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Wagenknecht gibt Parteivorsitz auf – aber nicht ihren Einfluss – Politik | ABC-Z

Sahra Wagenknecht steht in der ersten Reihe, blickt in die Gesichter der Delegierten, die ihr frenetisch zujubeln. Sie bedeutet ihnen, sich zu setzen, aber ihre Anhänger wollen nicht aufhören zu klatschen. Also verbeugt sie sich. Die Rede der Vorsitzenden auf dem dritten Parteitag des Bündnisses in Magdeburg ist auch ein Abschied: Wagenknecht gibt den Chefposten ab. Die Partei wird ab Oktober 2026 nicht mehr ihren Namen tragen, sondern künftig „Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft“ heißen.

Ihr Rückzug ist auch ein Eingeständnis. Wagenknecht sagt, es seien Fehler gemacht worden. Der größte war aus ihrer Sicht die restriktive Aufnahme von Mitgliedern: Die habe dazu geführt, dass Menschen sich abgewiesen fühlten. Die Atmosphäre des Aufbruchs sei dadurch verloren gegangen, der „Eindruck eines abgeschotteten Vereins“ habe sich verfestigt. Die Partei befinde sich in der „bisher schwierigsten Phase“ ihrer noch jungen Geschichte, so Wagenknecht, trotz des Anstiegs von rund 1000 auf rund 11 000 Mitglieder in einem Jahr.

Die Angst vor einer Eskalation mit Russland eint das Bündnis. Außerdem sind die Mitglieder gegen Aufrüstung, viel mehr aber hält die Partei inhaltlich nicht zusammen. Es ist vor allem der knapp verpasste Einzug in den Bundestag, der sie quält. Die Partei fordert die Neuauszählung der Bundestagswahl, weil nur 9529 Stimmen zur Fünf-Prozent-Marke fehlten. Dass der Wahlausschuss im Bundestag das zuletzt nicht empfohlen hat, wertet Wagenknecht als Verschleierung, gar als Betrug. Dass viele Medien ihre Haltung zu Russland kritisch begleiten, empfindet sie als Kampagne.

Zum Rückzug vom Vorsitz heißt es aus der Partei, sie kenne eben ihre Schwächen. Sie wisse, dass sie nicht die beste Organisatorin sei. Künftig soll die Gründerin des Bündnisses eine Grundwertekommission führen, sie will weiter präsent sein. Die Vielfalt der Partei solle stärker nach außen gezeigt werden, sagt Wagenknecht auf der Bühne. Zu weit darf diese Vielfalt aber aus ihrer Sicht nicht gehen.

Die neuen Vorsitzenden erzielen sehr gute Ergebnisse

Die neuen Vorsitzenden sind ihre Vertrauten, der EU-Abgeordnete Fabio de Masi und die frühere Co-Fraktionsvorsitzende der Linken, Amira Mohamed Ali. Besonders De Masi erzielt ein sehr gutes Ergebnis, 93,3 Prozent der Delegierten wählen ihn. Mohamed Ali geben 82,6 Prozent ihre Stimme. Die Partei folgt damit Wagenknechts Vorschlag.

Wenn Wagenknecht vom Rednerpult in der Parteitagshalle in die Delegiertenreihen schaut, sitzen rechts außen ihre Widersacher: Die Thüringer Finanzministerin und Vize-Ministerpräsidentin Katja Wolf und Infrastruktur- und Digitalisierungsminister Steffen Schütz. Wenn Schütz redet, wird auch mal gebuht. Die Loyalitäten sind klar.

Der Kampf zwischen den Thüringern und dem Bundesvorstand dreht sich vor allem darum, wie das BSW regiert. Es geht um die Koalitionsfähigkeit des Bündnisses mit den Parteien der Mitte. Und darum, wer Schuld am Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde trägt. In Thüringen hatten bei der Landtagswahl im September des vergangenen Jahres 15,8 Prozent der Wählerinnen und Wähler dem BSW ihre Stimmen gegeben, bei der Bundestagswahl waren es 9,4 Prozent der Zweitstimmen. Wagenknecht erinnert an das historisch gute Wahlergebnis bei der Thüringer Landtagswahl, damals noch ganz ohne Personal.

Ein riesiges Thema: Die Brandmauer zur AfD

In mehreren Landesverbänden sind die Konflikte um die Regierungsfähigkeit und die Brandmauer zur AfD eskaliert. Der Brandenburger Finanzminister und Vize-Ministerpräsident Robert Crumbach hatte vor einigen Tagen der Welt gesagt, die Partei sei „angetreten, keine Linke 2.0 zu sein“. „Personell“ aber seien sie „eine Linke 2.0“. In Sachsen-Anhalt waren bei einem Parteitag vor rund einer Woche fünf von acht Vorstandsmitgliedern ausgetauscht worden. Dabei ging es um die Rolle des BSW nach der Landtagswahl in rund neun Monaten. Mehrere Kreisvorsitzende hätten sich möglicherweise an einer Koalition beteiligt, um eine AfD-Regierung zu verhindern. Die Landesvorsitzenden lehnen das ab, Wagenknecht ebenso.

Auf der Bühne gesteht Wagenknecht ein, dass die Spielräume auf Landesebene schmal seien. „Koalieren heißt nicht klein beigeben“, sagt sie. Sie wünscht sich, dass die Landesminister des BSW, wie Schütz und Crumbach, die Positionen der Partei stärker in den Mittelpunkt rücken – und vor allem nicht davon abweichen. Passiere das, findet sie, sei es ein „seltsames Verständnis von Meinungsfreiheit“.

Ihr Gegner Schütz hält an seinen Gegenpositionen trotzdem fest. Er findet es unfair, dass Thüringen die Schuld für das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde gegeben würde. Bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen Ende September hatte die Partei 1,1 Prozent erreicht. „Sich hinzustellen und zu sagen, Thüringen ist schuld, das ist mir zu einfach“, sagt er. Die Partei habe „keine Kompetenzwerte“ in allen relevanten Politikfeldern, sie müsse sie erst entwickeln, sagt er in die Kamera des MDR. Das BSW sei „eine Alternative zur Alternative“, sagt er, „wenn es nach mir ginge, wäre es die demokratische Alternative zur Alternative“.

Darin steckt Kritik an der Parteispitze. Über die AfD wird auf dem Parteitag beinahe ausschließlich als Konkurrentin gesprochen. Die Wagenknecht-Vertraute aus Brandenburg, Friederike Benda, und John Lucas Dittrich aus Sachsen-Anhalt haben zum Parteitag einen Gastbeitrag in der Berliner Zeitung veröffentlicht, in dem sie die „Brandmauer-Politik“ für gescheitert erklärten. Es gebe „etliche vernünftige oder realistische Positionen“.

Ob das Verhältnis zwischen den Thüringern, die sich als Realpolitiker sehen, und dem Bundesvorstand unter den neuen Vorsitzenden besser wird? Ein Thüringer Delegierter stellt die Frage der Co-Vorsitzenden Amira Mohamed Ali. Ihre Antwort klingt nach verbaler Aufrüstung. Es sei die „Verantwortung“ der Parteiführung, sagt sie, dass „Parteilinien eingehalten werden sollen“.

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