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Amon-Ra St. Brown: Der Deutsch-Amerikaner, den in der NFL niemand aufhalten kann – Sport | ABC-Z

Da war er wieder, dieser Spielzug der Detroit Lions. Er ist der Beweis dafür, dass der Footballprofi Amon-Ra St. Brown der seltenen Sorte Sportler angehört, bei denen alle wissen, was kommen wird, und trotzdem keiner etwas dagegen tun kann. Es ist vergleichbar mit dem Nach-innen-Dribbling von Arjen Robben, dem linken Haken von Mike Tyson oder dem Rückwärtsfallwurf von Dirk Nowitzki. St. Brown läuft also ein paar Meter nach vorn und sucht Kontakt mit dem Gegner. Dann folgt ein Robben-Haken, meist nach innen, durch den er sich für einen kurzen Augenblick etwas Freiraum verschafft – und der genügt bei eingespielten Weltklasseleuten wie St. Brown und Lions-Quarterback Jared Goff.

Goff serviert perfekt, und St. Brown? Ob er das Lederei fängt, hängt davon ab, ob man die Szene vom Anfang der Partie gegen die Tampa Bay Buccaneers an diesem Montag schildert oder das Ende der ersten Halbzeit gegen die Kansas City Chiefs am Wochenende davor. Gegen die Chiefs nämlich hatte er den Ball durch die Hände gleiten lassen. Es war das einzige von zehn Goff-Zuspielen, das er nicht fing. „Den muss ich fangen – wer weiß, wie das Spiel ausgeht“, sagte er danach. Statt möglicherweise 17:6 hieß es zur Pause 10:13, am Ende 17:30. „Natürlich ärgert mich das jetzt, aber nicht zu lang“, sagte St. Brown: „Daraus lernen, und dann besser machen.“

Wie in der ersten Angriffsserie gegen Tampa: Diesmal fing St. Brown den Ball und lief in die gegnerische Endzone. „Ich weiß auch nicht, wie man ihn aufhalten soll“, sagte ESPN-Kommentator Joe Buck, gemeinhin bekannt für den Glauben, alles zu wissen über diesen Sport. Zusatz von Partner Troy Aikman, Quarterback-Legende: „Ich auch nicht. Nicht aufzuhalten.“ Tampa probierte es mit Mann-, Raum- und Doppeldeckung – St. Brown fing dennoch sechs Pässe für 86 Yards Raumgewinn und einen Touchdown.

Das sind in etwa St. Browns Durchschnittswerte aus den ersten sieben Saisonspielen, von denen die Lions fünf gewannen. Noch erstaunlicher: St. Brown, Sohn einer deutschen Mutter, hat bislang 50 von 61 Zuspielen gefangen, das ist ein grotesk guter Wert. In seiner bisherigen Karriere hat er schon die beste Fangquote der NFL-Geschichte unter Wide Receivern mit mindestens 200 Fängen – und er wird in seiner fünften Profisaison noch besser: Sein Karrierewert liegt bei 76 Prozent, in dieser Saison hat er bisher 82 Prozent der Zuspiele gefangen.

Man tut St. Brown nicht unrecht, wenn man ihn als gewissenhaft, getrieben, beflissen, perfektionistisch bezeichnet – man kann hinter seinen Erfolgen auch viel Plackerei erkennen. „Wenn mir jemand vor fünf Jahren gesagt hätte, dass es so passieren würde: Ich hätte die Person für verrückt erklärt“, sagt er selbst. „Auf der anderen Seite passierte es auch nicht über Nacht. Es gab immer kleine Fortschritte, deshalb ist es jetzt ehrlich gesagt gar nicht mehr sooo verrückt. Ich habe darauf hingearbeitet.“

Er ist noch immer besessen davon zu beweisen, dass er besser ist als die 16 vor ihm gewählten Wide Receiver beim Draft 2021. Er kann deren Namen nachts um drei aufsagen. Er hat aber auch begriffen, dass er sich davon lösen muss, weil er sich angesichts seiner Erfolge mit den davor notorischen Verlierern aus Detroit auf einer anderen, höheren Ebene befindet. Er ist nun der mit dem 30-Millionen-Dollar-Jahresgehalt, dessen Kopfstand-Jubel Teil des Football-Videospiels „Madden“ ist. Und den man neben Justin Jefferson (Minnesota Vikings) und Ja’Marr Chase (Cincinnati Bengals) auf Frühstücksflocken-Packungen sieht – vielen Beobachtern zufolge die derzeit besten drei Passfänger der Welt.

Die Lions sind die einzige Franchise, die seit Anbeginn der NFL dabei ist und das Finale noch nicht mal erreicht hat

Es bedeutet aber auch: St. Brown erzählt jetzt nicht mehr die Story des Unterschätzten, sondern die des Heilsbringers, der den Lions endlich die erste Super-Bowl-Teilnahme der Geschichte bescheren soll. Die Lions sind die einzige Franchise, die seit Anbeginn der NFL dabei ist und das Finale nicht mal erreicht, geschweige denn gewonnen hat. Nach dem bitteren Halbfinalaus vor zwei Jahren gehörten die Lions vergangene Saison zu den Topteams – und verloren gleich die erste Playoff-Partie. „Die Verletzungen waren hart für uns“, sagt er, betont aber, dass sich für die Verletzungsmisere biblischen Ausmaßes im Herbst 2025 niemand interessieren würde. In der Statistik steht: Aus in der ersten Playoff-Runde. „Das war sehr bitter, auch Tage später.“

St. Brown ist ein Sportler, der sich für Zahlen begeistern kann, weil sie unbestechlich mitteilen, was man geleistet hat. So ist man nicht abhängig davon, ob einen der Manager einer Franchise bei der Talentbörse für gut genug hält. Und St. Brown strebt nach Perfektion, er will jeden Ball fangen. In der Vorsaison hat er mal über sieben Wochen hinweg alle 31 Zuspiele erwischt, die er bekam. Im Spiel gegen Cleveland blieb er mal wieder makellos, sieben von sieben. Aber Perfektion ist eben selten zu erreichen, siehe Chiefs-Partie: neun von zehn, aber diesen einen hat er fallen lassen. „Während der Partie denkst du sowieso nicht dran“, sagt er – nach dem Fehlgriff fing er alle acht Zuspiele: „Später denkst du nach: Erst verärgert, dann analysierend, dann denkst du an nächste Woche.“

„Daraus lernen, und dann besser machen“: St. Brown nach der bitteren Partie gegen Kansas.
„Daraus lernen, und dann besser machen“: St. Brown nach der bitteren Partie gegen Kansas. (Foto: David Smith/ZUMA Press Wire/Imago)

Die große Stärke der Lions ist es bislang, aus Niederlagen (wie zu Saisonbeginn gegen die Green Bay Packers) erstaunlich gut zu lernen und so auch Verluste auf der Trainerbank zu verarbeiten. Die Lions hatten fünf Coaches, darunter die Verantwortlichen für Offensive, Defensive und Wide Receiver, an andere Vereine verloren. „Wir haben aber noch die gleichen Spieler“, sagt St. Brown. Hinter den wohl noch immer besten Offensiv-Beschützern der Liga agiert der abgeklärte und präzise Goff. David Montgomery und Jahmyr Gibbs sind das beste Laufduo der Liga. Und auf Pässe hoffen Wühlbüffel Sam LaPorta, der dauernd steil gehende Sprinter Jameson Williams – und natürlich St. Brown, bei dem keiner weiß, wie man ihn angesichts dieser Offensive aufhalten soll.

„Du darfst nach einem Fehlgriff nicht verzweifeln – aber auch nicht zu hoch fliegen, nur weil du mal einen Lauf hast“, sagt St. Brown wie ein Sportphilosoph. Als solcher weiß er, dass der US-Sport am Ende, sie betonen das bei jeder Gelegenheit, nur eine Maßeinheit bei der Bewertung einer Laufbahn kennt: Hat eine Person einen Titel gewonnen? Deshalb sagt St. Brown: „Ich habe persönliche Ziele. Die weiß aber nur ich, dann kann niemand sagen, dass ich sie vielleicht nicht erreicht habe. Ansonsten ist alles bekannt: Super Bowl – mein und unser aller Ziel!“ Jeder weiß, was St. Brown tun wird. Die Frage ist, ob ihn jemand wird aufhalten können.

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