Coaching für Jugendliche: Manchmal braucht es nur einen Zuhörer – Bad Tölz-Wolfratshausen | ABC-Z

Zuerst einmal eine Tasse Tee. Das gehört zum Ritual, wenn Lea Smiljic am Esstisch von Ernestine Eisler Platz nimmt. „Was willst du denn jetzt machen?“, fragt Eisler. „Hast du dich entschieden?“ Die Verunsicherung ist dem Teenager anzumerken. Mit 15 Jahren, mitten in der Pubertät, die richtige Berufswahl zu treffen, kann einen jungen Menschen schon schlichtweg überfordern. Doch ehe die Entscheidung ansteht, eine Ausbildung zu beginnen oder weiter zur Schule zu gehen, muss Lea ihren Quali an der Mittelschule schaffen. Da kommen die Coaches vom Verein „Arbeit für Jugend“ ins Spiel. Sie begleiten ihre Schützlinge in der Regel vom Beginn eines Schuljahres bis zur Beendigung der Probezeit bei einem potenziellen Arbeitgeber.
Lea ist ratlos. Sie liebt die Arbeit mit Computern, aber hat auch sehr gern mit Menschen zu tun. So schwirren im Kopf der jungen Frau allerlei Möglichkeiten herum. Dazu noch die Ratschläge von Lehrkräften, Freunden und Bekannten. Zunächst tendiert die 15-Jährige dazu, Industriekauffrau zu werden. Obschon Pflegefachfrau/Krankenschwester auch „schön“ wäre, wie sie sagt.
Einen Ausbildungsplatz hat die 15-Jährige schon in der Tasche
Vor etwa vier Jahren kam Lea mit ihrer Familie aus Bosnien nach Deutschland. Sie wohnt im Wolfratshauser Ortsteil Farchet und besucht die Grund- und Mittelschule in Waldram. Ernestine Eisler beschreibt die 15-Jährige als „recht selbständig und ehrgeizig“. Beste Voraussetzungen also, um den Quali zu schaffen. In Deutsch ist Lea gut, ebenso in Informatik. Nur Mathe – da schwächle sie, so Eisler. Die 70-Jährige arbeitet als ehrenamtlicher Coach beim Verein und macht es sich nun zur Aufgabe, ihrem Schützling den rechten Weg zu weisen, ohne die junge Frau zu bevormunden.
Noch einige Male diskutieren Coach und Schützling in den darauffolgenden Wochen das Für und Wider. Lea entscheidet sich letztlich doch für den Beruf der Pflegefachkraft. Einen Ausbildungsplatz hat die 15-Jährige bereits in der Tasche. Sie wird nach dem Abschluss in Waldram die Pflegefachschule Penzberg besuchen und in der Kreisklinik Wolfratshausen ihre Lehre absolvieren. „Trotz ihres jugendlichen Alters wurde sie in der Schule genommen, weil das Krankenhaus so von ihr angetan war und sie unbedingt haben wollte“, sagt Eisler. „Jetzt hoffe ich, dass sie den Quali schafft und im September frisch und froh ins Berufsleben startet.“
Berufliche Praxis steht im Vordergrund
Die Mittelschule ist die einzige Schulart, die Kinder und Jugendliche, die es an anderen Schulen aus welchen Gründen auch immer nicht geschafft haben, nicht abweisen kann. Sie hat den Ruf, das Auffangbecken für gescheiterte Schulkarrieren zu sein. Früher hieß sie Hauptschule, 2010/2011 erfolgte die sukzessive Umbenennung. Ziel war es, die Schulform stärker auf die berufliche Orientierung und die Förderung der Kompetenzen für das Berufsleben auszurichten. Der Namenswechsel sollte obendrein dem negativen Image der Hauptschule entgegenwirken.
Jugendliche mit Mittelschulabschluss brauchen Chancen auf einen Ausbildungsplatz, unabhängig von ihrem Notendurchschnitt oder ihrer familiären Situation, lautet das Credo des Vereins „Arbeit für Jugend“. Aktiv sind die Coaches an den Mittelschulen in Wolfratshausen, Waldram, Geretsried und Königsdorf. Gemeinsam mit den Schulleitungen, Lehrkräften und Jugendsozialarbeiterinnen versuchen sie, die Potenziale der jungen Menschen zu fördern – und ihnen so den Start ins Berufsleben zu erleichtern.
Rocco Mitic ist 16 Jahre alt. Er besucht die neunte Klasse der Mittelschule in Geretsried. Betreut wird er von Rainer Kebekus. Was er mal werden will, davon hat der junge Mann klare Vorstellungen. „Automobilkaufmann“, erzählt er, „oder Fahrzeugspengler.“ Das liegt in der Familie. Sein Vater ist in der Branche tätig. Rocco bekennt, ein „leidenschaftlicher Schrauber“ zu sein, egal, ob Autos oder Mopeds. Einen Ausbildungsplatz habe er schon „ziemlich sicher“ bei einem großen Autohaus in Wolfratshausen. „Es kommt ihm zugute, dass in diesem Bereich händeringend Azubis gesucht werden“, erklärt Kebekus. Auf die Zusage hundertprozentig verlassen möchte sich der Coach dennoch nicht. Rocco soll seinen Abschluss schaffen. Mathe ist nicht so sein Ding. Bei diesem Treffen indes steht Deutsch-Nachhilfe auf dem Programm. Das mache ich auch nicht so oft, sagt Kebekus.
1998 gründete Ilse Nitzsche mit vier Mitstreitern den Arbeitskreis „Arbeit für Jugend“. Sie wollte der zunehmenden Jugendarbeitslosigkeit etwas entgegensetzen. Das erste Ziel war ein guter Schulabschluss, das zweite, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. 80 Prozent der 26 aktiven Coaches seien im Ruhestand, erzählt Horst Niegel, der seit 2010 Vereinsvorsitzender ist. Besonders freut er sich, eine junge Mutter als Betreuerin gefunden zu haben. Überhaupt sei er sehr stolz auf das Angebot, das der Verein seit vielen Jahren aufgebaut hat. Die Schülerinnen und Schüler werden eins zu eins betreut. Der Fokus liege darauf, die Jugendlichen beim Übergang von der Schule in den Beruf zu unterstützen.

Für jede Partner-Mittelschule gebe es einen Ansprechpartner im Verein, ergänzt der zweite Vorsitzende Rainer Kebekus. Er selbst sei zuständig für die Mittelschule in Geretsried; Niegel betreut Waldram und Königsdorf, Hans Axtner Wolfratshausen. Die Coaches geben nicht nur Nachhilfe, sie kümmern sich auch um Praktikumsplätze. Es bleibe jedem Ehrenamtlichen selbst überlassen, so Niegel, wie nahe er seinen Schützling an sich heranlasse. Immerhin begleite man die Jugendlichen über ein Schuljahr lang. Kebekus führt noch einen Punkt an: Es gehe nicht zuletzt um die Vermittlung von Werten wie Pünktlichkeit oder Höflichkeit. Oft hätten die Jugendlichen einen schwierigen familiären Background. Da komme solches zu kurz. Manchmal, so erzählt er, gehe es bei den Treffen nicht um Mathe oder Deutsch. Denn die jungen Menschen bräuchten jemanden, der ihnen zuhört. Auch dafür sind die Coaches da.
Einen Wunsch hat Niegel: zehn weitere Coaches zu finden. Der Bedarf ist da. Für sie gibt es Workshops, niemand wird ins kalte Wasser geworfen. Dreimal im Jahr gebe es eine Supervision in der Gruppe, sagt Kebekus. Einzelgespräche seien ebenfalls möglich – vor allem dann, wenn ein Schüler oder eine Schülerin die Zusammenarbeit einfach abbricht. „Da stellen sich manche die Frage: Was habe ich falsch gemacht“, so Kebekus. Damit solle niemand alleingelassen werden.
Wer sich für eine Mitarbeit interessiert: Die nächsten Monatstreffen des Vereins Arbeit für Jugend finden am 26. Juni im Gasthaus Geiger in Geretsried und am 22. September im Gasthof Flößerei in Wolfratshausen statt; Beginn jeweils 18.30 Uhr.