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Ingenieur Shawn Ingle in der deutschen Nationalmannschaft | ABC-Z

Shawn Ingle hat noch die Schlammspritzer vom Rugbyplatz an den Händen, als er zum Handy greift. Die Arbeit ruft. Ruft an, könnte man in diesem Fall auch sagen. Gerade noch hat sich der Sechsundzwanzigjährige im Training mit der deutschen Rugby-Nationalmannschaft auf das nächste EM-Spiel vorbereitet, doch am Telefon geht es nun um einen anderen Sport. Ingle arbeitet im Hauptberuf als Ingenieur für den englischen Motorsport-Rennstall McLaren. Auch dort läuft gerade die heiße Phase der Vorbereitung. Mitte März beginnt in Australien die neue Formel-1-Saison. Für McLaren gilt es, den Titel als Konstrukteursweltmeister zu verteidigen.

Ingle ist Südafrikaner. Er hat in Aus­tralien studiert. Er lebt und arbeitet in England. Wie kommt so jemand dazu, für die deutsche Rugby-Nationalmannschaft aufzulaufen? Ingle lacht. Es sei schon eine „ziemlich kurvenreiche Geschichte“, sagt er, im Endeffekt aber sei es recht simpel: „Mein Opa ist mit 20 von Deutschland nach Südafrika ausgewandert.“ Und er selbst habe sich „immer irgendwie mit dem Land verbunden gefühlt“. Die Heimat seines Großvaters im baden-württembergischen Ettlingen hatte er als Jugendlicher einmal besucht.

Als Ingle erfuhr, dass er aufgrund seiner Familiengeschichte für die deutsche Nationalmannschaft spielberechtigt ist, meldete er sich beim Deutschen Rugby-Verband (DRV). Seit jeher ist er interessiert daran, seinen Sport auf dem höchstmöglichen Niveau auszuüben. Der DRV lud ihn daraufhin zu einem Training an den Olympiastützpunkt in Heidelberg ein. Im vergangenen Jahr spielte er erstmals für die Auswahl in der olympischen 7er-Variante, nun läuft er für die deutsche Mannschaft im klassischen 15er-Rugby auf. „Ich mag beides“, sagt er.

Halbtags noch arbeiten

Drei Spiele hat Ingle mit dem deutschen Team in der diesjährigen Rugby Europe Championship bestritten. Das Turnier ist die offizielle Europameisterschaft, allerdings ohne die „Six Na­tions“, also die europäischen Rugby-Topteams etwa aus Großbritannien und Frankreich. In der Gruppenphase im Februar gab es für die deutsche Auswahl bei den WM-Teilnehmern Rumänien (10:48) und Portugal (14:56) die erwartet deutlichen Niederlagen, gegen Belgien (19:39) zudem eine schmerzhafte Heimpleite. Die Chance auf eines der vier direkten Tickets für die Rugby-Weltmeisterschaft 2027 in Australien ist damit dahin. Allerdings spielt das Team noch um Platz fünf, der zur Teilnahme an einem WM-Qualifikationsturnier berechtigt. An diesem Samstag (13 Uhr, Pro Sieben Maxx) geht es im Play-off-Halbfinale in Amsterdam gegen die favorisierten Niederlande.

Ingle ist wieder mit dabei. Sein Arbeitgeber unterstützt ihn in seinem Rugby- Ehrgeiz, ermöglicht ihm die Reisen zu den Länderspielen. „Bei McLaren sind viele Mitarbeiter von Natur aus sehr kompetitiv“, berichtet er. Viele ambitionierte Triathleten gebe es, dazu gleich mehrere ehemalige Olympia-Teilnehmer aus verschiedenen Sportarten. „Ich denke, sie sehen darin einen besonderen Wert“, sagt Ingle. Das kann er nachvollziehen: „Ich finde das eine der großartigsten Sachen am Sport: dass er mich auf andere Aufgaben des Lebens vorbereitet.“

Den Laptop hat Ingle immer im Gepäck, wenn er mit der deutschen Mannschaft unterwegs ist. Wie die allermeisten seiner Teamkollegen ist er kein Rugbyprofi, muss deshalb vor und nach den Trainingseinheiten schon mal einen halben Tag „remote“ arbeiten. Bei McLaren ist er angestellt als „Fertigungsingenieur“, was zunächst einmal „ziemlich vieles bedeuten“ könne, wie er sagt. In seinem Fall bedeutet es „einen Mix aus dem klassischen Designen von Fahrzeugteilen und interner Projektarbeit für den Rennstall“. Zurzeit arbeite er beispielsweise in einem Team daran, wie man die Erkenntnisse aus der Formel 1 für andere Geschäftszweige und Partnerunternehmen nutzbar machen könne.

„Mehr als ein Hobby“

Seine Leidenschaft für den Motorsport hat Ingle erst an der Universität entdeckt. Mit Kommilitonen hatte er dort einst ein Auto für eine studentische Rennserie entworfen. Seitdem ist sein Interesse geweckt. Seine große Liebe bleibt dennoch der Rugbysport. Ingle genießt es, nach der Arbeit mit dem Kopf auch den Körper zu belasten. „Das Gefühl nach einem Rugbymatch, wenn man absolut keine Energie mehr im Tank hat, ist etwas ganz Besonderes“, schwärmt er. „Es ist mehr als ein Hobby. Es ist eine sehr ernsthafte Passion.“

Als Flügelstürmer steht Ingle zwar nicht in der ersten Reihe, wenn die schweren Jungs aufeinanderprallen. Doch dort, wo es kracht, ist er trotzdem oft genug. So kommt es häufiger vor, dass er nach einem Rugby-Wochenende mit blauen Flecken, blauem Auge oder humpelnd zur Arbeit kommt. „Es ist definitiv eine Herausforderung, beides zu balancieren, und eine Verletzung hilft da nicht wirklich“, sagt er und schmunzelt. Doch letztlich profitiere er von seinen Erfahrungen in beiden Lebensbereichen. „Vom Rugby lernst du, mit Rückschlägen, Schmerzen, Problemstellungen umzugehen“, sagt er. „Vom Motorsport, wie tausend Leute effizient auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten.“

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