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Barry Keoghan über seine Rolle in Bird und seinen Tanz in Saltburn | ABC-Z

Herr Keoghan, im Zentrum des Films „Bird“ steht eine Zwölfjährige, die mit ihrem Bruder und ihrem arbeitslosen ­Vater – den Sie spielen – in einem besetzten Haus lebt. Sie lernt einen freundlichen Vagabunden kennen, der sich „Bird“ nennt. Es wird nie so ganz klar, ob dieser Mann wirklich existiert oder eine Erfindung des Mädchens ist, um in eine Parallelwelt zu flüchten. Sie hatten selbst eine schwierige Kindheit. Hatten Sie auch so etwas wie einen imaginären Freund?

Ich habe diese Parallelwelt immer bei Hunden gefunden, bis heute. Ich sitze gerne mit meinem Hund Koda zusammen. Gerade in schwierigen Zeiten spürt er meine Energie und ist für mich da. Das ist für mich das Wundervolle an Tieren. Sie sind ganz auf dich fokussiert, verurteilen dich nicht und bleiben ­loyal, egal was du getan hast. Deswegen können Tiere und selbst imaginäre Freunde für junge Menschen so wichtig sein. Sie sind der Schlüssel zu einer Welt, in der du bedingungslos geliebt wirst, und die eine Perspektive bietet. Sie schaffen es, dass du dich wieder gut fühlst, auch wenn es dir mies geht.

Sie spielen zum ersten Mal einen Vater. Wie haben Sie sich in diese Aufgabe hinein­gefühlt?

Ich bin mit einem ähnlichen Hintergrund aufgewachsen und kenne diese Welt und die Familiendynamiken gut. Und ich bin ja inzwischen selbst Vater. Mein Sohn heißt Brando, er kam zur Welt, als ich gerade „Saltburn“ drehte. Wegen der Dreharbeiten hatte ich nur einen Tag frei, um ihn zu sehen. Natürlich ist er noch viel jünger als meine Filmtochter, gerade erst zwei Jahre alt. Trotzdem weiß ich jetzt aus eigener Erfahrung, was ein Vater fühlt. Deswegen musste ich diesen Teil der Figur nicht ausführlich erforschen. Ich bin an die Rolle herangegangen wie an alle anderen auch. Ich versuche meine Rolle so menschlich wie möglich darzustellen. Trotzdem war es eine der intensivsten Spielerfahrungen, die ich bisher hatte. Es war etwas anderes, als noch recht neuer Vater solche Szenen zu spielen. Die Emotionen waren größer.

Schon in der Schule haben Sie das Schauspiel für sich entdeckt. Wollten Sie im Spiel ein anderer Mensch werden?

Ganz bestimmt. Für mich hatte es auch mit Eskapismus zu tun. Es gibt Menschen, die betrinken sich, um der Realität zu entfliehen. Das Schauspiel war für mich eine gesunde Form der Realitätsflucht. Ich hatte dadurch die Chance, meinen Stress auf eine positive Art auszudrücken und abzuarbeiten. Ich fand es aber auch großartig, mich in diesen kreativen Kreisen zu bewegen. Es konnte passieren, dass ich mich gut 15 Stunden lang in einer Art Euphorie fern der Realität befand und nicht einmal mein Telefon checkte. Das hat mich als Mensch und als Schauspieler wachsen lassen. Und dafür bin ich sehr dankbar.

Waren Filmsets Ihre Schule des Lebens?

Interessant, dass Sie das fragen. Ich habe mich nämlich gerade erst über dieses Thema unterhalten. Ich musste in meiner Kindheit oft umziehen. Deswegen konnte ich nie irgendwo Wurzeln schlagen. Aber als ich mich daran gewöhnt hatte, fand ich das auch reizvoll. Und es ist Teil ­meiner Persönlichkeit geworden. Un­bewusst mag ich es nicht, sesshaft zu werden. Ich habe die Mentalität eines Nomaden in meiner DNA. Es ist sogar so, als ob ich darin Trost fände. Das Filmset ist ein Ort, an dem jeder aus dem gleichen Grund da ist. Jeder musste sich den gleichen Scheiß anhören: Das ist doch kein richtiger Job, finde doch eine sinnvolle Arbeit, um deinen Lebensunterhalt zu verdienen. Wir haben das alle durchgemacht. Und jetzt sind wir zusammen in dieser Blase, um einfach gute Filme zu machen, als eingeschworenes Team.

Ihre Filmtochter spielt Nykiya Adams, die vorher nur im Schultheater aufgetreten war. Wie war die Zusammenarbeit?

Ich fand das spannend und habe viel von ihr gelernt. Laien bringen ihre eigenen Entscheidungen mit ans Filmset und analysieren die Rolle nicht aus Sicht einer ausgebildeten Schauspielerin. Sie spielen viel instinktiver. Ich finde es interessant, das zu beobachten. Und ich habe viele Fragen gestellt: Warum wirst du jetzt so schnell wütend? Ausgebildete Schauspieler sind häufig übertrainiert, sind sich ständig bewusst, in welchem Winkel sie mit der Kamera kommunizieren. Wenn Nykiya spielte, hat das etwas Dokumentarisches. Und das war für mich faszinierend.

Mit Ihrem Nackttanz in „Saltburn“ wurden Sie zum Phänomen in den sozialen Medien. Wie haben Sie das erlebt?

Es war völlig verrückt, wie groß diese Geschichte wurde. Der Film ging ja durch die Decke. Und es war auch beängstigend. Es war eine eigenartige Zeit, in der ich das Gefühl hatte, die ganze Welt sieht mich an. Und ironischerweise sahen mich ja tatsächlich Millionen von Menschen, speziell in dieser einen Szene, in der ich tanze. Allein die ganzen Posts auf Tiktok und Twitter empfand ich als massiven Eingriff in meine Privatsphäre.

Sie haben das alles verfolgt?

Natürlich hätte ich alles deaktivieren können und mir gar nicht ansehen sollen. Aber andererseits bin ich dann doch wieder ein zu neugieriger Junge. Das Problem war dann nur, dass ich im Anschluss keinen neuen Film am Start hatte und ein Jahr Pause gemacht habe. Da fingen die Leute dann an, sich intensiv mit meinem Privatleben zu beschäftigen. Dann heißt es plötzlich, ich mag ihn nicht, weil er dieses und jenes tut. Trotzdem interessiert man sich dann durch diese Art von Aufmerksamkeit auch wieder mehr für meine Arbeit. Es ist eine seltsame Dynamik.

In „Bird“ sehen wir Sie wieder tanzen. Es wirkt so, als hätten Sie Spaß dabei. Studieren Sie für solche Szenen eine Choreographie ein oder improvisieren Sie?

Ich boxe in meiner Freizeit und habe dadurch ein gutes Gefühl für Bewegungs­abläufe und meinen Körper. Boxen ist ja auch so eine Art Tanz. Außerdem beobachte ich gerne Tiere. Und ich studiere Menschen. Ich hatte ja auch nie eine richtige Ausbildung als Schauspieler. Aber ich habe immer genau hingesehen, wie Menschen und Tiere Emotionen ausdrücken.

Und was haben Sie bei Ihren Studien für das Schauspielen gelernt?

Ich finde es faszinierend, wie viel man sagen kann, ohne es zu artikulieren. Das kann man am besten bei Tieren und Babys beobachten. Sie haben kein Bewusstsein für die Kamera. Sie wissen nicht, dass sie gefilmt werden. Genau diesen Zustand versuche ich vor der Kamera zu erreichen. Ich will die Kamera möglichst vergessen und hoffe, sie fängt dadurch einen authentischen Moment ein.

Beim Tanzen sind Sie auch auf der Suche nach dem authentischen Moment?

Ja, beim Tanzen ist es für mich ganz ähnlich. Das sind unfertige Bewegungsabläufe, die aus den Emotionen des Moments heraus entstehen. Ich finde es attraktiver, einen Menschen in dem Augenblick zu beob­achten, wenn er ganz unvollkommen versucht zu tanzen, die Schritte zur Musik ausprobiert, als jemanden, der einen Tanz einstudiert hat und wirklich tanzen kann. Einen einfachen Mann zu erleben, der auf unvollkommene Art für seine Hochzeit einen Tanz oder einen Song auf die Reihe kriegen will, hat etwas zutiefst Menschliches. Deswegen lasse ich mir auch immer den Raum für das Unfertige offen.

Authentizität scheint Ihnen wichtig zu sein. Wie bewahren Sie sich die nach mehr als 40 Rollen, die Sie gespielt haben?

Ich habe immer wieder unglaubliche Leistungen von Schauspielern gesehen, die nie auf einer Schauspielschule waren. Aber nach zwei Filmen bekommen sie dann Angst, denn in den Kritiken steht „Schauspieler“. Und sie denken: Verdammt, jetzt bin ich ein Schauspieler! Ich muss meine Stimme trainieren, lernen, wie man projiziert oder wie man auf eine bestimmte Art sitzt. Als mir das klar wurde, dachte ich: Das will ich nicht. Ich denke, Menschen fühlen sich zur Authentizität hingezogen, und in der Authentizität liegt eine Einzigartigkeit. Ich versuche nicht, ein James Dean zu sein. Ich habe meine eigene Art, mich auszudrücken, und an der arbeite ich, ohne jemanden zu kopieren. Es gibt keine richtige oder falsche Art, traurig zu sein. Wenn ich über meine Trauer lache, ist das auch eine Möglichkeit. Deswegen habe ich nie gesagt: Mein Beruf ist Schauspieler. Aber ich möchte ein Schauspieler sein.

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