„Die Welt so gut es geht zusammenbringen“ | ABC-Z

Als mit zwanzigminütiger Verspätung der Anpfiff ertönt, geht es gleich zur Sache. „Fußball-Mafia DFB!“ Hier, wirklich? Man sieht Tennisbälle auf den Fußballplatz fliegen. Es folgen weitere Bilder und Töne, bei denen es knirscht und kracht: Von „Klinsi killt King Kahn“ über „Scheiß-Videobeweis!“ bis, als Social-Media-Zitat, „Pink, wie schwul ist das denn?“ Der Abend im Leipziger Gesellschaftshaus am Zoo beginnt unerwartet grell und mutig. „Lasst uns weiter streiten“, lautet die Aufforderung ans Publikum. Weil, so die Botschaft, der Streit in einer größeren Sache eint.
125 Jahre Fußballliebe, 125 Jahre DFB. Das ist das Motto, das der Deutsche Fußball-Bund seiner großen Geburtstagsparty am Freitagabend gegeben hat. Und auch wenn es im weiteren Verlauf der knapp zweieinhalb Stunden konventioneller wird, der Esprit in den Hintergrund des Jugendstil-Ambientes rückt, und stattdessen viel in Fotoalben geblättert und Erinnerungen geschwelgt wird: Dieses große Motiv lässt sich an diesem Abend auch im Kleinen finden.
Die Fußallliebe, sie bringt an diesem Abend etwa auch die früheren Präsidenten Reinhard Grindel und Wolfgang Niersbach unter einem Dach zusammen, dazu den früheren Vizepräsidenten Rainer Koch. Dass sie darüber hinaus etwas eint, ist, nach Sommermärchen- und sonstigen Verwerfungen, freilich nicht zu erkennen.
Infantino kommt zu spät
Jürgen Klinsmann und Lothar Matthäus, die ewigen Antipoden, die sich gerade noch einmal herrlich in einer ZDF-Doku fetzen, werden dagegen nicht nur auf der Bühne zusammengeführt, in ihrer Rolle als Ehrenspielführer gemeinsam mit Philipp Lahm, sie werden von Moderator Michael Steinbrecher aufgefordert, sich doch mal gegenseitig zu loben, was beiden ganz vortrefflich gelingt. Olaf Scholz, der Bundeskanzler äußert die Hoffnung, in der Fußballliebe der Deutschen noch etwas Verbindendes auf einem ganz anderen Niveau erkennen zu können: „eine mächtige Kraft für das gute Miteinander in unserem Land“.
Die größte Spannung des Abends liegt aber in einer anderen Begegnung, bei der der Beziehungsstand jenseits der Fußballliebe selbst nicht ganz so deutlich abzulesen ist: Gianni Infantino und Bernd Neuendorf. Dass Infantino, der FIFA-Präsident, überhaupt hier ist, wird unterschiedlich bewertet. Ganz normal bei so einem Anlass, heißt es beim DFB. In Umfeld des FIFA-Chefs wird bemerkt, dass sich das Verhältnis ja wieder verbessert habe, eine gute Arbeitsbeziehung herrsche, was im Umkehrschluss ja nur noch einmal verrät, wie schlecht es einmal gestanden haben muss.
Erst einmal allerdings verspätet sich Infantino, es hakt bei der Anreise aus Zürich. Als er ans Rednerpult tritt, nachdem vor ihm Heike Ullrich gesprochen haben, die DFB-Generalsekretärin, Bundeskanzler Scholz und Aleksander Čeferin, der UEFA-Präsident, begleitet ihn eher reservierter Applaus. Dann erklärt der FIFA-Chef erst einmal, dass er sein Manuskript in die Tonne tritt. Er wolle lieber „mit dem Herzen sprechen“.
Am Montag hat er noch in Washington gestanden, bei der Inauguration von Donald Trump, in dessen Reich in diesem Jahr die Klub- im kommenden die richtige WM stattfindet. Aber das ist kein Thema für diesem Abend, genauso wenig Saudi-Arabien. Heute fühlt Infantino sich ganz als Deutscher, oder zumindest: als großer Fan des deutschen Fußballs.
Der „Kicker“ habe nie fehlen dürfen im „Schulsack“ damals im Wallis, das Aktuelle Sportstudio sei „Religion“ gewesen. Und selbst sein erstes Stadionerlebnis, so schildert es Infantino, hat einen Link zu einem deutschen Fußballmythos. Es ist zwar das Schweizer Pokalfinale, das er mit seinem Vater besucht, aber es ist eben das Berner Wankdorf-Stadion, und Papa Infantino erzählt dem Sohn von 1954, dem Wunder von Bern.
„Die Welt so gut es geht zusammenbringen“
Diese Verbindung der Generationen durch den Fußball ist ein Leitmotiv des Abends, und später wird man gerade über Infantinos Rede viel Lob im Saal hören, er sei eben ein Menschenfänger, heißt es. Jetzt spricht er erst einmal noch über eine andere Verbindung – und über sich. In Anlehnung an die WM in Deutschland 2006, das Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“, sagt er: „Das ist auch das, was ich versuche zu machen: Die Welt so gut es geht zusammenzubringen durch den Fußball, mit dem Fußball.“ Bevor er abtritt, dankt er noch „allen, die dazu beitragen, dass die Welt auf Deutschland schaut und dabei immer etwas lernt“. Es verfängt offenbar, der Applaus ist jetzt schon merklich lauter.
Nichts allerdings gegen den Mann, der wenig später die Bühne betritt. Julian Nagelsmann ist zwar schon erwähnt und auch beklatscht worden anlässlich der Vertragsverlängerung zum Verbandsgeburtstag, aber nun hat er seinen eigenen Moment. Was auch deswegen gut zu diesem Abend passt, weil Nagelsmann als der große Versöhner gilt: zwischen Nationalmannschaft und Fußballnation.
In seiner Rede macht er deutlich, dass das – die neue Art von Fußballliebe, die er als Bundestrainer spürt – auch ein Grund für die Verlängerung bis nach der EM 2028 gewesen sei. Ein anderer: die Aussicht auf Erfolg. „Ich bin sehr guter Dinge, dass wir die Nations League gewinnen können“, sagt er. Und die Weltmeisterschaft? „Ich halte es nicht für hoch wahrscheinlich, aber garantiert nicht für ausgeschlossen.“ Das hat er schon einmal offensiver formuliert.
Nagelsmann jedenfalls, das ist auch später zu sehen, genießt den Abend und seine Rolle in vollen Zügen. Der DFB wiederum ist dankbar: für das Geschenk, das Nagelsmann dem Verband mit der Verlängerung gemacht hat. Weil er das nicht hätte tun müssen, so die Lesart, sei es ein starkes Zeichen für die Zukunft. Und schon auch für das, was von den Verantwortlichen selbst geleistet wurde: Ja, man ist wieder wer.
Als letzter ist Bernd Neuendorf an der Reihe. Mit ihm kehrt die Überraschung zurück und ein bisschen, jedenfalls für die Usancen einer solchen Veranstaltung, auch der Mut. „Hier in Leipzig“, sagt er, „wurde Geschichte geschrieben.“ Es ist nicht seine Hinführung zur DFB-Gründung in der Gaststätte Mariengarten vor 125 Jahren, es ist seine Erinnerung an die friedliche Revolution von 1989 und die besondere Leipziger Rolle darin. Auch danach verbindet er 125 Jahre Verbandsgeschichte mit 125 Jahren deutscher Geschichte, erinnert an die „wechselvolle und mitunter auch beschämende“ des Verbands, im Nationalsozialismus, und sagt, dass aus der Historie Verantwortung erwachse: „Wir müssen klar sagen: Nie wieder!“
Neuendorf bringt mehr als alle Vorredner an diesem Abend die DDR in die deutsche Fußballgeschichte ein – und kehrt über diesen Weg selbst zurück in die Gegenwart. „Der Mauerfall hat allen Deutschen Freiheit und Demokratie gebracht. Und daran sollten wir uns gerade und erst recht auch in aufgewühlten Zeiten immer erinnern“, sagt er.
Er spricht von der Einwanderungsgeschichte vieler Nationalspieler als Erfolgsgeschichte, erwähnt 2014 und Klose, Podolski, Khedira (Özil allerdings nicht) und nennt Diskussionen darüber, welche Hautfarbe Nationalspieler haben sollten, „vollkommen verfehlt“ und „spalterisch“ – das Gegenteil dessen, was der Fußball sei. An die Politik richtet er die Forderung, den Fußball nicht als Nebensache zu behandeln, Ehrenamt und Sportanlagen zu hegen und zu pflegen. Er schreibt dem DFB noch einmal ins Stammbuch, dass er „spät, viel zu spät“ begonnen habe, die Potentiale des Frauenfußballs auszuschöpfen.
Neuendorfs Tour d’Horizon endet bei: der Fußballliebe. Der Fußball, sagt er, „gehört allen, die ihn lieben, und nicht wenigen, die meinen, ihn kaufen zu können“. Das hat zwar kein spezielles Ziel in diesem Augenblick, auch nicht Infantino. Aber, wenn Fußballliebe nicht taub macht, kann man es trotzdem so verstehen.