Ausstehende EU-Zuschüsse bringen Kirchheim in Finanznot – Landkreis München | ABC-Z

Die Nachricht verkündete er in einem Youtube-Video seiner SPD, das ausgerechnet bei einem herbstlichen Spaziergang durch den bei der Landesgartenschau entstandenen neuen Ortspark aufgenommen worden war – sichtlich bemüht, nur keine Ängste vor einem „Shutdown“ aufkommen zu lassen, wie man ihn gerade in den USA erlebt.
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Denn in Kirchheim wird keiner entlassen, das Rathaus arbeitet weiter und der Bürgermeister ist, wie bei dem Spaziergang durch den mit buntem Laub geschmückten Park jeder sehen kann, immer noch gut gelaunt. Betont locker erklärt er in dem Video seiner Gesprächspartnerin, der stellvertretenden SPD-Ortsvorsitzenden Jeanette Au, dass die Gemeinde sogar mehr Gewerbesteuer einnehme als gedacht. Trotzdem sei man in diese Ausnahmesituation geraten.
Auch wenn es dramatisch klingt, greifen Kommunen in Bayern häufiger zum Instrument der Haushaltssperre. Das passiert meist, wenn ein großer Gewerbesteuerzahler auf eine Rückforderung in Millionenhöhe pocht oder umgekehrt eine beträchtliche Steuerzahlung ausfällt. In Kirchheim ist etwas anderes Unvorhergesehenes passiert: Keck zufolge stehen im August erwartete Fördermittel in Höhe von vier Millionen Euro für die Landesgartenschau wegen laufender Prüfungen noch aus.
Weihnachtsfeiern für Mitarbeiter und Senioren soll es trotzdem geben
Dazu kämen Verzögerungen beim Verkauf eines mit zehn Millionen Euro im Haushalt eingeplanten Grundstücks auf dem „Campus Kirchheim“. Wegen der Wirtschaftsflaute stünden die Käufer nicht gerade Schlange, sagt Keck. „Die Finanzen sind ganz stark angespannt. Das bedeutet, dass jeder Cent, den wir ausgeben, nochmal auf den Prüfstand kommt“, sagt er. Aber es werde keine freiwillige Leistung gestrichen. „Es wird eine Seniorenweihnachtsfeier geben, es wird für die Mitarbeiter eine Weihnachtsfeier geben.“
Mehr als der verzögerte Grundstücksdeal beschäftigt den Bürgermeister und die Rathausverwaltung die Hängepartie bei der Gartenschau-Förderung, die aus Sicht von Keck ein Beispiel für eine wild wuchernde Bürokratie ist, die den Kommunen und den Menschen im Land das Leben gleichermaßen erschwert.

Eine Prüfung folge auf die andere, immer wieder gebe es Nachfragen, sagt Keck. „Jetzt müssen wir nachweisen, wo das Geländer an einer dreistufigen Treppe ist.“ Solche Sachen müsse man nachreichen bei längst schon mal dokumentierten Ausgaben. Die Sachbearbeiter in den übergeordneten Behörden selbst will Keck gar nicht kritisieren. „Die schütteln ja selbst den Kopf.“
Eine Landesgartenschau geht einher mit einem über das Ereignis hinausreichenden Plan, der die Gemeinde voranbringen soll. Kirchheim hat die neue Ortsmitte als verbindendes Element zwischen den früher eigenständigen Gemeinden Kirchheim und Heimstetten geschaffen. Dafür entstand als sogenannte „Daueranlage“ der Park samt See und Gebäuden. Eine Fördersumme in Höhe von vier Millionen Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung der Europäischen Union (Efre) und eine ebenso hohe Summe aus einem Topf des Freistaats sind dafür gedacht. Insgesamt also acht Millionen Euro.
Der Park ist fertig, die Gartenschau 2024 längst Geschichte. Doch vier Millionen aus den beiden Fördertöpfen, deren Auszahlung die Regierung von Oberbayern zentral organisiert, sind noch immer nicht da. Verzögerungen begleiten die finanzielle Abwicklung des Landesgartenschauprojekts von Beginn an. Bereits im Oktober 2020 habe man dafür bei der EU den Antrag gestellt, erklärt Rathaus-Geschäftsleiter Johannes Pinzel, der auch die mittlerweile wieder abgewickelte Gartenbau-Gesellschaft geführt hat. Aber erst Mitte 2022, fast zwei Jahre später, habe man die grundsätzliche Zusage für die EU-Mittel erhalten, und im Oktober 2023 den Bewilligungsbescheid. „Die lange Phase der Ungewissheit, ob wir mit acht oder nur mit vier Millionen Euro Förderung rechnen können, war für ein Projekt dieser Komplexität – vorsichtig formuliert – nicht gerade förderlich“, sagt Pinzel.
Zu dieser Unsicherheit folgte später das aufwendige, zögerliche Auszahlungsprozedere über sogenannte Auszahlungsanträge, je nach Projektfortschritt. Neun Monate nach dem ersten Antrag habe man eine erste Tranche der Mittel von EU und Freistaat erhalten, was Pinzel dem umfangreichen Prüfverfahren zuschreibt. Die Gemeinde sei in der Zeit in Vorleistung gegangen. Die Gelder aus dem zweiten Auszahlungsantrag könnten, so die Hoffnung im Rathaus, zumindest dieses Jahr noch ausgezahlt werden. Also mehr als ein Jahr, nachdem die Gartenschau ihre Tore geschlossen hat.

Der heutige Bürgermeister Keck war selbst lange als Bau- und Projektleiter im Landschaftsbau tätig und wenn er jetzt darüber spricht, wie die Gemeinde bis zur Auszahlung des Geldes zurechtkommen soll, bedient er sich eines Bildes aus dem Metier: „Wir arbeiten dezent mit der Rosenschere und mit der Heckenschere statt mit der Motorsäge.“ Alle Gehälter würden bezahlt und alle Verträge eingehalten. Aber man werde eine geplante Gehwegabsenkung, um Barrierefreiheit zu schaffen, zurückstellen. Zwei Haltestellen werde man ohne Wartehäuschen anlegen. „Die Leute stehen im Regen, das missfällt mir sehr.“ Aber das sei gerade nicht zu ändern.
Die Rathausverwaltung klagt über hohen bürokratischen Aufwand
Im persönlichen Gespräch wird aber auch klar, dass Keck und sein Geschäftsführer liebend gerne mit massivem Gartengerät die Bürokratie zurechtstutzen würden. Pinzel beklagt die doppelten und dreifachen Prüfverfahren. Die Mitarbeiter müssten Hunderte Kontoauszüge heraussuchen und vorlegen. Kontrolle sei sinnvoll. Die Prüfung der Auszahlungsanträge sowie der späteren Verwendungsnachweise seien obligatorisch. Aber: „Es ist eine Frage von Maß und Ziel.“ Es habe nach dem ersten Auszahlungsantrag zusätzlich eine Prüfung durch die Europäische Kommission gegeben. Im Januar 2025 habe man davon erfahren, und bis August damit zu tun gehabt.
Zu bearbeiten waren unter anderem: Ausgabenlisten mit Überweisungsbelegen, Vergabeeinheiten hinsichtlich Vergabeverfahren, Veröffentlichungen, Bieterkommunikation, Zuschlagserteilungen, Nachtragsverfahren und Ausführungen mit Baustellenprotokollen, Bautagebücher und Dokumentationen.
Die Sonderprüfung kam ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als man nach Abschluss der Gartenschau gerade Personal wieder abgebaut hatte. Und bis jetzt ist Pinzel gut damit beschäftigt, Anfragen zu beantworten, ob etwa ein Treppengeländer wirklich angebracht wurde.
Was sein Amtsleiter aufzählt, ist aus Sicht von Bürgermeister Keck insgesamt gesehen ein Bruchteil dessen, womit sich ein Rathaus herumschlägt. „Es gibt so viele Beispiele. Ich könnte stundenlang erzählen.“ Die Vorgaben seien streng, jeder wolle sich nur noch absichern. Die Bürokratie sei eine Last. So kritisiert Keck zum Beispiel, dass Kirchheim für jeden Pavillon auf der Gartenschau einen eigenen Bauantrag beim Landratsamt habe stellen müssen, bei dem geprüft worden sei, ob ein Rollstuhlfahrer im Gebäude auch wenden könne. Bei einer anderen Gartenschau habe es gereicht, sogenannte fliegende, also vorübergehend genutzte, Bauten pauschal zu beantragen, und der Fall sei erledigt gewesen.
Dabei sind die Kommunen laut Keck finanziell ohnehin schon stark belastet. Der Kirchheimer Bürgermeister appelliert deshalb an den Freistaat, mehr Geld an die Bezirke zu überweisen, deren Ausgaben für soziale Sicherung steigen. Sollte Kirchheim wie im Vorjahr erneut eine Million Euro mehr an Kreisumlage an den Landkreis zahlen müssen, weil dieser eine höhere Bezirksumlage zu leisten habe, könne das die Gemeinde überfordern. „Es rollt eine riesige Welle an Problemen auf die Kommunen zu, wenn sie nicht schon da ist.“





















