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“Zone”: Zum Fürchten gut | ZEIT ONLINE | ABC-Z

Deutschland im Herbst nach den Wahlen – das ist auch ein Land, dem die Ideen ausgegangen sind, wie man den trotzigen Osten wieder einfangen kann. Hat man ja alles versucht, hat alles nicht geklappt. Vielleicht wäre es besser, der Osten würde ab jetzt eigene Wege gehen, ohne den Westen. Und tschüss!

Doch dann sitzt man auf einmal vor diesem Film und spart sich die guten Ratschläge lieber für später auf. Weil man sieht, was da los ist. Zone heißt dieser Film, der jetzt in den Kinos läuft. Er ist von der Berliner Filmemacherin Christina Friedrich und lässt sich kaum nacherzählen: Ein junges Mädchen (gespielt von Kea Krassau) wächst am Rande des Harzes in einer hermetisch abgeriegelten Zone auf. Es sind die Jahre der jungen DDR, aber an sozialistischen Aufbruch ist hier nicht zu denken. Ihre Welt, das sind die Bergwerke, die stillgelegten Kombinate und die tyrannischen Heime, in denen die Kinder zu neuen Menschen erzogen werden sollen. Beim Morgenappell. Bei Wehrübungen. Bei Brause und süßen Baisers.

Christina Friedrich findet kafkaeske Bilder, die die Gespenster der Vergangenheit nicht zu besänftigen versuchen, sondern sie herumwüten lassen. All die Albträume, die Ängste, das Irrationale. Der Harz wird ein ostdeutsches waste land – eine wüste Gegend, in der noch immer der Krieg wohnt.

Friedrich exorziert die deutsche Geschichte, aber sie tut es in Bildern, die man so noch nicht gesehen hat. In der Zone herrschen die beiden Wächter (Tobias Ofenbauer und Jonas Schlagowsky) in ihren Großvater-Pullovern. Beim täglichen Putzritual müssen die Kacheln mit Essiglösung geschrubbt werden, die besonders hartnäckigen Flecken auch mit der Rasierklinge. Alles muss picobello sein! Zum Abendbrot gibt es Blut- und Leberwurstbrote. Draußen lebt ebenfalls unter strenger Aufsicht der Wächter ein russischer Soldat in einem Hundezwinger. Nur manchmal tut sich ein Fenster auf: In einer Szene liegt das Mädchen da, nackt auf dem Boden, nur bedeckt mit Blättern, und beißt in eine Ananas, sie gräbt sich förmlich in das Fruchtfleisch, träumt von der Freiheit. Und wie Kea Krassau das als zarte und wütende Rebellin mit abrasiertem Pony und dunklen Augenringen spielt, ist zum Fürchten gut.

Es sind die Wunden der beiden Diktaturen, von denen Zone erzählt. Hier im Südharz, wo das Konzentrationslager Mittelbau-Dora stand. Wo die Nazis Abertausende Häftlinge in die Bergstollen trieben, um unter höchster Geheimhaltung die “Wunderwaffen” V1 und V2 zu produzieren. Und wo später die Amerikaner ihre Bomben über den mittelalterlichen Stadtkernen abwarfen. Bei Friedrich durchlebt das Mädchen alles noch einmal. Je mehr sie versucht, der Geschichte zu entkommen, desto mehr gerät sie hinein: Als ihre Mutter (Julischka Eichel) eines Tages in der Psychiatrie verschwindet, bricht das Mädchen aus der Zone aus. Auf ihrem Weg durch die Stollen findet sie einen Gefangenen, der aussieht wie ihr Vater (Alois Reinhardt). Sein Mund ist vernäht, sie durchtrennt die Fäden und bestreicht die Wunden mit Honig. Die Gewalt ist den Körpern eingeschrieben. Nur wie bekommt man sie wieder da raus?

Zone ist ein schmerzhafter Film. Nicht alle Szenen lassen sich leicht wegstecken, und doch hört man nicht auf, dem Grauen zuzuschauen. Hinzuschauen, wenn das Mädchen auf einem hohen Denkmalsockel in nichts als ihrem Unterhemd zu kalkweißem Stein erstarrt und es sich anhört, als würden im Hintergrund die Knochenmühlen mahlen. Hinzuschauen, wie sich das Mädchen mit einem Holzstab in die Erde gräbt, um nach den Verschwundenen, den Toten zu suchen. Gesprochen wird kaum, nur hin und wieder gibt es eine Stimme aus dem Off. Der Film basiert auf Friedrichs 2021 erschienenem Roman Keller. Aber was in der Literatur schnell zur Manier werden kann, entfaltet im Film seine Konzentration.

Es sind die Bilder, die bleiben: von dieser rauen Landschaft in ihrer Abgründigkeit, aber auch in ihrer Schönheit. Da ist der Granit, der rund 300 Millionen Jahre alt ist. Wie eine Schöpferin beugt sich das Mädchen über das schottrige Geröll und gibt den umliegenden Flurstücken ihre Namen: “Oker”, “Eichsfelder Pforte”, das “Gehege”. Da ist auch die “Goldene Aue”, die mit einer Ackerzahl von 80 bis 100 zu den fruchtbarsten Böden in Deutschland zählt. Immer wieder wird der “Brutfelsen” im ehemaligen Diabas-Steinbruch bei Wolfshagen (Westen!) eingeblendet, der seinerzeit als nicht abbauwürdiges Gestein galt und heute wie ein mythisches Relikt aus der renaturierten Landschaft herausragt. Märchenhaft grün schimmert das Wasser zu seinen Füßen. Nicht alles ist verwüstet.

Und deshalb möchte man diese Liebeserklärung an eine verwundete Landschaft allen zeigen, die nach den jüngsten Wahlerfolgen der AfD und des BSW wieder rufen, man solle den Osten doch bitte schön wieder abtrennen. Die den Osten für undankbar halten. Die nur noch ihre Ruhe vor dem Osten haben wollen und beklagen, dass der Westen gar nicht mehr vorkomme. Sie machen da einen gewaltigen Fehler: Wo andere nur das politische Problemkind sehen, eine Zone für Schwererziehbare, die schon wieder nicht hören wollen, findet Friedrich noch hier auf der weltabgewandten Seite Trost. 

Landschaften können nichts wiedergutmachen, sie haben keine Heilkräfte. Aber wenn sie ins Erzählen geraten, halten sie Menschen zusammen. Und dieses stille Kapital sollte man besser zu pflegen wissen, wenn man nicht bald auch noch den ländlichen Raum im Westen an die populistischen Einflüsterer preisgeben will.

Im Gegensatz zu den Märchen der Brüder Grimm ist nicht gesagt, dass das gut ausgeht. Im Gegenteil: Die versehrten Landschaften im Osten gehören heute oft den AfD-Wählern, die sich ihren eigenen Reim auf die totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts machen. Im thüringischen Nordhausen, Christina Friedrichs Dreh- und Herkunftsort, hat die AfD bei den Wahlen über 30 Prozent erzielt. Das alles ist schwer zu ertragen und noch schwerer zu erklären. Auch Zone liefert keine Antworten. Aber Friedrichs Film zeigt, dass sich diese Regionen nicht aufgeben, nicht wegwünschen lassen. Der Harz ist zu schön.

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