Berlin

Entmietung in der Habersaathstraße: „Ein Beispiel, dass Kämpfen sich lohnt“ | ABC-Z

taz | Statt „Spaghettiii“ rufen die Menschen „Habersaath bleibt!“, als sie sich hinter dem Demobanner zum Gruppenfoto aufstellen. „Gemeinsam gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn“ steht auf dem, und: „Klimafeindlicher Abriss ist das Verbrechen“. Vor dem Rathaus Tiergarten an der Moabiter Turmstraße, einem Sitz des Bezirksamts Mitte, haben sich am Donnerstagnachmittag mehr als 80 Personen versammelt, um für die Rechte der Be­woh­ne­r:in­nen der teilbesetzten Habersaathstraße 40–48 zu demonstrieren. Die sind von massiven Entmietungsversuchen seitens des Hauseigentümers betroffen. Und das Bezirksamt ist bisher weitgehend untätig geblieben.

Andy dreht sich mit erhobener Faust zur Fassade des Gebäudes. „Werdet mal wach, ihr da oben“, schreit er ins Mikrofon. Seine Stimme halt von den Wänden wieder, die Menge gibt zustimmende Rufe. Andy wohnt seit drei Jahren in der Habersaathstraße, davor war er obdachlos. Die Zustände der letzten Wochen vergleicht er mit seiner Zeit auf dem Alexanderplatz: „Da wurde man auch vermöbelt“, sagt er.

Vor zwei Wochen waren Mitarbeitende einer Sicherheitsfirma in Wohnungen eingedrungen und versuchten, Be­woh­ne­r:in­nen illegal zu räumen. „Wir haben auch Rechte auf Rechte!“, ruft Andy. Zwischen den Sätzen bläst er in die gelbe Trillerpfeife, die um seinen Hals hängt.

Der Besitzer des Gebäudekomplexes in der Habersaathstraße, Andreas Pichotta, Geschäftsführer bei der Immobiliengesellschaft Arcadia Estates, will die Häuser abreißen und an ihrer Stelle Luxuswohnungen bauen. 2021 wurden etwa 30 leerstehende Wohnungen von überwiegend wohnungs- und obdachlosen Menschen besetzt. Darüber hinaus gibt es in den Häusern auch Mie­te­r:in­nen mit Vertrag sowie ein Hotel. Seit Jahren versucht Pichotta mit allen Mitteln, die Be­woh­ne­r:in­nen aus den Häusern zu bekommen.

Fernwärmevertrag nicht verlängert

In den letzten Wochen hat sich die Situation immer weiter zugespitzt. Neben den illegalen Räumungsversuchen wurde auch das Trinkwasser zeitweise abgestellt. Seit dieser Woche sind die über 200 Be­woh­ne­r:in­nen außerdem ohne Wärmeversorgung. Pichotta ließ den Vertrag mit dem Fernwärmeversorger Berliner Energie und Wärme (BEW) nicht verlängern.

Trotzdem sah das Bezirksamt Mitte bisher keinen ausreichenden Handlungsbedarf. Auf taz-Anfrage teilt das Amt mit, dass für eine sogenannte „Ersatzvornahme“ bisher die Grundlage fehle. In einem solchen Fall würde das Bezirksamt auf Kosten des Besitzers die Mietmissstände beseitigen. Dass Pichotta angab, die Mie­te­r:in­nen ab November mit Heizstrahlern zu versorgen, betrachtete das Bezirksamt als ausreichend. Es teilte zudem mit, dass lediglich „circa vier Wohnungen“ betroffen seien – gemeint sind offenbar diejenigen, für die Mietverträge vorliegen. Davon, dass auch das Hotel seit Dienstag keine Fernwärme mehr bezieht, scheint das Bezirksamt nichts zu wissen.

„Es ist vollkommen lächerlich, Heizstrahler in die Wohnungen zu stellen“, ruft Valentina Hauser* den Un­ter­stüt­ze­r:in­nen der Habersaathstraße vor dem Bezirksamt zu. Hauser ist von der Initiative „Leerstand hab ich saath“. Der einzige Effekt der Heizstrahler sei die Gefahr eines Hausbrandes: „Die Stromleitungen sind viel zu marode. Deswegen hat auch keine einzige Wohnung eine Waschmaschine“, so Hauser. Im Übrigen sei bei den Mie­te­r:in­nen bisher keines der angeblich versprochenen Geräte angekommen.

Die Bürgermeisterin ist nicht erschienen

Neben Hauser steht Fabian Jung, der in Hausnummer 44 wohnt. „Frau Remlinger, Herr Gothe“, sagt Jung und wendet sich ersatzweise dem Rathausgebäude zu – Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger und Baustadtrat Ephraim Gothe sind nicht selbst bei der Demonstration erschienen. Jung fordert sie auf, die Abrissgenehmigung für die Gebäude in der Habersaathstraße nicht wieder zu verlängern. Die aktuelle ist nur bis zum 31. Dezember gültig. „Wenn Sie das machen, unterzeichnen Sie Nötigung und Körperverletzung“, ruft Jung.

Stattdessen fordern Be­woh­ne­r:in­nen und Un­ter­stüt­ze­r:in­nen eine Rekommunalisierung der Gebäude. 9.675 Unterschriften hat eine entsprechende Petition bereits erreicht, das Ziel sind 10.000. Am 21. November plant die Gruppe, die Forderung an die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zu übergeben.

Jung ist optimistisch. „Wir müssen ein Zeichen setzten, dass Kämpfen sich lohnt“, sagt er zu der Menge. Die Habersaathstraße solle ein Beispiel dafür werden, dass mal wieder ein Eigentümer verliert. Die Un­ter­stüt­ze­r:in­nen halten ihre Plakate hoch: „Wohnungen sind kein Aktienpaket“ steht da unter anderem. Ein Satz aus einem wegweisenden Urteil in einer Räumungsklage gegen einen Mieter in der Habersaathstraße. Damals wurde für den Bewohner und gegen den Besitzer entschieden.

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