ADHS bei Kindern und Erwachsenen: Symptome und Diagnosen – Gesellschaft | ABC-Z

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Liebe Leserin, lieber Leser,
meine dreijährige Tochter hasst es, Socken zu tragen. Selbst im Winter würde sie am liebsten barfuß in die Stiefel steigen, auch Strumpfhosen kann sie gar nicht leiden. Völlig normal, dachte ich immer. Doch dann ließ mich die Aussage einer Freundin aufhorchen.
Bei einem Treffen erzählte sie mir, erst kürzlich mit ADHS diagnostiziert worden zu sein – der Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung. Von der Krankheit, die man lange nur mit hibbeligen Schuljungen verband, sind auch immer mehr Erwachsene betroffen. Zumindest sind die sozialen Netzwerke in letzter Zeit voll von Symptombeschreibungen, Bekenntnissen zur Diagnose und Tipps für das Leben mit ADHS. Ob eine ADHS-Diagnose eine Modeerscheinung ist oder tatsächlich ein weit verbreitetes Krankheitsbild, hat meine Kollegin Barbara Vorsamer die Ärztin Astrid Neuy-Lobkowicz gefragt. Sie sagt, dass die Störung gerade bei Erwachsenen noch immer zu selten erkannt wird und tatsächlich bis zu fünf Prozent der Bevölkerung betroffen sein könnten.
Meine Freundin hat ihre späte Diagnose nun jedenfalls sehr erleichtert. Endlich habe sie eine Erklärung für ihre Lernschwierigkeiten, für ihre impulsiven Reaktionen und sensorischen Empfindlichkeiten. “Ich hatte ja schon immer Probleme mit Socken, und das liegt einfach auch an meinem ADHS!”, erzählte sie mir aufgeregt. Und ich dachte: Moment mal, Probleme mit Socken – ein Anzeichen für ADHS?
Tatsächlich ist der Sockenkampf mit einem dreijährigen Kind nicht weiter ungewöhnlich, versicherte mir der Kinderarzt. Kommen jedoch weitere Auffälligkeiten wie Konzentrationsschwierigkeiten oder heftige Geräuschempfindlichkeiten hinzu, dann könnten das Anzeichen für eine Neurodivergenz sein. Dieser Überbegriff für Diagnosen wie ADHS oder auch Autismus soll verdeutlichen, dass das Gehirn Betroffener ein bisschen anders funktioniert. Warum es gar nicht immer ein Label für das Verhalten des eigenen Kindes braucht, erklärt die Identitätsforscherin Ursula Stark Urrestarazu in diesem Interview. Sie sagt auch: „Es ist normal, nicht normal zu sein“.
Völlig entspannt zu bleiben, wenn das eigene Kind von der Norm abzuweichen scheint, ist jedoch leichter gesagt als getan. Was dabei helfen kann, darüber habe ich in einer Folge meiner Mama-Kolumne nachgedacht.
Ein schönes Wochenende ohne Sockenkämpfe wünscht
Marie-Louise Timcke