Kultur

Omri Boehm: Der Ausgeladene | ZEIT ONLINE | ABC-Z

Noch ist die Rede nicht einmal
gehalten, doch der Eklat ist längst da. Am kommenden Sonntag sollte der
deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm in Weimar sprechen – zum 80. Jahrestag
der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald am 11. April. Doch daraus
wird nichts. Auf Druck der israelischen Regierung hat die Gedenkstätte seine
Rede vorerst vertagt. Auf einen späteren Zeitpunkt, heißt es. Aber wann? Und
unter welchen Bedingungen?

Der Leiter der Gedenkstätte
Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, sagte am Mittwoch gegenüber
ZEIT ONLINE, er bedaure, dass die Einladung Boehms zu einem Konflikt mit
Vertretern der israelischen Regierung geführt habe. Man habe Boehm eingeladen,
weil man sich von ihm “auf hohem Reflexionsniveau ethisch fundierte Gedanken
zum Verhältnis von Geschichte und Erinnerung, insbesondere zum Wert der
universellen Menschenrechte und ihrer Bedeutung mit Blick auf die
NS-Verbrechen” versprochen habe. Doch nach massivem Druck aus Israel und einem
“vertrauensvollen Gespräch” mit Boehm habe man sich entschieden, seine Rede auf
einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Der Spiegel
hatte als Erstes über die Ausladung Boehms berichtet.

“Der Schutz der Überlebenden hat
für mich absolute Priorität”, sagt nun Jens-Christian Wagner. “Ich bedaure
außerordentlich, dass sie von Dritten in einen Konflikt hineingezogen wurden,
mit dem sie und auch die Geschichte des KZ Buchenwald nichts zu tun haben.” Zu der am Sonntag in Weimar geplanten Gedenkfeier werden etwa
zehn Überlebende des NS-Terrors erwartet.

Doch die bloße Ausladung Boehms reichte
der israelischen Botschaft in Deutschland offenbar nicht. Am Mittwochnachmittag
folgte bei X ein scharfer Angriff. Die Entscheidung, Omri Boehm einzuladen, sei
“nicht nur empörend, sondern eine eklatante Beleidigung des Gedenkens an die
Opfer”. Der relativiere den Holocaust und vergleiche ihn mit der Nakba, wie
Palästinenser die Vertreibung und Flucht während des Israelischen Unabhängigkeitskrieges
Ende der Vierzigerjahre nennen. Boehm instrumentalisiere
zudem die israelische Gedenkstätte Yad Vashem und versuche, “unter dem
Deckmantel der Wissenschaft” das Holocaust-Gedenken zu verwässern. Die
Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau-Dora wollte das Statement der
israelischen Botschaft nicht kommentieren.

Boehm, der an der New School for Social
Research in New York lehrt, hat sich in der Vergangenheit immer wieder kritisch
gegenüber Israel geäußert. Erst vergangene Woche schrieb er in einem
FAZ-Gastbeitrag
, dass die Debatte über ethnische
Säuberungen und einen möglichen Genozid im Gazastreifen “eine der wichtigsten
in hebräischer Sprache geführten” sei. Es gelte heute mehr denn je, “die
Errungenschaft eines im Humanismus verankerten Rechts weiter zu verteidigen und
jene Kräfte zu bekämpfen, die bereits jetzt einen unbegrenzten Krieg
heraufgeführt haben”.

Bereits in seinem Buch Israel –
eine Utopie
(2020)
und in Beiträgen unter anderem auch für die ZEIT hatte
sich Boehm immer wieder für eine binationale Einstaatenlösung zwischen Israelis und Palästinensern
ausgesprochen
.

Im vergangenen Jahr ist Boehm mit
dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet worden. In
seiner Dankesrede sagte er
, dass es aktuell vielleicht nichts Naiveres,
Utopischeres und Groteskeres gebe, als von einer “Freundschaft zwischen
Israelis und Palästinensern” zu sprechen. Man dürfe diese Idee dennoch nicht
aufgeben, auf keiner der beiden Seiten: “Freundschaft war immer der Test, der
uns vor dem katastrophalen Versagen der Brüderlichkeit und dem grotesken
Missbrauch abstrakter Ideen über bewaffneten Widerstand und Selbstverteidigung
beschützt hat”, sagte Boehm.

Bisher hat sich Boehm in der Sache
nicht geäußert. Es ist aber auch nicht das erste Mal, dass er mit harter Kritik
aus Israel konfrontiert wird. Schon bei seiner Europa-Rede in Wien im
vergangenen Jahr protestierten jüdische Gruppen und warfen ihm vor, Israel zu
dämonisieren und damit Antisemitismus zu schüren. Insofern mag der aktuelle
Einspruch nicht überraschen – heftig ist er dennoch. 

Der Schaden ist nun längst eingetreten

Natürlich kann eine deutsche Holocaust-Gedenkstätte
nicht eigenmächtig bestimmen, wer beim Gedenken an den Terror der Nazis
sprechen darf. Doch genau darum geht es hier nicht. Man muss es klar sagen: Der
Vorwurf, Omri Boehm relativiere oder instrumentalisiere den Holocaust, ist absurd.
Er mag ein scharfer Kritiker der Netanjahu-Regierung sein, doch seine
universalistischen Überlegungen
, inspiriert von Immanuel Kant, zielen auf
Verständigung – nicht auf Parteinahme. Boehm, der selbst Enkel einer
Holocaustüberlebenden ist, hat zudem nie die Singularität des Holocaust
infrage gestellt, sondern lediglich gefordert, die Nakba in die israelische
Erinnerungskultur einzubeziehen.

Die eigentliche Tragik aber ist:
Der Schaden, den man von den Holocaustüberlebenden abwenden wollte, die in der
kommenden Woche die Gedenkfeier im einstigen KZ Buchenwald besuchen werden, ist
längst eingetreten. Denn unter diesen Umständen wird es noch schwerer, die
Integrität der Erinnerung an die Opfer zu bewahren.

Back to top button