Energieversorgung: Proxima Fusion plant Kernfusionskraftwerk in den 2030ern – Wissen | ABC-Z

Es ist der ewige Traum der Energiepolitik: Kernfusion soll Strom liefern, und das zuverlässig, unfallfrei und quasi unerschöpflich. Die Idee ist alt, müsste theoretisch auch funktionieren, ist aber teuflisch schwer in der Praxis umzusetzen. Ein Fusionskraftwerk sei immer 30 Jahre entfernt, wird seit Jahrzehnten gewitzelt. Zumindest der Zeithorizont hat sich nun geändert: Die Münchner Firma Proxima Fusion hat vergangene Woche im Fachjournal Fusion Engineering and Design ein Konzept für ein Fusionskraftwerk veröffentlicht, das bereits in wenigen Jahren umgesetzt werden soll.
Bis 2031 will das Unternehmen den Fusionsreaktor „Alpha“ bauen, der mehr Energie erzeugt, als er verbraucht. Das hat bisher noch keine Anlage geschafft. Auf diese Demonstration soll in den 2030er-Jahren das erste Fusionskraftwerk folgen, das tatsächlich Strom ins Netz einspeist, sein Name: „Stellaris“. Proxima Fusion hat sich 2023 aus dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) ausgegründet. Von der Bayerischen Staatsregierung hat die Firma im April 2024 eine Startfinanzierung von 20 Millionen Euro erhalten.
Das Unternehmen arbeitet mit einem speziellen Magnet-Fusionsreaktortyp, dem Stellarator, der aussieht wie ein verzwirbelter Donut. Das Konzept stammt vom IPP in Greifswald. Dort ist es in der Forschungsanlage Wendelstein 7-X gelungen, ein Plasma zu zünden – der erste Schritt zur Energieerzeugung. Proxima Fusion hat das Konzept mit Computermodellen weiterentwickelt.
Das Versprechen der Kernfusion haben sich die Physiker bei den Sternen abgeschaut
„Stellaris ist das erste von Fachleuten begutachtete Konzept für ein Fusionskraftwerk, das so ausgelegt ist, dass es zuverlässig und kontinuierlich arbeitet“, sagt Francesco Sciortino, einer der Gründer von Proxima Fusion, in einer Pressemeldung. Kontinuierlich ist das entscheidende Schlagwort: Bei anderen Typen von Fusionsreaktoren, Tokamaks etwa, die Plasma in einem Donut-förmigen Magnetfeld fassen, kann die Fusion nur phasenweise ablaufen. Dazwischen muss der Reaktor immer wieder Pausen einlegen. Bei Stellaris soll das anders sein, sagt Sciortino weiter: „Damit ist der Weg frei zu kommerziellen Fusionskraftwerken.“
Das Versprechen der Kernfusion haben sich die Physiker bei den Sternen abgeschaut. Die Sonne fusioniert in ihrem Innern Wasserstoff zu Helium. Die meisten Fusionsreaktorkonzepte setzen wie Proxima Fusion auf Deuterium und Tritium als Brennstoff, zwei schwere Varianten von Wasserstoff. Sie verschmelzen bei mehr als hundert Millionen Grad zu Helium und geben dabei Energie in Form von Neutronen ab, die sich theoretisch nutzen ließe.
Ob die ambitionierten Pläne von Proxima Fusion tatsächlich Realität werden können, ist unklar. Denn Kernfusion ist technisch hochkomplex und zahlreiche Herausforderungen sind noch ungelöst.
Um ein mehr als hundert Millionen Grad heißes Plasma überhaupt fassen zu können, verwenden Magnetfusionsreaktoren Käfige aus Magnetfeldern. Bei der Fusion entstehen energiereiche Neutronen, die auf die Wände des Reaktors prallen. Die Wände müssen darum einiges abkönnen: Sie müssen dem Teilchenbeschuss standhalten und die Wärmeenergie nach außen leiten, aus der dann eine Turbine Strom macht. Und die Wände dürfen nicht zu heiß werden, damit die Magnetfeldspulen nicht überhitzen, die das Plasma im Zaum halten. All das will Proxima Fusion mit Stellaris schaffen. Der Reaktor soll 23 Meter Durchmesser haben und ein Gigawatt elektrische Leistung erzeugen. Das ist vergleichbar mit der Leistung des stillgelegten Kernkraftwerks Isar-2 oder knapp 70 Offshore-Windkraftanlagen.
Auf der ganzen Erde gibt es gerade mal 40 bis 50 Kilogramm des benötigten Wasserstoff-Isotops
Die Firma Proxima Fusion hat zwar durch ihre Kooperation mit dem IPP das Know-how, aber in der kurzen Zeit seit ihrer Gründung noch keinen Prototypen eines Stellarators gebaut. Das hochgesteckte Ziel, noch in den 2030er-Jahren Strom zu erzeugen, wird sicher mit Blick auf Investoren ausgegeben sein. Yves Martin vom Swiss Plasma Center der ETH Lausanne forscht an Tokamaks. Er sagt: „Es klingt sehr ehrgeizig, aber ein Demonstrationsreaktor wie Alpha könnte 2031 erreicht werden.“ Auch dass der Reaktor Nettoenergie produziert, hält er für denkbar.
Doch auf dem Weg zum Fusionskraftwerk gibt es eine große Hürde: die Produktion von Tritium. Der Brennstoff wird verbraucht, wenn ein Fusionsreaktor Atomkerne verschmilzt. Tritium kommt in der Natur nicht vor, auf der Erde gibt es nur etwa 40 bis 50 Kilogramm des Wasserstoff-Isotops. Deswegen sollen Magnetfusionsreaktoren das nötige Tritium im Betrieb selbst erzeugen – aus Teilchenkollisionen mit einem Lithiummantel. Stellaris würde im Betrieb 416 Gramm Tritium am Tag verbrauchen, sagt der Proxima-Chef Francesco Sciortino. Eine wassergekühlte Blei-Lithium-Verkleidung solle genug Tritium erzeugen, damit der Reaktor sich selbst am Laufen hält. „Diese Technologie existiert noch nicht, da sind wir in der Kernfusion noch im Forschungsstadium“, sagt Yves Martin.
Zur angestrebten Stromerzeugung in den 2030ern sagt er: „Das Fusionskraftwerk Stellaris wird sicherlich nicht 2032 fertig sein.“ Aber im Vergleich zu öffentlich finanzierten Projekten – wie dem Großreaktor ITER, an dem Martin beteiligt ist – könne Proxima Fusion agiler vorgehen. ITER plant in einem ähnlichen Ablauf erst einen Forschungsreaktor, der Nettoenergie gewinnen soll, noch ohne Stromerzeugung und Tritium-Brüten. In den 2040ern soll das Fusionskraftwerk Demo folgen.
Solange nicht bewiesen ist, dass das Tritium-Brüten funktioniert, sind Zeitpläne aber die nachrangige Frage. Erst müssen die Firmen und Forschungseinrichtungen zeigen, dass sie den Brennstoff erzeugen können, der die Energie liefert.