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Zu wenig sinister: Die Entfremdung der Grünen von der Jugend | ABC-Z

München – Bei der Bundestagswahl 2021 holten sie knapp 15 Prozent, bei der Europawahl 2019 sogar über 20 Prozent der Stimmen. Rekordwerte für die Grünen als Folge von mehr gesellschaftlichem Klimabewusstsein, angetrieben von der Jugendbewegung Fridays for Future. Die Mitgliederzahlen der Grünen Jugend (GJ), der Jugendorganisation der Partei, hat sich folglich seit 2018 mehr als verdoppelt.

Doch der Zwang zum Kompromiss durch die Ampelkoalition hat die hehren Ziele der Grünen verwässert. Das frustriert insbesondere die Jungen ‒ darauf deutet zumindest der kürzliche Rücktritt des Bundesvorstandes, von sieben Landesvorständen und Teilen des Vorstands in München hin (AZ berichtete). Ein Symptom für eine Kluft, die sich zwischen Grünen und progressiven Teilen der Jugend aufgetan hat?

Grüne entfremden sich von der Jugend: „Nicht das linke Projekt, das wir uns wünschen“

Der Vorstand der GJ Bayern hat laut eigener Aussage immer wieder festgestellt, „dass die Grünen nicht das linke Projekt sind, das wir uns wünschen“. Die Rede ist von einem „Entfremdungsprozess von der Grünen Partei über die letzten Monate und Jahre“.

Das Bundeswehr-Sondervermögen, die Räumung des Braunkohleorts Lützerath, das Bürgergeld und die Reform des europäischen Asylsystems gehören zu dem politischen Kurs, den sie nicht länger mittragen wollen. Die Rücktrittserklärungen der anderen Vorstände lesen sich ganz ähnlich.

Die jungen Sonnenblumen der Grünen sind eingegangen. Die Partei sei nicht links genug, sagt der Nachwuchs.
© imago
Die jungen Sonnenblumen der Grünen sind eingegangen. Die Partei sei nicht links genug, sagt der Nachwuchs.

von imago

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Parteienforscherin: „Eine Partei produziert immer auch Enttäuschung“

Die Parteiensoziologin Jasmin Siri von der Ludwig-Maximilians-Universität erklärt diesen Schritt der AZ folgendermaßen: „Die Grüne Jugend war eh schon unzufrieden, hält ihre Position jetzt noch für mehr geschwächt, weil sich die Partei nach Robert Habeck ausrichtet, und dachte sich: ,Ok, jetzt reicht’s‘.“

Der Unmut überrascht die Wissenschaftlerin nicht: „Eine Partei ist für Leute immer auch eine Enttäuschungsmaschine: Weil sie entweder nie oder zu wenig das tut, was man sich erhofft.“ Durch ihre Forschung weiß sie, dass solche Enttäuschungen über alle Parteien hinweg bei ihren Mitgliedern auftreten. Die Ampel verstärke das nochmal, denn „in Deutschland sind wir nicht an so große Bündnisse gewöhnt“.

Sie hat zwei Vermutungen, warum ausgerechnet die Jugendverbände deshalb zurücktreten. Zum einen sei es für diese einfacher zu gehen, weil die Verbundenheit zur Partei, die auch über Jahre wächst, weniger stark sei. Zum anderen verständen junge Erwachsene politische Positionen mehr als Teil ihrer Identität, die durch einen Kurswechsel angegriffen werde.

Siri spricht von einem Missverständnis, dem einige junge Grüne erlegen seien: „Es gab immer Linke bei den Grünen, aber es waren immer auch viele dabei, die sich nicht als links verstanden oder sogar aus einer konservativen Logik heraus bei den Grünen waren.“

Parteivorsitzende der Grünen Bayern: Partei noch immer „progressives, fortschrittliches Projekt“

Die Parteivorsitzende der Grünen Bayern, Eva Lettenbauer, nimmt sehr ernst, dass es in der GJ Frust und Enttäuschung über die derzeitige Bundespolitik gibt. Sie halte die Grünen aber nach wie vor für ein „progressives, fortschrittliches Projekt“, sagt sie der AZ.

Lettenbauer stellt klar: „Aus der Partei ausgetreten sind nur einzelne, die allermeisten bleiben aber, weil sie überzeugt sind, dass wir eine Partei sind, die dafür ein Ohr hat und weiter daran arbeiten will.“ Sie bekomme von der GJ „ganz viele motivierte Stimmen mit, sich wieder stärker in die Partei einbringen zu wollen“. Weiter sagt sie: „Auch wir sind unzufrieden damit, wie langsam der Klimaschutz vorangeht.“ Viele Projekte, wie etwa das Klimageld, würden stocken.

Genau das sind die Themen, die die Jugendlichen 2024 noch immer bewegen. Laut der Sinus-Jugendstudie ist Klimawandel das Problem schlechthin im „politischen Sorgenspektrum“. In der Studie heißt es: „Aus Sicht der Jugendlichen tut niemand ausreichend etwas gegen das Problem.“

Laurens Andresen, Aktivist bei Fridays for Future München, bestätigt das auf Anfrage der AZ: „Ganz viele junge Menschen haben Klimaschutz noch immer als großes Thema.“ Gerade deshalb sei es so enttäuschend, dass eine Partei wie die Grünen sich „mehr anpassen und konservativer werden“.

Grüne Jugend will neue Partei gründen

Parteienexpertin Siri kann sich vorstellen, dass junge, linke Wähler die Grünen daher nicht mehr als Option wahrnehmen. „Das Parteienspektrum ist wahnsinnig volatil geworden.“ Das zeigt sich auch an den jüngsten Wahlergebnissen bei der Europawahl 2024: Die Grünen haben unter den 16- bis 24-Jährigen 23 Prozentpunkte der Stimmen im Vergleich zu 2019 verloren.

Der Bundesvorstand der GJ plant nun, einen „neuen, dezidiert linken Jugendverband zu gründen“. Ob dieses Projekt Erfolg haben wird, hängt laut Parteiensoziologin Siri von mehreren Faktoren ab, etwa Organisationsfähigkeiten, finanziellen Mitteln und Medienkompetenz. Klimaaktivist Andresen sagt dazu: „Ob eine neue linke Splittergruppierung der richtige Weg ist, muss der Vorstand selber wissen.“

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