrichtenagentur einen Aufruf Janukowitschs an den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, „das Blutvergießen um jeden Preis zu stoppen und ein Friedensabkommen zu erreichen“. Gemeint war offensichtlich, dass Kiew sich Putins Willen beugen und kapitulieren solle. Als dann im Sommer desselben Jahres Putins Leute auf allen Kanälen ihre (fälschlicherweise westlichen Politikern zugeschriebene) Formel verbreiteten, der Westen wolle in der Ukraine „bis zum letzten Ukrainer“ gegen Russland kämpfen, wurde auch Janukowitsch mit den Worten zitiert, die Ukrainer sollten entscheiden, ob sie „kämpfen ‚bis zum letzten Ukrainer‘ oder das bewahren, was noch bleibt“.
Seither war Janukowitsch nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten – bis Montag. Russische Beobachter vermuteten nun, dass es dem Kreml mit dem neuen Auftritt darum gehe, Putins Aussagen in China und überhaupt den viertägigen Besuch des Präsidenten dort hervorzuheben. Indes gab es auch viel Spott, so vom Politologen Sergej Markow, der trotz seiner stets kremltreuen Position seit Kurzem als „ausländischer Agent“ gilt. „Alle sind völlig verblüfft“, schrieb Markow auf Telegram ironisch angesichts der Erwartbarkeit der Aussagen Janukowitschs. Das ukrainische Nachrichtenportal Unian bezeichnete Janukowitsch als „politische Prostituierte“ und erinnerte an ein Zeitungsinterview, das er 2006 als Ministerpräsident gegeben hatte. „Der Beitritt zur NATO bleibt weiterhin unser Ziel“, ist es überschrieben.