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Jetzt wird der Fußgänger König | ABC-Z

Der Fußgänger ist die kleinste Nummer im Straßenverkehr. In den Rotphasen des fließenden Verkehrs hetzt er von Bürgersteig zu Bürgersteig. Ständig wird er übersehen oder mindestens behindert – von eigenwillig geparkten Pkws, rücksichtslos dahingeworfenen E-Rollern oder E-Bike-Fahrern, die für Geschwindigkeitsbegrenzungen keine Zeit haben. In der Politik geht es ihm nicht anders, dort streiten die Parteien über Autoverkehr oder Bahnsanierung, aber so gut wie nie um die Rechte des schreitenden Individualverkehrs.

Dabei sind die Dimensionen des Fußgängerverkehrs hinlänglich untersucht: In Deutschland werden täglich etwa 60 Millionen Wege vollständig zu Fuß zurückgelegt, was rund 22 Prozent der gesamten Wege ausmacht. Das hat eine Studie ergeben, die das Bundesverkehrsministerium schon 2017 in Auftrag gegeben hat.

Die scheidende Bundesregierung, nach Ausscheiden des Gelblichts inzwischen nur noch zur Fußgängerampel geschrumpft, beschreitet jetzt andere Wege und hat kurz vor der Bundestagswahl noch eine „nationale Fußverkehrsstrategie“ verabschiedet, die auf rund 20 Seiten Ziele und Maßnahmen umreißt, eingeteilt in fünf Handlungsfelder. Zuvörderst wird erstmals die Gleichberechtigung dieser Mobilitätsform propagiert, zugleich festgestellt, dass der Fußverkehr sicherer werden soll, zugleich soll die Gesundheit gefördert, die Lebensqualität gesteigert und die lokale Wirtschaft gestärkt werden. Mehr lässt sich mit keinem anderen Verkehrsmittel erreichen.

„Großer Schritt“ für den Fußverkehr

Die Lobbyistengruppe Fuss e.V. – seit genau 40 Jahren im Dienste des verletzungsfreien Gehens aktiv – sieht darin nicht nur ein „besonders schönes Geburtstagsgeschenk“ von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (statt gelb inzwischen parteilos), sondern auch einen „großen Schritt“ für den Fußverkehr. Jetzt sei der Wert der „meist verbreiteten Mobilitätsform“ endlich anerkannt. Fuss-Vorstand Roland Stimpel erinnert: „Fast alle Menschen in Deutschland gehen zu Fuß, sind im Kinderwagen oder Rollstuhl unterwegs.“

Die Grünen sind – wenig überraschend – die größten Verfechter der neuen Strategie: „Endlich wird das Zufußgehen offiziell in das Blickfeld der Bundespolitik gehoben“, jubelt die Bundestagsabgeordnete Swantje Michaelsen, Berichterstatterin für Fußverkehr in der Bundestagsfraktion der Grünen. Sie verweist darauf, dass schon zu Beginn der Legislatur erstmals finanzielle Mittel für Fußwege bereitgestellt wurden. „Die Strategie fördert den Fußverkehr jetzt auch strukturell und festigt längerfristig, was wir begonnen haben.“

Gleichwohl, so wird schnell deutlich, kann es nur der erste Schritt gewesen sein: Die Strategie sei noch schwach beim dringenden Thema Sicherheit, argumentiert Fuss e.V. Im Schnitt alle 18 Minuten wird in Deutschland ein Mensch zu Fuß angefahren und verletzt, jeden Tag einer getötet. „Die Städte und Gemeinden brauchen mehr Freiheit, Tempo 30 festzulegen, wo Menschen zu Fuß über die Fahrbahn müssen“, fordert Stimpel. Erst kürzlich ist eine Reform des Straßenverkehrsrechts in Kraft getreten, die diesen Spielraum vergrößert.

„Nationaler Fußverkehrsplan“ gefordert

Zudem: Zu schnelles und rücksichtslosen Fahren müsse deutlich härter geahndet werden. Städte und Gemeinden müssten im Ordnungsrecht verpflichtet werden, illegales Gehparken wirksam zu ahnden. Bußgelder für Gehwegmissbrauch müssten steigen, das Abstellrecht für E-Scooter gehöre abgeschafft, so lautet die Latte an Forderungen, die eine solche Strategie nach sich zieht. Und schließlich: Die Sanierung vieler Gehwege sei so dringend wie die von Gleisen und Brücken; Bund und Länder müssten sie fördern.

Dafür sei die Strategie „eine schöne Vorlage“, findet Fuss e.V. Jetzt brauche es einen „Nationalen Fußverkehrsplan“ mit konkreten Schritten. Dieser muss nun allerdings die nächste Bundesregierung gehen. So sieht es auch der ökologische Verkehrsclub VCD: Außerdem braucht es einen eigenen Fördertopf, wie bereits beim nationalen Radverkehrsplan“, fordert Anika Meenken, VCD-Sprecherin für Rad- und Fußverkehr und zieht zum guten Schluss noch eine Analogie zur Königsklasse des Fußgängersports: „Damit rollt der Ball ins Feld der künftigen Bundesregierung, die diese Dinge auf den Weg bringen und umsetzen muss.“

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