Daron Acemoglu erhält am Dienstag den Wirtschaftsnobelpreis: Ein Interview | ABC-Z

Beides. Erfolg ist eine Kombination von Glück und Gelegenheit, das gilt auch in der Wissenschaft. Es ist schon eine Last, jetzt noch mehr Verantwortung dafür mit sich rumzutragen, die Gelegenheiten dann auch zu ergreifen. Aber die Auszeichnung ist auch inspirierend. Die eigenen Worte haben mehr Konsequenzen als vorher.
Nein, Amerikas Institutionen sind in Gefahr. Die Demokratie wird zwar nicht morgen zu Ende gehen. Aber schon Trumps erste Amtszeit hat an den demokratischen Normen gekratzt. Es gab Versuche, Kernprinzipien und Institutionen der Vereinigten Staaten zu schwächen. Ich erwarte, dass sich das in den kommenden vier Jahren intensivieren wird.
Was bedeutet das wirtschaftlich?
Wir werden keinen sofortigen Aktiencrash erleben, wenn Trump beispielsweise damit beginnt, das Justizministerium für seine politischen Zwecke einzuspannen. Aber je mehr solche demokratischen Grundlagen beschädigt werden, desto schwieriger wird es für Unternehmen, innovativ zu sein, zu investieren und zu wachsen.
Was fürchten Sie konkret?
Leute aus Trumps Umfeld könnten dafür sorgen, dass Unternehmen, die nicht auf seiner Linie sind, untersucht oder mit zusätzlicher Regulierung belastet werden. Das bremst die Dynamik.
Im Moment sind die Märkte aber sehr optimistisch, was Amerika angeht.
Ein Grund dafür ist, dass Trump Unternehmensteuern und Regulierung reduzieren will. Wenn er das richtig macht, ist das gut, mit der Regulierung geht es zum Teil viel zu weit. Man darf aber nicht vergessen, dass Trump angekündigt hat, bei Kryptowährungen und Künstlicher Intelligenz zu deregulieren. Gerade da darf es keine Wildwest-Mentalität geben. Krypto ist ein hochspekulatives Geschäft und für Betrug und unerlaubte Dinge genutzt worden.
Es gibt das Risiko für einen Crash und dafür, dass die Menschen ihr Geld verlieren. Künstliche Intelligenz ist aber noch bedeutsamer. Wettbewerb und die richtige Regulierung müssen dafür sorgen, dass diese mächtige Technologie in die richtige Richtung gelenkt wird und nicht für Fehlinformation in sozialen Netzwerken und andere Dinge missbraucht wird. Trumps Deregulierung kann da großen Schaden anrichten, was sich dann in zwei, drei Jahren zeigen wird.
Würden Sie Trumps Wirtschaftsberater werden, wenn er Sie fragt?
Nein. Er ist eine Gefahr auf diesem Posten. Keine vernünftige Person sollte ihn unterstützen.
Ja. Der Fall Bezos ist aber anders gelagert als Musk. Bezos hat das Gefühl, dass sein Geschäft auf dem Spiel steht und Trump eine Bedrohung für ihn ist. Wenn man Angst haben muss, dass sonst die Steuerbehörde, das Justizministerium oder sonst etwas Schreckliches zu einem kommt, macht es Sinn, auf Trumps Linie einzuschwenken.
Entwickelt sich Amerika gerade zu einer Oligarchie?
Wenn Trump erfolgreich ist, würde sich das Land in diese Richtung entwickeln. Sein gescheiterter Versuch, seinen Getreuen Matt Gaetz, gegen den selbst ermittelt wird, zum Justizminister zu machen, Trumps Nominierungsvorschlag für den FBI-Chef – das sind alles Signale an die Bevölkerung, dass er diese Institutionen übernehmen will. Es läutet die Todesglocke für diese Institutionen, wenn das auf diese Art geschieht.
Ja, das zeigen die Daten ganz eindeutig. Das liegt aber nicht daran, dass es eine bessere Alternative gibt. Seit mehreren Jahrzehnten löst die Demokratie nicht wirklich ein, was sie verspricht: Wohlstand für möglichst viele und funktionierende öffentliche Dienstleistungen. Die Menschen wollen gehört werden, fühlen sich aber oft sprachlos, als würden sie gar nicht existieren. Das ist in Amerika so, in Teilen aber auch in Deutschland, Schweden, Frankreich.
Die gewählten Vertreter hören den Menschen nicht zu, zum Beispiel denjenigen, die ihre Arbeitsplätze verloren haben. Die moderaten Politiker weigern sich, sich mit deren Ansichten zu beschäftigen. Die sozialem Medien und die Polarisierung zahlen natürlich auch auf die Negativentwicklung ein.
In Deutschland sind die Populisten im Aufwind, die Regierung ist zerbrochen, vor allem aber scheint unser exportgetriebenes Geschäftsmodell nicht mehr zukunftsfähig. Droht der wirtschaftliche Abstieg?
Zum Teil liegt die aktuelle Schwäche daran, dass sich der Welthandel nicht gut entwickelt und sich die Welt in manchen Bereichen verändert, bei den Autos zum Beispiel. Es ist klar, dass Deutschland ein paar herausfordernde Jahre vor sich hat. Aber ich glaube, das deutsche Wirtschaftsmodell hat weiter seine Stärken.
Gerade deutsche Industrieunternehmen profitieren von einem guten Mitbestimmungssystem. Es ermöglicht einerseits, neue Technologien wie Roboter hervorzubringen und zu etablieren, aber zugleich die Rechte der Arbeiter zu schützen. Das ist gar nicht so leicht auszubalancieren. Deutsche Unternehmen sind gut darin, Mitarbeiter auszubilden und weiterzuqualifizieren für gute Jobs, vor allem im Exportsektor. Darauf kann man aufbauen. Der Schlüssel wird aber natürlich sein, bei den Elektroautos aufzuholen. Das wird nicht leicht, aber ich hoffe, es ist zu schaffen. Und auch die politischen Probleme sind nicht trivial.
Gerade diskutieren wir über die Schuldenbremse . . .
Ja, das größte Problem, das Deutschland hat, ist die bröckelnde Infrastruktur. Ich habe das gesehen, als ich zuletzt in Deutschland war, das ist wirklich ein Bruch verglichen mit dem besseren Zustand vor zehn oder 20 Jahren. Sich in einer Phase wie jetzt selbst die Hände zu binden macht keinen Sinn. Fiskalische Disziplin ist wichtig, und Deutschland sollte nicht grundsätzlich drauf verzichten. Aber solche strengen Grenzen sind nicht nützlich.
Worauf sollte eine Reform aus Ihrer Sicht abzielen?
Öffentlich-private Investitionen in neue Technologien und Infrastruktur müssen angeregt werden. Sie sind der Schlüssel für Deutschland.
Auch in Frankreich ist die Regierung zerbrochen. Ist diese Parallele mehr als ein Zufall?
Ich glaube, wir erleben gerade die Geburtsschmerzen eines neuen Modells, und wir wissen noch nicht, was das neue Modell sein wird. Aber es gibt eine Menge Ärger gegen das Establishment, also gegen die etablierten Kräfte. Ich hoffe, dass das neue Model nicht in einem autoritären Populismus münden wird. Aber ganz offensichtlich funktioniert „business as usual“ in der Politik nicht mehr.
Aber was genau muss denn geschehen, um den Trend zu stoppen?
Die Politik muss liefern, in Form von funktionierender Verwaltung, von Beteiligung am Wohlstand. Es gibt außerdem kulturelle Dinge, die gelöst werden müssen. Die Lücke zwischen der Bevölkerung und den Politikern, die den Menschen oft nicht folgen, muss geschlossen werden. Bürokratie und Regulierung sind zudem in allen Industriestaaten zu einem enormen Problem geworden.
Christian Lindner, der Vorsitzende der liberalen FDP, fordert in Deutschland deshalb, mehr Musk und Milei zu wagen. Was würden Sie ihm sagen?
Meine Vorbilder wären die beiden nicht. Musk ist ein guter Unternehmer, aber er hat schrecklichen politischen Einfluss durch seinen Kurznachrichtendienst X. Er ist die falsche Person für Regulierungs- und Bürokratieabbau. Gerade KI und der Bereich Pharma müssen effektiv reguliert werden, sodass die Menschen Vertrauen in die Technologien aufbauen. Wahrscheinlich wird Musk zudem künftig mehr Macht bekommen, wenn es darum geht, wer Subventionen erhält. Das ist nicht die Art und Weise, wie eine Marktwirtschaft für die breite Masse am besten funktioniert.
Aber Sie selbst sind trotz dieser Musk- Kritik weiter auf X aktiv. Warum?
Ja, bin ich. Ich habe die Konkurrenzplattform Bluesky ausprobiert, aber die ist viel kleiner. Ich habe auf X mehr als 300.000 Follower und auf Bluesky rund 5000. Das ist ein Problem der Plattformökonomie, die Plattformen sind sehr „klebrig“. Wer eine bestimmte Größe hat, behält sie erst mal.
Ist die Europäische Union mit ihrer strengeren Regulierung von KI und Fake News auf dem richtigen Weg?
Die EU hat richtige Schritte unternommen. Aber sie bekommt nicht den Einfluss, den sie sich erhofft, solange sie selbst kein Innovator für KI ist. Amerika macht es der EU in der Hinsicht nicht leicht. Viele junge, talentierte Leute gehen aus Europa ins Silicon Valley, weil sie da mehr verdienen und eine Wildwest-Regulierung herrscht.
Glauben Sie persönlich, das Wissenschaftler es künftig noch schwerer haben werden, gehört zu werden, selbst wenn man Nobelpreisträger ist?
Wir sind mehr und mehr abhängig von Wissenschaft – egal ob es um Klimawandel, Pandemien oder die alternde Bevölkerung geht. Aber zugleich wird der Wissenschaft weniger vertraut. Auch da spielt die Polarisierung eine Rolle. Wir müssen sicherstellen, dass wissenschaftliche Expertise für die Menschen nichts ist, das sich so anfühlt, als würde es ihnen auferlegt. Die Menschen müssen der Wissenschaft vertrauen. Und wir, die für die Wissenschaft sprechen, müssen uns das Vertrauen verdienen.