Zur Kritik an der „Geheimplan“-Recherche von „Correctiv“ | ABC-Z
Am Anfang steht die sprachliche Überwältigung. „Von diesem Treffen sollte niemand erfahren: Hochrangige AfD-Politiker, Neonazis und finanzstarke Unternehmer kamen im November in einem Hotel bei Potsdam zusammen. Sie planten nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland.“
Darauf lautet der Vorspann der Geschichte über den „Geheimplan gegen Deutschland“, mit der die Recherchegruppe „Correctiv“ Anfang Januar dieses Jahres Furore machte. Ein „Geheimplan“ zur Vertreibung von Millionen Menschen? Ausgeheckt von Rechtsextremen, AfDlern, Leuten von der „Werteunion“ und der CDU? Die Vorstellung eines solchen Unterfangens brachte nach der Veröffentlichung Hunderttausende auf die Straße, bei Protestzügen gegen „Rechts“.
Scholz: „Völkische Rassenideologie der Nationalsozialisten“
Endlich melde sich die „schweigende Mehrheit“ zu Wort, hieß es in Medien und Politik, die „Mitte der Gesellschaft“ sei aufgewacht. Bundeskanzler Olaf Scholz setzte eine Videoansprache auf, redete davon, dass dieser „teuflische Plan“ 20 Millionen Menschen betreffe – und zog zwischen dem „Geheimplan“ aus Potsdam und der „völkischen Rassenideologie der Nationalsozialisten“ eine direkte Linie. „Das weckt unwillkürlich Erinnerungen an die furchtbare Wannsee-Konferenz“, sagte Innenministerin Nancy Faeser im Gespräch mit der Funke Mediengruppe. Gleichsetzen wolle sie dies nicht. „Aber was hinter harmlos klingenden Begriffen wie ‚Remigration‘ versteckt“ werde, sei „die Vorstellung, Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer politischen Haltung massenhaft zu vertreiben und zu deportieren“.
Die Warnung vor einem angeblich drohenden Vierten Reich war ausgesprochen, „Correctiv“ hatte augenscheinlich den Ultrascoop gelandet. Die höchste Bedrohung auszurufen, darauf ist die Story auch angelegt, der Text inszeniert wie ein Theaterstück – er kam dann auch schnell auf die Bühne –, aufgeteilt in mehrere Akte, mit Charakterisierung des handelnden Personals und einem langen Prolog. „Was dort an diesem Wochenende entworfen wird, ist ein Angriff auf die Existenz von Menschen“, heißt es. „Und es ist nicht weniger als ein Angriff gegen die Verfassung der Bundesrepublik.“
Der Rechtsextremist Martin Sellner habe in seinem Vortrag über „Remigration“ gesprochen, was bedeute, Ausländer, Menschen mit Aufenthaltstiteln und „nicht-assimilierte Staatsbürger“ aus dem Land zu bringen. Er habe über einen „Musterstaat“ in Nordafrika geredet, in dem die von ihm genannten Gruppen angesiedelt werden sollten. Das, so „Correctiv“, erinnere an den Plan der Nationalsozialisten aus dem Jahr 1940, vier Millionen Juden nach Madagaskar zu deportieren. Unklar sei, „ob Sellner die historische Parallele im Kopf hat. Womöglich ist es auch Zufall, dass die Organisatoren gerade diese Villa für ihr konspiratives Treffen gewählt haben: Knapp acht Kilometer entfernt von dem Hotel steht das Haus der Wannseekonferenz, auf der die Nazis die systematische Vernichtung der Juden koordinierten.“ Damit war der Kontext, in den „Correctiv“ den „Geheimplan gegen Deutschland“ stellte, gerundet.
Investigative Recherche mit „hingehuschtem Kern“
Doch war die Geschichte rund? Christoph Kucklick, Leiter der Henri-Nannen-Schule, der Medienjournalist und „Übermedien“-Gründer Stefan Niggemeier und der Chefredakteur des Portals „Legal Tribune Online“, Felix W. Zimmermann, finden, dem sei nicht so.
Der „Correctiv“-Bericht, der gerade den „Leuchtturm-Preis für besondere publizistische Leistungen“ des Vereins „Netzwerk Recherche“ erhalten hatte, verdiene „nicht Preise, sondern Kritik – und endlich eine echte Debatte“. Eine Debatte über den Einsatz journalistischer Mittel. Für eine derart überhöhte Recherche, monieren die Autoren, fänden sich erstaunlich wenig direkte Zitate aus Sellners Rede über „Remigration“. Der Text sei „misslungen“, das „Verhalten von ,Correctiv‘ nach der Veröffentlichung fragwürdig und die Berichterstattung vieler Medien eine Katastrophe“.
Die Proteste, die der Artikel ausgelöst habe, seien „gut und wichtig“. Er habe „viele Menschen alarmiert, die sich zu Recht über die Verbindungen zwischen bürgerlichen Kreisen und dem rechten Rand sorgen“. Aber der Text selbst sei – so die drei Kritiker – ein Desaster: „Er unterstellt, statt zu belegen, er raunt, statt zu erklären, er interpretiert, statt zu dokumentieren.“ Selten habe „eine investigative Recherche einen so hingehuschten Kern“ gehabt. „Correctiv“ erzeuge – und das sei „das Schlimmste“ – „eine systematische Unsicherheit über das, was eigentlich die Aussage des Artikels ist und worin der Skandal von Potsdam besteht“.
Worin er bestehe, unterstrich „Correctiv“ in der postwendend formulierten Antwort auf die drei Kritiker: Redner und Teilnehmer des Treffens in Potsdam hätten von „Remigration“ im Rahmen eines „Masterplans“ gesprochen. Es sei darum gegangen, „Millionen von Menschen – darunter ausdrücklich auch solche mit deutscher Staatsangehörigkeit – zu vertreiben“. Dieser Kern der Recherche sei „unangetastet“, der Belege seien reichlich. Was Kucklick, Niggemeier und Zimmermann betrieben, sei im Wesentlichen Stilkritik, diese sei erlaubt, aber nicht geeignet, „Zweifel am Wahrheitsgehalt“ der Recherche zu säen.
Stil lässt sich vom Inhalt nicht trennen
Damit freilich macht es sich „Correctiv“ zu leicht, denn der Stil lässt sich vom Inhalt dieser Recherche nicht trennen, und die kritisierte Unsicherheit in der Frage, wie schwer die zutage geförderten Erkenntnisse über den „Geheimplan“ wiegen, ist im Text angelegt. „Remigration“ hieß es hernach von der AfD, die die Recherche ins Mark treffen sollte, haben wir schon seit Langem propagiert; „Remigration“, meinten Beobachter, sei von Ideen in CDU-Kreisen und der real existierenden Zuwanderungspolitik der EU ja vielleicht gar nicht so weit entfernt. Für das Berliner Ensemble, das den „Correctiv“-Text umgehend szenisch aufführte, mag das kein Problem sein, für die mediale und politische Einordnung ist es sehr wohl eines.
Problematisch ist auch, dass der Autor Alexander Wendt, der meint, dass es „den behaupteten ,Geheimplan‘“ nie gegeben habe, dafür aber vielleicht einen „geheimen Plan von Correctiv, Politik und Medien“, nach eigenen Angaben weder von Bundesinnenministerin Nancy Faeser noch von Bundeskanzler Olaf Scholz eine klare Antwort auf die Frage bekam, wann und wie sie denn von der am 10. Januar dieses Jahres veröffentlichten „Geheimplan“-Recherche erfahren hätten. „Aus den Medien“, habe Faesers Ministerium mitgeteilt, für den Bundeskanzler habe ein Regierungssprecher geantwortet: „Wir haben Ihre Bitte zur Kenntnis genommen und weisen darauf hin, dass der presserechtliche Auskunftsanspruch kein direktes Fragerecht an einzelne Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter bzw. den Behördenleiter vermittelt.“ Schon komisch, derart ausweichend zu antworten beziehungsweise sich – in typischer Scholz-Manier – inhaltlich null einzulassen.
Und dann gab es da noch das „spontane“ Treffen der „Correctiv“-Geschäftsführerin Jeannette Gusko mit Olaf Scholz auf der Konferenz „Ostdeutschland 2030“ am 17. November 2023 – das war eine Woche vor der Tagung vom 25. November im Landhaus Adlon für den von „Correctiv“ so genannten „Geheimplan gegen Deutschland“. Es gab die unkritische Instant-Übernahme der Story durch zahlreiche andere Medien. Und schließlich gab es Ungereimtheiten des Einsatzes des Undercover-Reporters Jean Peters, der sich ins Landhaus Adlon eingemietet hatte und mit einer Kaffeetasse in der Hand vor dem Tagungsraum herumlungerte. Peters habe, hieß es auf der US-Newsseite „Semafor“ nach einem Gespräch mit dem „Correctiv“-Gründer David Schraven, mit seiner Apple-Watch heimlich Ton- und Filmaufnahmen und Fotos gemacht. Dem „Übermedien“-Macher (und unter anderem früheren Medienredakteur der F.A.S.) Niggemeier fiel auf, dass man mit einer solchen Smartwatch gar nicht filmen kann, und Audioaufnahmen wären illegal gewesen. Wie war das also? Ein Übersetzungsproblem, lautete die Antwort: Es habe keinen Tonmitschnitt gegeben. Aber Bilder, die man mit einer Apple-Watch gar nicht machen kann? Dann war es wohl ein anderes Fabrikat.
Alles klar? Nicht wirklich. Es sind noch jede Menge Fragen offen (auch, wie hierzulande Medienpreise vergeben werden). Eine Debatte, wie sie Kucklick, Niggemeier und Zimmermann über journalistische Standards anregen und nicht Rechtsauslegern und wohl auch nicht jemandem wie Alexander Wendt in „Tichys Einblick“ überlassen wollen, dem es bei der Gelegenheit nicht schwer fällt, auf die staatlichen Zuwendungen für „Correctiv“ zu verweisen, um Zweifel zu säen, ist nicht falsch. Das Ganze als „Penisfechten“ abzutun, wie es eine Kollegin in der „taz“ tat, erscheint ein wenig unterkomplex.