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David Szalay und der Booker Prize: Fehlen der Literatur Männer? | ABC-Z

Als David Szalay mit seinem Roman „Was nicht gesagt werden kann“ den diesjährigen Booker Prize gewann, lautete der wohl häufigste Kommentar in den Medien, dass damit ein „männliches“ Buch gewonnen habe. Der Roman begleitet den Protagonisten István über mehrere Jahrzehnte. István ist ein eher schweigsamer Typ (er sagt sehr oft „okay“), er saß schon im Gefängnis, war bei der Armee und hat im Irak Erfahrungen gemacht, über die er (und der Roman) nicht spricht. Häufig hat er Sex, was nicht unbedingt behutsam beschrieben wird. In einem Editorial zur Preisvergabe wies der „Guardian“ unter dem Titel „Männlichkeit wird wieder ins literarische Zentrum gerückt“ dann noch auf weitere, aus Sicht der Zeitung offenbar bemerkenswert männliche Eigenschaften des Protagonisten hin: „Er isst, er raucht.“

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Was der Titel des Editorials (und auch der Text selbst) implizierte, war, dass das Thema „Männlichkeit“ in der Literatur zuletzt unterrepräsentiert gewesen sei. Ein männliches Äquivalent zu Starautorinnen wie Sally Rooney oder Ottessa Moshfegh, hieß es im Artikel, sei schwer zu finden. Dwight Garner, Buchkritiker der „New York Times“, äußerte sich ähnlich: „Ich glaube schon, dass sich in der literarischen Welt der Fokus von jungen Schriftstellern hin zu jungen Schriftstellerinnen verlagert hat. Das war im Großen und Ganzen eine gute Entwicklung. Aber wenn dann jemand wie David Szalay daherkommt, der so herausragend über männliche Entfremdung schreibt, merkt man, dass solche Stimmen irgendwie fehlen.“ Fehlen sie aber, weil der Buchmarkt ihnen keinen Raum lässt? Eigentlich zeigt der Fall Szalay ja das Gegenteil: dass herausragende männliche Stimmen, wenn sie auftauchen, durchaus die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen: und zwar den Booker Prize.

Wo sind die literarischen Cowboys?

Dennoch gab es viele Kommentare dieser Art. Sie griffen eine Debatte auf, die nicht erst seit dem Booker Prize vor allem in Großbritannien und den USA, in geringerem Ausmaß aber auch in Deutschland geführt wird und sich mit der Frage beschäftigt, ob Männer der Literatur abhandenkommen. Eine bestimmte Art von Mann zumindest, denkt man, wenn man die Bezeichnungen dieses Typs liest, ein Mann, der vielleicht ein Karohemd oder eine Lederjacke trägt, in jedem Fall aber männlich aussieht: „Wo ist der Rockstar-Autor hin?“, fragte beispielsweise die „Irish Times“ (und zeigte ein Bild von Martin Amis). Von „Cowboys“ war augenzwinkernd in einer Podcast-Folge der „L.A. Review of Books“ die Rede (Beispiele waren die „Brooklyn-Jonathans“: Foer, Franzen, Lethem). Viele andere Texte sprachen von „Kerlen“. Gemeint sind wohl weiße, heterosexuelle Männer, nicht Autoren wie Ocean Vuong oder Percival Everett, die ja Männer und trotzdem extrem erfolgreich sind.

In der Diskussion wird das (vermeintliche) Fehlen dieser demographischen Gruppe mit einer Sorge verknüpft: Männer nicht nur als Autoren zu verlieren, sondern auch als Leser. Und es stimmt: Männer lesen weniger als Frauen, vor allem weniger Belletristik. Tun sie das, weil, wie einige Kommentatoren vermuteten, ihnen „männliche“ Bücher fehlen? Das wäre eine identitätspolitische Auffassung von Literatur. Andererseits gibt es viele Leser, die sich und ihre Lebensrealität in Büchern wiederfinden wollen. Wenn es aber tatsächlich so viele Männer gibt, die „männliche“ Bücher lesen wollen, würde der Buchmarkt, der ja Geld verdienen will, diese Nachfrage dann nicht bedienen?

Ein Verlag für Männer

In Großbritannien passiert genau das: Der Schriftsteller Jude Cook hat im April die Gründung seines Verlags Conduit Books angekündigt, der sich auf Memoirs und Romane von Männern spezialisieren will. „Geschichten von jungen, männlichen Autoren werden häufig übersehen“, so Cook, „weil es den Eindruck gibt, dass männliche Stimmen problematisch sind.“ Auf Anfrage will Cook sich bis zum Erscheinen des ersten Buchs im April 2026 nicht äußern, doch hieß es zum Zeitpunkt der Ankündigung, in Zeiten sogenannter „toxischer Männlichkeit“ sei es wichtig, Männer zu adressieren. Und, dass man sich Bücher von Männern zu Vaterschaft, Sex und Beziehungen wünsche, Perspektiven aus der Arbeiterklasse. Ob es vielen anderen Männern genauso geht, wird sich herausstellen, wenn die ersten Bücher bei Conduit erscheinen. Nur kann man anzweifeln, ob es wirklich an solchen Werken fehlt. David Szalay ist immerhin kein Debütant und stand mit seinem Buch „Was ein Mann ist“ schon einmal auf der Shortlist des Booker Prize.

So oder so scheint es das Gefühl zu geben, dass etwas fehlt, dass Frauen in der Literaturbranche die Männer ersetzt haben. Was stimmt, ist, dass dort mehr Frauen als Männer arbeiten. Ist das, da Frauen mehr lesen, verwunderlich? Hin und wieder hört man außerdem, Männer hätten größere Schwierigkeiten, Manuskripte unterzubringen. Häufig berichten das die (vielleicht nicht ganz unvoreingenommenen) Autoren selbst, manchmal aber auch Menschen aus der Branche. Und tatsächlich hat sich etwas verändert: Frauen sind prominenter als früher in den Vorschauen vertreten, bei Preisen und in den Bestsellerlisten. Dass sie damit die Männer überflügelt haben, lässt sich so pauschal aber nicht sagen. Eine Studie des Wirtschaftswissenschaftlers Joel Waldfogel fand heraus, dass die Zahl der Veröffentlichungen von Frauen auf dem amerikanischen Buchmarkt von 20 Prozent im Jahr 1970 auf über 50 Prozent im Jahr 2020 gestiegen ist. Allerdings war der ganze Markt gewachsen, sodass es nicht bedeutend weniger männliche Autoren gab. Die Autorin und Übersetzerin Nicole Seifert, die sich mit dem Verhältnis von Männern und Frauen im Literaturbetrieb beschäftigt, sagt, das Verhältnis sei inzwischen schlicht ausgeglichen, die Situation werde allerdings anders wahrgenommen. Die scheinbare weibliche Dominanz ist also, zumindest zahlenmäßig, eher Gleichberechtigung, die natürlicherweise weniger Aufmerksamkeit für Männer als vorher bedeutet.

Warum also über etwas sprechen, was eher eine gefühlte als eine messbare Wahrheit ist? Vielleicht, weil die Diskussionen, die man führt, etwas über den Zeitgeist sagen. Das Thema wird zu einem Zeitpunkt diskutiert, an dem der „starke“ Mann ohnehin wieder prominent vertreten ist. Die mächtigsten Menschen der Welt sind Männer. Darf man den Frauen immerhin die Bestsellerlisten gönnen?

Szalay selbst sagte zum Thema „männliche“ Literatur: „Aus einer männlichen Perspektive zu schreiben, sollte nie heißen, dass man nur für Männer schreibt. Das Gleiche gilt umgekehrt.“ Dass sein Buch den Booker verdient hatte, wurde in der Debatte übrigens nicht infrage gestellt. Vielleicht weil es ganz einfach ist: Gewonnen hat ein gutes Buch.

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