Schimpansen fordern Partnerinnen mit Gesten zum Sex auf – Wissen | ABC-Z

Wenn ein Schimpanse aus dem nordöstlichen Teil des Nationalparks Taï Sex haben will, klopft er mit den Fingerknöcheln gegen einen Ast. Alle Gruppenmitglieder wissen, was das bedeutet: Die Männchen beobachten interessiert, was weiter passiert, und wenn der Knöchelklopfer Glück hat, erklärt sich eines der Weibchen bereit, sich mit ihm zu paaren.
In anderen Teilen des in der Elfenbeinküste gelegenen Schutzgebiets rütteln die Männchen an Ästen oder kicken mit der Ferse, um dasselbe zu erreichen. Manche zerreißen auch Blätter, um mitzuteilen, dass sie jetzt gerne Sex hätten.
„Wir haben vier Arten von kommunikativen Gesten identifiziert, die von Schimpansenmännchen verwendet werden, um Weibchen zur Paarung zu bewegen“, sagt Mathieu Malherbe laut einer Pressemitteilung, er ist Erstautor einer Studie im Wissenschaftsjournal Current Biology, in der „Knöchelklopfen“, „Fersenkick“, „Astschütteln“ und „Blattzerreißen“ beschrieben werden.
Für den Wissenschaftler, der am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und an der Universität Claude Bernard in Lyon forscht, sind diese Beobachtungen viel mehr als nur eine unterhaltsame Geschichte. Sie sind der Beweis, dass nicht nur Menschen in verschiedenen Dialekten kommunizieren, sondern auch Schimpansen.
Verhaltensforscher finden immer mehr Beispiele für Kultur im Tierreich
Von Singvögeln und Bartenwalen weiß man schon länger, dass ihre Gesänge Elemente enthalten, die charakteristisch für ihre jeweilige Population sind. Ähnlich wie Menschen, die aus Bayern oder aus Sachsen kommen, „sprechen“ sie unterschiedliche Dialekte.
Bei Primaten, die mit dem Menschen viel näher verwandt sind als Vögel und Wale, gab es dagegen bislang kaum Beispiele für Dialekte. Da die Gesten der Schimpansen zwar keine Lautäußerungen sind, aber wie diese der Kommunikation dienen, bezeichnen die Studienautorinnen und -autoren sie ebenfalls als Dialekt.
Es muss anstrengend gewesen sein, das alles herauszufinden. Von 2013 bis 2024 liefen die Forschenden jeweils mehrere Tage und Wochen im Jahr mit den Schimpansen durch den Regenwald. Im Morgengrauen, wenn die Schimpansen in ihren Schlafnestern aufwachten, mussten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon zur Stelle sein, um den Aufbruch der Tiere nicht zu verpassen. Bei Hitze und extrem hoher Luftfeuchtigkeit folgten sie den Affen dann den ganzen Tag lang und konnten sich erst wieder ausruhen, wenn die Schimpansen sich wieder schlafen legten.
Auf diese Weise zeichneten sie im Laufe der Jahre 495 Aufforderungen zum Sex auf: 182 Mal Astschütteln, 231 Mal Fersenkick, 58 Mal Knöchelklopfen und 24 Mal Blattzerreißen. „Auch wenn wir manche Gesten wie etwa das Blattzerreißen nur selten beobachtet haben, war eindeutig zu erkennen, dass es sich um eine Aufforderung zur Paarung handelt“, sagt Max-Planck-Forscher Roman Wittig, der an der Studie beteiligt war. „Die Männchen haben bereits eine Erektion, schauen zu den Weibchen und wiederholen die Aufforderungsgeste so lange, bis ein paarungsbereites Weibchen zu ihnen kommt.“ Manchmal reagiere auch ein Alphamännchen und verscheuche das Tier, das die Gesten macht. Die konstante Verwendung derselben Signalformen in verschiedenen Gruppen deute auf sozial erlernte Dialekte bei Schimpansen hin, so Catherine Crockford, die an der Studie beteiligt war, in einer Presseerklärung des Max-Planck-Instituts.
Nach Ansicht der Studienautorinnen und -autoren sind die Dialekte, die sie bei den verschiedenen Schimpansengruppen im Nationalpark Taï gefunden haben, eine besondere Form von Kultur bei Tieren. Lange habe man gedacht, dass Kultur etwas typisch Menschliches ist, schreibt der Psychologe Andrew Whiten von der britischen University of St Andrews in einem Übersichtsartikel zu tierischer Kultur, der vor einiger Zeit im Wissenschaftsjournal Science erschienen ist. Doch seit Verhaltensforscherinnen und Verhaltensforscher gezielt danach suchen, finden sie immer mehr Beispiele für Kultur im Tierreich.
Schimpansen in Sambia finden es schick, mit einem Grashalm im Ohr herumzulaufen.
Zwar lesen Tiere keine Bücher, besuchen keine Theateraufführungen oder Ausstellungen und machen auch keine Bildungsreisen. Biologinnen und Biologen fassen den Begriff „Kultur“ aber weiter: Sie verstehen darunter Verhaltensweisen oder Gewohnheiten, die Mitglieder einer bestimmten Gruppe pflegen, andere Gemeinschaften derselben Art aber nicht. Ein wichtiges Merkmal ist zudem, dass kulturelle Verhaltensweisen nicht vererbt, sondern durch soziales Lernen weitergegeben werden, in der Regel, indem einer den anderen nachahmt.
In diesem Sinne ist die Gewohnheit japanischer Makaken, ihr Futter vor dem Fressen abzuwaschen, genauso Kultur wie die Gesänge von Walen. Oder die Gewohnheit einer Gruppe von Schimpansen in Sambia, sich einen Grashalm ins Ohr zu stecken und damit den ganzen Tag herumzulaufen.
Die Autorinnen und Autoren der aktuellen Studie in Current Biology haben zudem gezeigt, dass Kultur bei Tieren – genau wie bei Menschen – auch wieder verloren gehen kann. Das entdeckten sie beim Vergleich ihrer Daten mit Beobachtungen aus früheren Jahren. Die Taï-Schimpansen werden seit Jahrzehnten beobachtet, sodass es über sie einen riesigen Datensatz gibt. „Die Männchen der nördlichen Gruppe, einer der vier Gemeinschaften, haben seit 20 Jahren kein Knöchelklopfen mehr ausgeführt, obwohl vor 2004 alle Männchen der nördlichen Gruppe diese Geste benutzten“, sagt Liran Samuni vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen, die an der Studie beteiligt war, laut Pressemitteilung.
Grund für diesen Verlust sei der Mensch: Unter anderem Jagd und der Verlust von Lebensraum hätten die Gruppe stark dezimiert. Das letzte Männchen, dass die Geste an andere hätte weitergeben können, wurde 2008 von einem Jäger getötet. Danach habe es in der Gruppe jahrelang keine erwachsenen Männchen gegeben. Inzwischen hat sich die Population wieder erholt, doch keines der Männchen klopft mit den Handknöcheln auf einen Ast, um Weibchen zum Sex aufzufordern.