Zum Tod von Malte Pittner von “Deichkind”: Krasse Göre – Kultur | ABC-Z

Es gibt zwei recht klar getrennte Leben der Band Deichkind. Ein Vorher. Und ein Nachher. Beide auf sehr unterschiedliche Arten toll. Und auf sehr tolle Arten unterschiedlich. Das Nachher ist das, was man heute noch immer in großer Neonstrahlkraft bestaunen kann: eine Band als Gesamtkunstwerk, als Konzeptkunst. Texte, Musik, Videos, Bühnenbild, Kostüme, Trampoline, Abrissbirne – alles ein großes, gewaltiges Ganzes. Alles, darauf hat man sich in den Feuilletons zum Glück seit Längerem geeinigt, große, bedeutende Ästhetik. Und natürlich sehr witzig.
Das Vorher war die Welt, die Malte Pittner so sehr mitgeprägt hatte: Hip-Hop, das schon. Deutschrap vielleicht auch. Aber darin bereits vom Fleck weg ausgestattet mit dieser latent dadaistischen Leichtigkeit. Einer für dieses Land ungewöhnlichen Coolness, die dafür bereits sehr früh kaum Posen brauchte. Erstaunliche Leistung.
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Allein das Debüt, „Bitte ziehen Sie durch“, erschienen im Jahr 2000: locker schwingende Beats, winziges Bisschen Jazz-Geschwirr, prächtige Funk-Grooves. Und darüber schon erstaunlich viel von dem, was man im Fachjargon „Flow“ nennt, und womit sich die deutsche Sprache qua Konsonantengrollen so schwertut. Sonst. Hier stattdessen: erstaunlich ansatzlos lässige, fein federnde Doppel- und Binnenreime. Immens souveräne Attitüde. Toller Humor natürlich. Für die Szene angenehm undogmatische Metaphern: „Wenn ihr Hits braucht, müsst ihr nicht ABBA hören / Denn hier komm’n krasse Gör’n, die Mics wie Tabak burn’ / Dieser Beat schlägt das Trommelfell windelweich / Denn wir lieben den Scheiß wie kleine Kinder Klingelstreich“.
Und eine, das merkt man im Rückblick noch mehr als damals, scheue Prise Ernsthaftigkeit. Eher subkutan, in der Haltung, im Ton. Man muss da nun etwas spekulieren, aber es dürfte schon auch Pittner gewesen sein, der mit seinem angekratzten Bellen in der Stimme ein paar Schatten ins Schlaraffenland trug. In den Videos sah er zumindest oft so aus, als würden freundliche Regenwolken um ihn kreisen. Es gibt diverse Interviews mit der Band, in denen er über Minuten sanft verdunkelt am Rand sitzt. Und sehr erhaben schweigt. Was doch ein deutlicher Kontrast zu der im Schnitt sehr sektlaunig plappernden Truppe war.
Dann kam der Bruch.
„Wir wollten den Laden gegen die Wand fahren. Allerdings war die Wand nicht stabil genug“
Zunächst mal der künstlerische. Bassist und Rapper Porky hat den in einem Interview mal sehr anschaulich auf den Punkt gebracht. Das Ganze begann irgendwann nach dem zweiten Album „Noch fünf Minuten Mutti“. Die Band lief damals auf MTV und Viva, das schon. Aber der ganz große Durchbruch wollte nicht recht kommen. Also wollten sie, O-Ton Porky, „den Laden gegen die Wand fahren“. Live betranken sich die Bandmitglieder auf Weltklasseniveau, feuerten Technobeats ab, kullerten in Müllsäcke gekleidet über die Bühne. So hätte das enden sollen. Frontalcrash und vorbei. „Allerdings war die Wand nicht stabil genug.“ Vulgo: Durchbruch, auch kommerziell. Die Geburtsstunde des Nachher.
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Womöglich einst schon angekündigt im famosen Song „Limit“. Fieser, metallfräsender Synthiebass, für die Szene schon sehr drängendes Tempo. Sprechender Refrain: „Bin ich … schon am Limit?“ Sehr sprechende Zeile von Pittner: „Du kannst das Gerät nicht bremsen / schon gar nicht bloßen Händen“. Mitte der Nullerjahre verließ er die Band, „wegen privater Streitigkeiten“, wie es in späteren Porträts hieß. Gab viel Gemunkel über die Gründe damals, aber vielleicht genügt es auch mal, wenn man annimmt, dass der Country-Fan Pittner zumindest auch nach anderen Ausdrucksformen suchte.
2009 wurde er unter anderem Gitarrist der Band Texas Lightning, der auch der Schauspieler Olli Dittrich angehört, und schrieb Musik für Werbespots. Vor ein paar Jahren zog Pittner sich dann aus der Öffentlichkeit zurück. Wie nun bekannt wurde, ist er bereits am 9. November nach langer Krankheit gestorben. Auf Instagram würdigten die Kollegen ihn: „Er war ein genialer Musiker, Entertainer und ein unglaublich talentierter Songwriter und Texter – nicht nur für Deichkind.“ Und: „Wir wünschen dir, lieber Malte, alles Gute auf deiner letzten Reise. Ruhe in Frieden.“ Pittner wurde 48 Jahre alt.





















