Warum Pflegemittel weiter verschwendet werden |ABC-Z

Es geht um Mundschutz, Desinfektionsmittel, Einmalhandschuhe, Bettauflagen, Schutzschürzen – Hilfsmittel, die jedem zustehen, der einen Pflegegrad hat und zu Hause versorgt wird. Ein Rezept vom Arzt muss man dafür – anders als bei Inkontinenz- und Windelbedarf, der nicht zu den Pflegehilfsmitteln zählt – nicht vorlegen. Monatlich bis zu 42 Euro zahlt die Pflegekasse für Artikel, die in der Pflege zu Hause gebraucht werden. Bei nahezu fünf Millionen Betroffenen in Deutschland ist das ein lukrativer Markt. Allein die AOK Hessen gab zuletzt 16 Millionen Euro für solche Einmalpflegehilfsmittel aus. Alle Pflegekassen zusammengenommen, beliefen sich die Kosten im vergangenen Jahr auf knapp eine halbe Milliarde Euro. Der Spitzenverband der gesetzlichen Pflegekassen (GKV) rechnet in diesem Jahr – inklusive Zuschüssen für Wohnanpassungen – mit einem Plus von knapp 13,4 Prozent.
Als Grund nennt die GKV den Anstieg der Leistungsbezieher und der Leistungen. Seit Januar gibt es monatlich zwei Euro mehr für Hilfsmittel. Um so ärgerlicher ist es aus Sicht von Verbraucherschützern, dass der Kauf von Handschuhen und Desinfektionsmitteln die ohnehin maroden Haushalte der Pflegekassen oft unnötig belastet, weil zu viele oder solche Hilfsmittel eingekauft werden, die nicht benötigt werden.
Mit ursächlich dafür sind die unlauteren Methoden von Onlineanbietern, die Versicherte anrufen und ihnen Pflegehilfsmittel in fertigen Boxen und im monatlichen Abo zum Maximalbudget von 42 Euro unterjubeln. Der individuelle Bedarf wird dabei nicht ermittelt.
Der aggressive Vertrieb wird oft von Menschen in Callcentern erledigt, die sich als Mitarbeiter offizieller Stellen wie der Pflegeversicherung ausgeben und sogar Unterschriften erschleichen. Abgerechnet wird im Anschluss direkt mit der Pflegekasse. Der Versicherte selbst hat keinen finanziellen Schaden.
Vertriebler setzen Computerstimmen ein
Nachdem sich die Beschwerden häuften, hat der GKV-Spitzenverband reagiert und die Regeln zum 1. Juli 2024 verschärft. Er handelt Verträge mit Sanitätshäusern, Apotheken und anderen Anbietern über den Vertrieb von Pflegehilfsmitteln aus. So muss die Initiative jetzt vom Versicherten ausgehen, das heißt, er darf nicht mehr unaufgefordert angerufen werden. Pakete in festen Kombinationen sollen nicht mehr möglich sein. Vielmehr soll vorher eine Beratung durch geschultes Personal erfolgen, um den Bedarf zu ermitteln. Ein Sprecher der AOK streicht die neuen Sanktionsmöglichkeiten heraus. Danach kann der GKV-Spitzenverband mehrfach aufgefallene Leistungserbringer von der Versorgung für zwei Jahre oder sogar ganz ausschließen. Er ist dazu aber auf Hinweise von Versicherten angewiesen, wie der Sprecher sagt.
Das alles schreckt unseriöse Anbieter aber nicht ab. Inzwischen setzen die Vertriebler Computerstimmen ein. Diese informieren allgemein über die Ansprüche. Wer mehr wissen möchte, soll dann zurückrufen oder eine Taste am Telefon drücken, berichtet Gisela Rohmann, Juristin im Fachbereich Gesundheit und Pflege bei der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. So werde das Anrufverbot umgangen.
Es wird aber auch noch klassisch angerufen. Eine 87 Jahre alte Seniorin berichtet von einem regelrechten Telefonterror im Frühjahr. Mehrmals in der Woche sei sie angerufen worden. Dann habe es geheißen: Sie verschenke jedes Jahr 504 Euro, wenn sie das Angebot nicht in Anspruch nehme. Trotz Ansage, sie brauche kein Pflegepaket, habe die Person am anderen Ende der Leitung immer weiter insistiert. „Die war richtig frech.“
Einfach den Hörer auflegen
Eine neue Masche ist offenbar, dass Anrufer versuchen, Onlinepflegekurse zu vermitteln – wie Einmalhilfsmittel ebenfalls eine Leistung der Pflegekassen. „Solche Kurse sind grundsätzlich eine gute Sache für pflegende Angehörige“, sagt Rohmann, aber nicht jeder brauche das.
Verbraucherschützer empfehlen, bei lästigen Vertriebsanrufen einfach den Hörer aufzulegen. Oder der Angerufene ergreift die Initiative und sammelt Informationen zum Anrufer, um die Pflegekasse zu informieren. Die kann schließlich nur dann einschreiten, wenn sie von unseriösen Anbietern erfährt.
Werden im Nachgang Unterlagen vorgelegt, sollte man nichts unterschreiben und stattdessen dem Unternehmen mitteilen, dass man nichts bestellt hat, oder die Bestellung widerrufen. Dafür gibt es Musterschreiben auf den Internetseiten der Verbraucherzentralen. Die Lieferung nicht bestellter Pakete ist abzulehnen.
Letztendlich müssten sich auch die Versicherten Gedanken machen, sagt Silke Möhring aus der Pflegeberatung der hessischen Verbraucherzentrale. Was wird wirklich benötigt? Wo übertreibt man es womöglich bei der Hygiene? „Ihre Wohnung ist kein Krankenhaus“, schreibt die „Apotheken-Umschau“.
Zwei Möglichkeiten gibt es. Entweder man kauft die Sachen selbst in der Drogerie und lässt sich das Geld erstatten. Den Antrag bei der Pflegekasse kann man formlos stellen oder ein Formular nutzen, das die meisten Pflegekassen online bereitstellen. Die Genehmigung erfolgt für einen längeren Zeitraum, sodass nur noch Quittungen vorgelegt werden müssen. Oder der Versicherte geht in die Apotheke oder in ein Sanitätshaus und kauft die Hilfsmittel dort. In diesem Fall bekommt man eine fachliche Beratung gleich dazu. Und es ist bequem, weil sich der Versicherte um nichts kümmern muss. Als Vertragspartner der GKV rechnen Apotheken und Sanitätshäuser direkt mit der Pflegekasse ab, falls der Kunde dem zustimmt.