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Was passieren muss, dass es mit Bus und Bahn im Münchner Umland läuft – Ebersberg | ABC-Z

Wer auf dem Land wohnt, braucht ein Auto: Das war jahrzehntelang die herrschende Meinung. Doch die Landkreise rund um München haben viel getan, um andere Mobilität zu ermöglichen, das Busnetz ausgebaut, neue Linien eingeführt. Aber die finanzielle Situation der Kommunen ist schlecht, die Kassen sind leer, es muss an allen Ecken und Enden gespart werden – und so könnte es passieren, dass es mit dem öffentlichen Nahverkehr auf dem Land wieder bergab geht. Der Ebersberger Landrat Robert Niedergesäß (CSU) ist Sprecher der MVV-Landkreise und hätte einige Ideen, wo man ansetzen müsste, damit es nicht so kommt.

SZ: Jahrelang haben die Landkreise sich bemüht, den ÖPNV als Alternative zum Individualverkehr auszubauen. Jetzt fehlt an allen Ecken und Enden das Geld – geht es bald wieder in die entgegengesetzte Richtung?

Robert Niedergesäß: Das wäre verkehrspolitisch genauso fatal, wie es finanziell vermutlich unausweichlich ist. Die ersten Landkreise müssen aufgrund der dramatischen Finanzkrise ihr Angebot schon zurückfahren. Nehmen wir mal meinen Landkreis Ebersberg: Wir haben unser Angebot in den letzten fünf Jahren mit rund 120 Prozent mehr als verdoppelt, neue Buslinien, Ruftaxen, engere Takte, Ausbau des Angebots in den Randzeiten und am Wochenende. Das kostet alles viel Geld, zumal neben den Energiepreisschwankungen auch noch die Personalkosten für die Busfahrer stark gestiegen sind, was zumindest den Fachkräftemangel reduziert hat.

Landrat Robert Niedergesäß fürchtet, dass der Landkreis Ebersberg sein Busangebot wieder reduzieren muss. Ähnlich geht es anderen Kollegen im Münchner Umland. (Foto: Christian Endt)

Hat sich die Bereitschaft, auf Bus und Bahn umzusteigen, auf dem Land generell erhöht?

Ja und nein. Ja, weil mehr Angebot in diesem Bereich zu mehr Nachfrage führt. Wenn der Bus öfter und regelmäßig kommt, mehr Busse fahren, auch am Abend und am Wochenende und auch die Schüler bessere Angebote haben, dann nutzen die Menschen diese Verkehrsbeziehungen auch. Attraktive Tickets wie das 365-Euro-Ticket für Schüler und Auszubildende fördern das zusätzlich. Nein, weil die S-Bahn der begrenzende Faktor ist.

Da ist einiger Frust herauszuhören …?

Ja, das habe ich ja gerade durch das „Nein“ schon angedeutet. Die Leistung der S-Bahn wird immer schlechter bis unterirdisch. Und was bringt mir der Bus von oder zur S-Bahn, wenn diese entweder deutlich verspätet oder gar nicht kommt und die Anschlüsse zu den Bussen nicht mehr passen? Nach dem zweiten oder dritten Mal kehrt der Fahrgast dem ÖPNV frustriert den Rücken zu und stellt sich lieber wieder in den zuverlässigeren Stau. Wir Landräte im MVV sprechen das seit über zehn Jahren an und fordern Verbesserungen ein.

Es hat sich auch schon was getan, die politisch Verantwortlichen in Bund und Freistaat und auch bei der DB beziehungsweise der S-Bahn haben die prekäre Situation erkannt. Die zweite Stammstrecke ist im Bau und viele notwendige ergänzende Maßnahmen, wie zum Beispiel bei uns der zweigleisige Ausbau zwischen Grafing-Bahnhof und Ebersberg liegen auf dem Tisch, wurden geprüft und vorgeplant und werden auch politisch unterstützt. Aber was in Jahrzehnten zuvor verpennt wurde, lässt sich beim Bahnausbau leider nicht in wenigen Jahren aufholen.

Erst kürzlich ist die Verlängerung des Deutschland-Tickets beschlossen worden, wenn auch mit einem höheren Preis. Ist das für Sie ein Grund zur Freude oder eher nicht?

Das Deutschland-Ticket ist für die Fahrgäste sicher ein sehr gutes Angebot, gerade für die Nutzer von Dauerkarten. Das bleibt es auch trotz der leider notwendigen Preiserhöhung, weil der ursprüngliche Preis total fehlkalkuliert war beziehungsweise das Deutschland-Ticket unterfinanziert.

Wir Landräte und Kommunalpolitiker haben dieses Ticket auch nie gefordert, weil das viele Geld zunächst viel wichtiger im dringend notwendigen Ausbau des Schienennetzes notwendig wäre. Wenn wir dafür jährlich drei Milliarden Euro zur Verfügung hätten, dann könnte man in Deutschland viel bewegen beziehungsweise aufs Gleis setzen. Und wenn dann die S-Bahn öfter käme und endlich pünktlich und zuverlässig käme, dann wäre damit mehr Menschen und auch der Umwelt geholfen als durch günstige Preise für Fahrten, die nicht stattfinden. Also: Priorität eins Angebotsausbau beziehungsweise Ausbau der Infrastruktur und dann Priorität zwei attraktive Tickets.

Inwieweit profitieren die Landkreise von den Einnahmen aus dem Deutschland-Ticket? 

Die deutschlandweite Einnahmeaufteilung aus dem Deutschland-Ticket ist aufgrund der enorm vielen Aufteilungspartner sehr komplex und noch längst nicht final definiert. Bislang verbleiben die Einnahmen beim verkaufenden Verkehrsunternehmen, was natürlich den großen Vertriebspartnern wie der DB sehr entgegenkommt und was wir sehr kritisieren.

Aktuell arbeiten aber die Länder gerade mit Hochdruck an der Umsetzung eines Aufteilungsverfahrens, wonach die Erlöse schwerpunktmäßig der Region zufließen, in der die Ticketnutzer wohnen. Das lässt sich aufgrund der bekannten Postleitzahlen der Ticketkäufer gut nachvollziehen und macht auch Sinn, weil die allermeisten Tickets auch wohnortnah verwendet werden. Einfach gesprochen wollen die Länder sehr bald vom Grundsatz „wer’s verkauft, dem gehört’s“ zum „Postleitzahlprinzip“ wechseln, was aber auch nicht alle gut finden.

Wir unterstützen diese Absicht sehr, weil es schlicht sehr viel gerechter ist und auch uns als Landkreise mit einem eher kleineren Verkaufsanteil entgegenkommt, was bisher eben nicht der Fall ist.

Die Qualität von Bahnnetz (im Bild die Baustelle für die zweite Stammstrecke) und Bahnbetrieb sind für Niedergesäß Voraussetzung dafür, dass der öffentliche Nahverkehr mehr Fahrgäste findet.
Die Qualität von Bahnnetz (im Bild die Baustelle für die zweite Stammstrecke) und Bahnbetrieb sind für Niedergesäß Voraussetzung dafür, dass der öffentliche Nahverkehr mehr Fahrgäste findet. (Foto: Robert Haas)

Haben Sie denn schon Einblick, inwieweit die Region vom Infrastrukturpaket aus dem Sondervermögen profitieren wird?

Es wird viel vermutet und gemunkelt und noch viel mehr erhofft, und notwendig wäre mit Sicherheit noch viel mehr. Immerhin wissen wir nun, dass der Bund „in den nächsten Jahren“ über 166 Milliarden Euro in die Verkehrsinfrastruktur investieren möchte, in Straße und Schiene. Das ist sicherlich sehr viel Geld, aber wie dieses genau verteilt und priorisiert werden wird, das bleibt noch offen – wir hoffen!

Wenn bei diesem megagroßen Infrastrukturpaket keine spürbaren und greifbaren Investitionen in die Stabilisierung und den Ausbau der Bahn in der Wachstumsregion München erfolgen, dann wäre das fatal für unsere Zukunftsfähigkeit. Zumal wir von Bund und Freistaat auch dringend mehr Geld benötigen für die laufende Finanzierung des ÖPNV, also auch des Regionalbusverkehrs.

Welche Defizite müsste man im MVV-Umland hier am dringendsten angehen?

Wie schon besprochen, liegt im Bahnknoten München trotz des Baus der zweiten Stammstrecke und des Programms „Starke S-Bahn München“ sehr viel im Argen. Erstens muss die Netz- und Betriebsqualität endlich wieder auf ein zumindest akzeptables Niveau kommen und zweitens müssen wir auch schnellstens konkretisieren, wie wir den Bahnknoten weiter ertüchtigen und modernisieren.

Die längst diskutierten nächsten Maßnahmen mit Umsetzungshorizont 2040 plus müssen endlich konkret durchgeplant und verbindlich finanziert werden, damit der Bahnknoten München als leistungsfähiges und zuverlässiges öffentliches Verkehrssystem der kommenden Generation zur Verfügung steht. Hierzu schreiben wir aktuell unser Positionspapier fort, das wir noch dieses Jahr dem Freistaat übergeben möchten.

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