Berlin: Urania drohen Kürzungen von 950 000 Euro. Wo hat unabhängiges Wissen noch Platz? – Wissen | ABC-Z

Manchmal kommt der Tod schleichend, nahezu unbemerkt. Dies gilt sowohl für bedrohte Tierarten als auch für gefährdete Kulturinstitutionen. Die Rede ist von der Urania, einer ehrwürdigen Bildungseinrichtung in Berlin. Während Kürzungen bei Theatern zumeist – und zu Recht – einen erheblichen Aufschrei hervorrufen, ist der Protest leiser, wenn anderswo der Rotstift angesetzt wird.
Der Kulturinstitution Urania sollen die Zuschüsse für dieses Jahr vom Land Berlin in Höhe von 950 000 Euro gekürzt werden. Fast eine Million Euro weniger für die weit über die Hauptstadt hinaus bekannte Bildungsstätte – die schockierte Direktorin der Urania spricht gegenüber dem Tagesspiegel davon, dass „Berlin eine Institution zerstört“, wenn in dieser Dimension Mittel gestrichen werden.
Nun stellen sich gleich mehrere Fragen angesichts der Streichorgie, die Berlin da aufführt. Ist es, erstens, ein unverrückbares Naturgesetz, dass die stolze Hauptstadt chronisch pleite ist? Seit Klaus Wowereit, der ehemalige Regierende Bürgermeister, vor mehr als 20 Jahren das Diktum prägte, wonach Berlin „arm, aber sexy“ sei, scheint der erste Teil der Aussage unhinterfragt hingenommen zu werden; den zweiten Teil konnte man schon immer als kapitale Wunschvorstellung verbuchen.
Zweitens stellt sich die Frage, ob sich die Hauptstadt nicht stärker ihrem geistigen Erbe und dessen Erhalt verpflichtet fühlen sollte. Die Urania wurde 1888 unter der Vorgabe gegründet, zur „Verbreitung der Freude an der Naturerkenntnis“ beizutragen. Die Idee ging auf Alexander von Humboldt zurück, der 60 Jahre zuvor öffentlich von seinen Entdeckungsreisen und wissenschaftlichen Erkenntnissen vor breiten Bevölkerungskreisen berichtet hatte. Arbeiter und Handwerker waren ebenso unter seinen Zuhörern wie Angehörige des Königshauses. Die erste Volkssternwarte der Welt wurde im Rahmen der Urania-Gründung errichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg lasen Max Frisch, Heinrich Böll und Günter Grass in der Urania.
Eine Institution wie die Urania steht auch in der Pflicht, das eigene Profil so zu schärfen
Während sich die Besucher nach der Gründung vor allem für Physik, Astronomie und die unter dem Mikroskop zu bestaunende Miniaturwelt begeisterten und bald bis zu 200 000 Menschen jährlich in die Urania strömten, müssen sich, drittens, die Programmplaner heute fragen lassen, wie sie das Publikum besonders fesseln. Zwar bietet die Urania vielfältigen Kongressen, Vorträgen, Ausstellungen und anderen wissenschaftlichen und kulturellen Darbietungen Platz, doch was ist es, das einen solchen Ort zum intellektuellen „Place to be“ macht, zu einem Hotspot für Diskussionen, die man auf keinen Fall verpassen will? Eine Institution wie die Urania steht auch in der Pflicht, das eigene Profil so zu schärfen und ein dermaßen attraktives Programm zu planen, dass eine Stadt unmöglich darauf verzichten kann.
Das führt viertens zu der Frage, wo die wichtigen Debatten und geistreichen Auseinandersetzungen unserer Tage stattfinden sollen und vor allem: können. Universitäten waren mal der prädestinierte Ort dafür. Zuletzt kamen von dort jedoch kaum noch überraschende Impulse oder den Horizont erweiternde Provokationen, sondern man erfuhr von kleingeistigen Ausladungen oder Triggerwarnungen wegen allzu kontroverser Thesen. Ein Trauerspiel.
Museen können mit kühnen Ausstellungskonzepten und überraschenden Einblicken ebenfalls gesellschaftliche Diskussionen aufgreifen und bündeln. Doch solche Ereignisse, die man gesehen haben muss, sind rar. Umso wichtiger, dass unabhängige Einrichtungen wie die Urania ein Forum für das Wissen der Welt und die Diskussion darüber bieten, dessen Strahlkraft man sich nicht entziehen kann. Wäre dies der Fall, ließe sich der Aufschrei bei Kürzungen kaum überhören.