Ukraine-Wochenrückblick: Russischer Raketenterror | ZEIT ONLINE | ABC-Z

In Sumy hat Russland die tödlichste Attacke in diesem Jahr verübt. Das russische Militär feuerte
am Palmsonntag zwei ballistische Iskander-Raketen des Typs M/KN-23 im Abstand von etwa
zweieinhalb Minuten auf das Zentrum der nordostukrainischen Stadt Sumy. Eine
Rakete traf die Universität, eine explodierte auf der Straße. 35 Zivilisten
wurden getötet und 119 verletzt. 40 Menschen werden noch in Krankenhäusern
behandelt, davon sind elf in ernstem Zustand. Unter den Opfern sind Kinder, Rentner und Bürger, viele waren an dem Sonntagmorgen gerade auf dem Weg in die Kirche oder unterwegs für einen Spaziergang.
Das sei Zynismus gegenüber Friedensbemühungen, sagte Polens Außenminister Radosław Sikorski. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas rief zum maximalen Druck auf
Russland auf, während CDU-Chef Friedrich Merz den Angriff auf Sumy als
“schwerstes Kriegsverbrechen” bezeichnete. In den USA sprach
Präsident Donald Trump lediglich von einer “schrecklichen Sache” und einem
angeblich “irrtümlichen Angriff”. Sein Sondergesandter für die Ukraine,
Keith Kellogg, verurteilte hingegen den Angriff als klaren Bruch mit allen Regeln militärischer
Zielplanung.
Neben der
Trauer um die Opfer des russischen Raketenterrors rückte innerhalb der Ukraine eine
Militärversammlung im Stadtzentrum in die Kritik. Mitten in der Stadt war eine Ordensverleihung an Soldaten abgehalten worden. Die Veranstaltung sei ein vermeidbares
Sicherheitsrisiko gewesen, kritisierten Regionalpolitiker und auch die ukrainische
Parlamentsabgeordnete Marjana Besuhla. Zeitpunkt und Ort der Verleihung seien über soziale
Netzwerke offen einsehbar gewesen und so zum Ziel für russische Angriffe möglich geworden.
Besuhla forderte die Staats- und Armeeführung auf, dieses Vorgehen zu
überdenken. Im Zentrum der Debatte stand auch der Gouverneur der
Region Sumy, Wolodymyr Artjuch, dem vorgeworfen wurde, die Zeremonie genehmigt
zu haben. Artjuch gab später zu, auf Einladung an der Zeremonie teilgenommen zu
haben. Daraufhin wurde seine
Entlassung auf Regierungsebene beschlossen.
Russland rechtfertigt seine Angriffe auf ukrainische Zivilisten stets mit
dem angeblichen Beschuss von ukrainischen Militärzielen – selbst wenn sich keinerlei
militärische Infrastruktur in der Nähe der beschossenen Gebiete befindet. Auch im
Falle des russischen
Angriffs auf Krywyj Rih Anfang April, bei dem 19 Zivilisten, darunter neun Kinder, getötet wurden,
bediente sich Russland dieser Argumentation. Nach Einschätzung von
Militärexperten nahm die russische Armee auch in Sumy die vielen zivilen Opfer mindestens absichtlich
in Kauf.
Das russische
Verteidigungsministerium behauptet hingegen, das Ziel des Angriffs sei eine
Versammlung hochrangiger ukrainischer Militärs gewesen. Laut dieser
Darstellung seien über 60 Soldaten getötet worden, wofür Russland jedoch keine
Belege lieferte. Russische Staatsmedien und
Propagandisten behaupteten, dass der Angriff ein “inszeniertes Verbrechen” der Ukraine sei, um
internationale Unterstützung zu gewinnen.
Als Reaktion griffen ukrainische Streitkräfte mehrere Standorte der russischen Raketenbrigade in der Region Kursk an, die für den Angriff auf Sumy
verantwortlich gemacht wird.
© Andre Alves/Anadolu/Getty Images
1.148 Tage
seit Beginn der russischen Invasion
Das Zitat: Rassismus in Paris
Der bekannte russische Oppositionspolitiker Wladimir Kara-Mursa sorgte im französischen Senat mit einer Aussage über das russische Vorgehen für Kritik. Kara-Mursa behauptete, dass es für Russen angeblich psychologisch
schwieriger sei, Ukrainer zu töten, als für “Vertreter nationaler Minderheiten”. Letztere werden vom russischen Verteidigungsministerium
in hoher Zahl für die Truppen mobilisiert. Kara-Mursa untermauerte seine Aussage mit dem Argument, dass beide
Völker sich kulturell so nahestünden. Ukrainische und indigene Aktivisten verurteilten die Aussage.
In Russland gibt es eine weitverbreitete kolonialistische Tradition, Vertreter asiatischer und kaukasischer Völker – eigentlich alle nicht weißen Menschen – als besonders grausam und blutrünstig zu beschuldigen. (…) Als Vertreter indigener Völker und ethnischer Minderheiten sind wir empört darüber, dass die führenden sogenannten liberalen Stimmen der russischen Politik weiterhin rassistische Narrative reproduzieren, die uns entmenschlichen.
Kara-Mursa verteidigte sich
daraufhin, er habe bloß die Meinung einer Kollegin
wiedergegeben. Er hätte auch auf die Probleme indigener Völker und politischer Gefangener aufmerksam machen können. Stattdessen habe er Fake-News verbreitet, schrieb die Aktivistin Viktoria Maladajewa von der Indigenous of
Russia Foundation.
Die wichtigsten Meldungen: Getötete Zivilisten, Sabotage und Gerichtsurteile
-
Dnipro: Bei einem russischen Drohnenangriff auf die Stadt Dnipro in der Zentralukraine sind
drei Menschen, darunter ein Kind, getötet und mindestens 30 verletzt worden. Das teilte der
ukrainische Katastrophenschutz mit. -
Sabotage: Der ukrainische Geheimdienst SBU nahm neun Menschen fest –
darunter fünf Teenager. Sie sollen im Auftrag des russischen Geheimdienstes
FSB Anschläge in der Ukraine geplant haben. -
Urteile: Ein russisches Militärgericht hat fünf Menschen zu
bis zu 18 Jahren Haft wegen angeblicher Sabotageakte für die Ukraine verurteilt. Ihnen wird vorgeworfen, Infrastruktur und einen Hubschrauber in Brand gesteckt zu haben. Ein russischer Soldat muss 15 Jahre in Haft, weil er sich ukrainischen
Truppen ergeben hatte. Vier
russische Journalisten bekamen mehrjährige Haftstrafen, weil sie mit dem russischen Oppositionellen Alexej Nawalny zusammengearbeitet hatten. -
Türkei: In Ankara hat ein zweitägiges sicherheitspolitisches
Treffen stattgefunden. Dabei sollen Sicherheitsfragen im Schwarzen Meer nach einem möglichen Waffenstillstand
zwischen der Ukraine und Russland erörtern worden sein. -
Mobilisierung: Das ukrainische
Parlament hat das Kriegsrecht und die allgemeine Mobilmachung um weitere 90 Tage
verlängert. Geplant ist eine Aufstockung der Armee um
etwa 160.000 Soldaten.
Waffenlieferungen und Militärhilfen: Milliardenhilfen, Taurus-Debatte und europäische Soldaten
Die Ukraine wird nach Angaben ihres Präsidenten derzeit zu 40 Prozent mit eigenen Waffen im Krieg gegen Russland versorgt. Die ukrainische Verteidigungsindustrie stellt mehr als 1.000 Waffentypen her – darunter Artilleriegranaten, Raketen, Langstreckenwaffen und Drohnen. Zusätzlich wächst die Zahl internationaler Kooperationen mit der ukrainischen Rüstungsindustrie, in der etwa 300.000 Menschen beschäftigt sind.
Die Ukraine ist zudem bereit, zusätzliche Flugabwehrsysteme zu kaufen. Selenskyj
betonte, starke Waffen seien der einzige zuverlässige Schutz gegen
Russland. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksij Makejew, schlug vor, Bundeswehrsoldaten im Umgang mit Drohnen in der
Ukraine zu schulen. Als erstes Nato-Land sendet nun Dänemark Soldaten
unbewaffnet zu Trainingszwecken in die Ukraine.
Im internationalen Bereich haben Deutschland und andere Länder bei einem Treffen in Brüssel weitere Militärhilfen im Wert von 21 Milliarden Euro zugesagt. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius kündigte kurzfristige Lieferungen von Iris-T-Flugabwehrraketensystemen, Kampfpanzern, Artilleriesystemen und Drohnen an. Langfristig soll es noch weitere Lieferungen geben.
Derweil äußerte sich Pistorius skeptisch zu einem Vorschlag des designierten Kanzlers Friedrich Merz (CDU), Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) sieht eine mögliche Einigung mit der SPD über die Lieferung von Taurus-Raketen, während Russland diese Pläne kritisiert hat. Der Vizechef des russischen nationalen Sicherheitsrats und ehemalige Präsident, Dmitri Medwedew, nannte Merz deshalb sogar einen “Nazi”.
Unter dem Radar: Kultur
Das Trio Ay Yola aus der russischen Teilrepublik Baschkortostan hat mit seinem Song Homay große Erfolge erzielt und in wenigen Wochen fast zwei Millionen Aufrufe auf Spotify erreicht. Selbst in der Ukraine stand das Lied vergangene Woche auf Platz eins der Apple-Music-Charts.
Jedoch gab es Kritik, da die Band zuvor Spenden für das russische Militär gesammelt hatte. Der Bruder des Frontmanns kämpft gegen die Ukraine. Da Streamingeinnahmen in den russischen Haushalt fließen, könnte das Hören des Songs indirekt den Krieg finanzieren. Bis Dezember 2024 sind mehr als 4.000 Menschen aus Baschkortostan in der Ukraine gestorben.
Weitere Nachrichten: Weltkriegsgedenken in Seelow
In Brandenburg ist bei einer Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag der Schlacht um die Seelower Höhen gedacht worden. Dabei handelt es sich um die größte Schlacht des Zweiten Weltkriegs auf deutschem Boden. Bei der Veranstaltung war auch der russische Botschafter Sergej Netschajew mit dabei – trotz einer Empfehlung des deutschen Auswärtigen Amts, russische und belarussische Staatsvertreter von Gedenkfeiern auszuschließen. Netschajew trug das Georgsbändchen, ein Symbol zur Unterstützung des Kremls und des Kriegs gegen die Ukraine.
Seine Teilnahme stieß auf heftige Kritik, besonders von ukrainischer Seite. Ein polnischer Militärvertreter protestierte während einer Schweigeminute, indem er einen Kranz für die polnischen Soldaten niederlegte und das Gelände verließ.
Lokale Politiker verteidigten die Anwesenheit des Botschafters. Der stellvertretende Landrat Friedemann Hanke bezeichnete die Empfehlung des Auswärtigen Amts als “absurd”.
Der Ausblick: Parade zum 9. Mai
Die ukrainische Regierung hat zum 9. Mai, zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, europäische Spitzenpolitiker nach Kyjiw eingeladen. Damit will Präsident Selenskyj ein diplomatisches Gegengewicht zur gleichzeitigen Militärparade in Moskau setzen. Außenminister Andrij Sybiha rief in Luxemburg seine EU-Kollegen zur “Einheit und Entschlossenheit angesichts der größten Aggression in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg” auf.
Moskau lud zu dem Anlass die Staatschefs Chinas, Israels, Serbiens und der Slowakei. Die russische Regierung nationalisiert und instrumentalisiert das
Gedenken an den Zweiten Weltkrieg, um seinen Krieg gegen die Ukraine zu
rechtfertigen.
Der slowakische Regierungschef Robert Fico, bekannt für seine russlandfreundliche Politik, sagte seine Teilnahme zu und kritisierte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas für ihre Warnung an EU-Vertreter vor einer Teilnahme. “Wir haben sehr deutlich gemacht, dass wir nicht wollen, dass irgendein Beitrittskandidat an diesen Veranstaltungen am 9. Mai in Moskau teilnimmt”, sagte Kallas.
Fico verteidigte seine Entscheidung mit Verweis auf die Befreiung der Slowakei durch die Rote Armee. Seit seiner Wahl 2023 verfolgt er einen prorussischen Kurs, stellte Militärhilfe für die Ukraine ein und kritisierte EU-Sanktionen.
Den Rückblick auf die vergangene Woche finden Sie hier.